Zurzeit ist Donald Trump wieder mal in den Schlagzeilen der Medien. Verständlich, denn nach dem Erdrutschsieg in Iowa und nach dem Sieg in New Hampshire deutet alles darauf hin, dass Trump die Nominierung für das Amt des Präsidenten durch die Republikaner praktisch in der Tasche hat. Es läuft somit Ende Jahr auf das nächste Duell zwischen Biden und Trump hinaus.
So what? Alle vier Jahre findet dieses Duell zwischen dem republikanischen und dem demokratischen Kandidaten statt, und mal gewinnt dieser, mal der andere. Was ist diesmal anders?
Anders ist praktisch alles. Zum ersten Mal tritt auf republikanischer Seite ein Präsidentschaftsanwärter an, der sich diverser Strafverfahren ausgesetzt sieht, — am gefährlichsten eine Anklage wegen Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten. Er leugnet bis heute standhaft seine Niederlage bei den letzten Wahlen, kündigt bei einem Sieg bei all seinen Gegnern ein grosses “Reinemachen” an, träumt von diktatorialer Macht und bedient sich immer offener einer rassistischen Sprache, die ungute Erinnerungen wecken.
Nun gut — vielleicht kann sich Joe Biden am 5. November 2024 noch einmal durchsetzen. Dann dürfte der Trump-Spuk ein für alle Mal vorbei sein. Immerhin läuft die amerikanische Wirtschaft prächtig, und der ehemalige Trump-Kommunikationsdirektor Anthony Scaramucci meint in einem Spiegel-Interview:
Trump wird von einer kleinen Gruppe von Menschen geliebt, die an Faschismus und weiße Überlegenheit glauben, aber der Rest der USA hasst ihn.
Auch Spiegel-Redaktor Roland Nelles betitelt seinen Leitartikel mit “Donald Trump, ein Scheinriese”.
Ganz anders sieht das der erfahrene amerikanische Politikberater Robert Kagan, der für Regierungen beider Parteien arbeitete. In einem Meinungsartikel in der Washington Post schreibt er:
Hören wir mit dem Wunschdenken und sehen wir der nackten Realität ins Auge: Es gibt einen klaren Weg zur Diktatur in den Vereinigten Staaten, und er wird jeden Tag kürzer. (…)
Seit vielen Monaten leben wir nun schon in einer Welt der Selbsttäuschung, in der wir uns viele Möglichkeiten ausmalen. Vielleicht wird es Ron DeSantis sein (inzwischen “weg vom Fenster”), vielleicht Nikki Haley. Vielleicht werden die unzähligen Anklagen gegen Trump ihm bei den republikanischen Vorstädtern zum Verhängnis. Solche hoffnungsvollen Spekulationen haben es uns ermöglicht, passiv weiterzumachen, wie gewohnt, ohne dramatische Maßnahmen zu ergreifen, um den Kurs zu ändern, in der Hoffnung und Erwartung, dass etwas passieren wird. Wie die Menschen auf einem Flussboot wissen wir seit langem, dass ein Wasserfall vor uns liegt, aber wir gehen davon aus, dass wir irgendwie ans Ufer gelangen werden, bevor wir über die Kante stürzen. Doch nun erscheinen die Maßnahmen, die erforderlich sind, um uns ans Ufer zu bringen, immer schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich.
Die Phase des magischen Denkens ist zu Ende. Wenn kein Wunder geschieht, wird Trump bald als Kandidat der Republikaner für das Präsidentenamt feststehen. Wenn dies geschieht, wird sich die politische Machtdynamik rasch und dramatisch zu seinen Gunsten verändern. Bislang konnten Republikaner und Konservative relativ frei ihre Anti-Trump-Stimmung zum Ausdruck bringen, sich offen und positiv über alternative Kandidaten äußern und Kritik an Trumps Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart üben. Spender, die Trump widerlich finden, konnten ihr Geld frei verteilen, um seine Konkurrenten zu unterstützen. Die etablierten Republikaner haben keinen Hehl aus ihrer Hoffnung gemacht, dass Trump verurteilt und damit aus dem Rennen genommen wird, ohne dass sie gegen ihn Stellung beziehen müssen.
All das wird ein Ende haben, wenn Trump den Super Tuesday (am 5. März) gewinnt. Stimmen sind die Währung der Macht in unserem System, und Geld folgt auf dem Fuße, und nach diesen Maßstäben ist Trump im Begriff, noch viel mächtiger zu werden, als er es bereits ist. Die Zeit der Suche nach Alternativen ist vorbei. In der nächsten Phase geht es darum, dass die Menschen sich anpassen.
Was also, wenn Kagan recht behielte? Dann wäre es sinnvoll, sich rechtzeitig mit den möglichen Folgen einer weiteren Trump-Präsidentschaft auseinanderzusetzen. Der birsfaelder.li-Schreiberling hat das schon einmal getan. Und er hat sich auch mit jenen wackeren Eidgenossen beschäftigt, die 2016 die Wahl Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten bejubelten und ihm auch noch jetzt treu die Stange halten.
Diese in unregelmässigen Abständen erscheinende neue Folge wird deshalb zwei Schwerpunkte haben:
— nach den Gründen zu forschen, warum ein amoralischer, machtgieriger und lügnerischer Politiker bar jeder Bildung es schafft, Abermillionen in seinen Bann zu ziehen.
— nach den Gründen zu forschen, warum schweizerische Politiker und Medienvertreter in Trump ein Vorbild sehen.
In der nächsten Folge am kommenden Donnerstag wenden wir uns allerdings nicht Trump, sondern seinem Wahlkampf-Adjutanten Michael Flynn zu, dem wegen seiner Russland-Connection unehrenhaft entlassenen Nationalen Sicherheitsberater, der von Trump begnadigt wurde. Seine “ReAwaken Roadshow” zeigt, welche Dynamiken und Kräfte jenseits der positiven wirtschaftlichen Realitäten im kommenden Wahlkampf eine Rolle spielen werden.
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Max Ziegler
Jan 27, 2024
Lieber Max
Grossartig, traurig und wahr!