Von Pechmann fasst den entscheidenden Schritt hin zu einem demokratischen Weltstaat so zusammen:
Hinsichtlich der Eigentumsfrage ist … das Verhältnis der Vereinten Nationen zu den Nationalstaaten völkerrechtlich nicht mehr so zu bestimmen, dass die Vereinten Nationen zwar formell als die eigenständige Rechtsperson anerkannt sind, deren Sache das Wohl der Menschheit ist, dass der Gebrauch dieser Sache jedoch unter dem Vorbehalt der Souveränität der Nationen steht. Vielmehr werden die Nationen durch die Vereinigung ihrer Kräfte rechtlich zu Miteigentümern der gemeinsamen Sache, um von ihr einen durch die Verfassung geregelten gemeinschaftlichen und effektiven Gebrauch zu machen. Dieser Weltstaat ist somit nichts anderes als die wirklich vereinten Nationen.
(Sämtliche Auszüge aus Alexander von Pechmann, Die Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert)
Von dieser Prämisse ausgehend forscht von Pechmann nun nach Motiven, Gründen und Kräften, die für den Verzicht der Nationalstaaten auf ihre Souveränität zugunsten dieses demokratisch organisierten Weltstaates sprechen. Hatte Hegel recht, wenn er von — vom “Weltgeist” inspirierten — dialektisch fortschreitenden Geschichtsimpulsen sprach, die uns früher oder später in diese Richtung führen werden? Oder
braucht es — wie Ignaz Troxler, der eigentliche Vater unserer Bundesverfassung, meinte — den vollen Einsatz aller vom “inneren Christus” inspirierten Menschen, die sich nach einer friedlichen, sozial gerechten Gesellschaft sehnen, — eine Gesellschaft, die sich von jeglichen Religionsstreitigkeiten und von ihrer egoistischen Macht- und Profitgier emanzipiert hat?
Von Pechmann macht sich in seinem Buch auf die Suche nach Motiven und Tendenzen, die darauf zu schliessen erlauben, dass das, was aus Vernunftgründen als erforderlich eingesehen wird, in der Zukunft auch tatsächlich so sein wird. Die gegenwärtigen Verhältnisse müssen, so gesehen, schon mit dem künftigen Rechtszustand “schwanger gehen”.
Erneut gibt ihm dabei Immanuel Kant etwas Hilfestellung, denn der grosse Philosoph postulierte ein geschichtliches Prinzip, das er die “grosse Künstlerin Natur” … nennt. Nach diesem Prinzip sei es so, dass im historischen Prozess “sichtbarlich Zweckmässigkeit hervorleuchtet”, die ihn so betrachten lässt, dass er den durch die Vernunft geforderten Rechtszustand einer Weltrepublik tatsächlich hervorbringt.
Kant nahm zwei unterschiedliche Kausalitäten an: Die eine Kausalität lässt sich als “historischer Fortschritt” bezeichnen - Hegel lässt grüssen - , die andere hingegen als “Lernen aus der Katastrophe”.
Als Agens für diesen “historischen Fortschritt” postulierte Kant den “Handelsgeist, … der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt”. Dieser Handelsgeist, der als eine Intensivierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen verstanden werden kann, die “durch den wechselseitigen Eigennutz” zu einem immer enger geflochtenen Netz von Handelsverträgen und ‑abkommen führt, befördere, so Kants Annahme, auch gegen den Willen der Staaten, die Eintracht der Nationen. Durch ihn “sehen sich Staaten (freilich wohl nicht durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu fördern und, wo auch immer in der Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch Vermittlungen abzuwehren, gleich als ob sie deshalb im beständigen Bündnisse ständen”.
Heute würde sich Kant wohl an den Kopf greifen, wenn er sähe, wie falsch er mit dieser Hoffnung lag, durch Handelsbeziehungen zwischen den Nationen Frieden zu stiften. Die Globalisierung der Wirtschaft — auch gegen den Willen der Staaten — ist, trotz all der Vorteile, die sie uns materiell gebracht hat, zu einer schweren Bedrohung der Menschheit und des demokratischen Zusammenlebens geworden, denn unter dem Regime der bürgerlich-kapitalistischen Eigentumsordnung (hat sich) in den letzten Jahrzehnten in der Tat ein globales Netzwerk aus multi- und transnationalen Konzernen und weltweit operierenden Finanzinstituten herausgebildet, das sich von den nationalen Rechtsordnungen weitgehend emanzipiert, sich seine Handelsgesetze selbst gegeben und dafür sogar eigene Gerichtsinstanzen geschaffen hat. (…)
Dieser historische Vorgang der Herausbildung einer neuen und globalen “lex mercatoria” scheint in der Tat die Rede von einem “Regieren jenseits des Nationalstaates” (Michael Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates. Frankfurt a.M. 1998) zu rechtfertigen, das die Souveränität der Nationalstaaten aushöhlt. Er bringt zum Ausdruck, dass sich das global agierende Kapital von den nationalstaatlichen Schranken gelöst hat und seiner eigenen Rationalität, der Verwertung des Kapitals, folgt, und dass es in den letzten Jahrzehnten zugleich die Macht gewonnen hat, diese Rationalität den Nationalstaaten zu oktroyieren.
Das sind fürwahr ziemlich düstere Aussichten, denn da sich Kants Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben der Nationen dank des “Handelsgeistes” und des “wechselseitigen Eigennutzes” offensichtlich nicht erfüllt hat, bleibt als zweiter Faktor noch “Lernen aus der Katastrophe”.
Zum Glück gibt es in Sachen Globalisierung noch ein — allerdings viel schwächeres — Gegengewicht, das den Horizont wieder etwas aufhellt.
Dazu mehr in der nächsten Folge am Freitag, den 25. August.
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