Loick postuliert nun, dass das bürgerliche System des Privateigentums nicht nur den richtigen Umgang mit dem Besitz beeinträchtigt, sondern auch negative Folgen für die Besitzenden hat:
Um die bürgerliche Rechtsperson als defizitäre Subjektform zu kritisieren, muss man dabei wohlgemerkt keineswegs abstrakt definieren, was eine angemessene, sachgemäße oder gute Weise ist, einen bestimmten Gegenstand zu gebrauchen. Vielmehr geht es darum zu beschreiben, dass die Menschen unter Bedingungen einer Privateigentumsordnung in ihrer Kompetenz beeinträchtigt werden, überhaupt erst qualifizierte Präferenzen für den Gebrauch von Dingen auszubilden. Kaputtbesitzen meint hier nicht mehr nur, dass das Objekt kaputtgeht — sondern auch das Subjekt.
Wahrscheinlich die wichtigste Folge dürfte sein, dass wir in der westlich geprägten Konsumgesellschaft den Sinn für den Eigenwert der Natur fast vollständig verloren haben. Dass die Natur kein “Selbstbedienungsladen” ist, den man nach Belieben plündert, um Gegenstände herzustellen, die man nachher besitzen kann, ist noch längst nicht allen bewusst, wenn man etwa die aktuelle Auseinandersetzung zum Tiefseebergbau verfolgt. Hie das besitzen wollende menschliche Subjekt, dort die zu unterjochende und auszubeutende Natur:
Mit Adorno lässt sich dieses Welt- und Selbstverhältnis als Resultat einer auf Privateigentum basierenden Naturbeherrschung entziffern. Der Begriff der „Natur“ repräsentiert dabei denjenigen Anteil des menschlichen und nichtmenschlichen Lebens, der der geistigen Formierung vorgängig und ihr gegenüber renitent ist. Der Geist setzt sich seiner inneren und äußeren Natur entgegen und tritt mit ihr in ein Herrschaftsverhältnis ein. Die Eliminierung jeder besonderen Qualität am Ding (wozu, wie gesagt, auch der eigene Körper zählt) durch Formierung und Arbeit führt dann dazu, dass am Ding jede Dimension ausgelöscht wird, durch die das Subjekt in ihm ein anderes seiner selbst hätte finden können. Zugleich gibt es auch keine Beziehung zu irgendeinem Natürlichen mehr, das nicht durch solche Formierung und Bearbeitung vermittelt ist; Natur kann für das Subjekt nur als Ressource einer Zurichtung Bedeutung erlangen.
Problematisch ist die von Hegel affirmierte Naturbeherrschung für Adorno nicht nur, weil das Herrschaftsverhältnis zur Natur das Subjekt zugleich zur Herrschaft über andere Menschen disponiert, sondern auch, weil sie das naturbeherrschende Subjekt selbst beschädigt. Das Subjekt, das die es umgebende und konstituierende Natur immer nur negiert, verschließt sich andere Möglichkeiten des Gebrauchs der Welt und des eigenen Selbst.
Loick führt für eine alternative Beziehung zur Natur, die auf dem Respekt ihres grundlegenden Eigenwertes beruht, den Begriff “Versöhnung” ein und greift interessanterweise auch die Frage des birsfaelder.li-Schreiberlings auf, wie das “Geschenk” in die Hegel’sche Eigentumstheorie hineinpasst, — oder eben nicht:
Versöhnung — ein Terminus, der selbst von Hegel bereitgestellt wurde — findet mit anderen Worten dort statt, wo weder eine Beziehung der Aneignung noch eine einfache Beziehungslosigkeit herrscht. Im Kontext einer Eigentumstheorie könnte man vielleicht mit Adorno sagen, dass eine solche Erfahrung nicht durch die Inbesitznahme repräsentiert wird, sondern durch das Geschenk: durch den Erhalt einer Sache, die nicht zugerichtet und angeeignet, sondern gegeben und empfangen wurde. Das Geschenk darf in Hegels Eigentumstheorie keine substanzielle Rolle spielen, da es die Doktrin von der Alternativlosigkeit des Eigentumserwerbs durch fortgesetzte willentliche Inbesitznahme revoziert.
Er verweist anschliessend auf Marx, der ebenfalls eine alternative Gesellschafsordnung, deren nicht auf dem Besitz aufbaut, als “conditio sine qua non” für eine breite Entfaltung aller menschlichen Potentiale sieht.
… Dem entspricht wiederum eine umfassendere, „vollere“ Möglichkeit des Weltgebrauchs, die Marx als „Emanzipation der Sinne“ bezeichnet: „Die Aufhebung des Privateigentums ist daher die vollständige Emanzipation aller menschlichen Sinne und Eigenschaften; (…)
Das Auge ist zum menschlichen Auge geworden, wie sein Gegenstand zu einem gesellschaftlichen, menschlichen, vom Menschen für den Menschen herrührenden Gegenstand geworden ist.“
Die Emanzipation der Sinne überwindet die einseitige Beschränkung des Körper- und Weltgebrauchs auf das Haben. Erst wenn die Privateigentumsordnung und die damit verbundene notwendig individualistische Handlungsorientierung überwunden sind, können Menschen ihre Sinne wieder vielseitig ausbilden und so zu einer besseren Kompetenz gelangen, mit der Welt und sich selbst umzugehen; erst dann also kann der Sinn, den Hegel dem Eigentum zusprach — dass sich der freie Wille in den Sachen ein Dasein gibt — verwirklicht werden.
Fortsetzung am kommenden Freitag, den 2. Februar
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