Im letzten Dezember haben wir uns mit der etwas gewöhnungsbedürftigen Ansicht Hegels vertraut gemacht, dass unser Körper erst wirklich zu unserem Körper wird, wenn wir ihn bewusst und willentlich in Besitz nehmen. Noch gewöhnungsbedürftiger ist seine Behauptung, für Sklaven gelte das nicht, — denn sie würden über diese Verfügungsgewalt ja nicht verfügen.
Etwas einsichtiger sind seine Überlegungen zum Tausch oder Verkauf von Besitztümern.
Wir sind als Besitzer ja nicht allein, denn unser Dasein ist in ein soziales Umfeld eingebettet. Damit muss unsere Besitznahme … für andere erkennbar sein, damit sie wirklich gelten kann. Der Gebrauch eines Gegenstandes hat nicht nur den Zweck, dass die Eigentümerin ihren Willen in der Sache verwirklichen kann, sondern übernimmt auch die Funktion eines Zeichens, dass diese Sache der Eigentümerin gehört. (…)
Diese intersubjektive Dimension, die im deklarativen Charakter der Inbesitznahme und im Gebrauch der Sache schon gegeben ist, kommt in der Veräusserung nun voll zur Geltung. Im Vertrag tritt ein freier Wille in eine Beziehung mit einem anderen freien Willen. Damit beide ihre Freiheit als eigenständige Personen behalten können, ist es nötig, dass nicht der eine den anderen überfällt und sich dessen Eigentum gewaltsam aneignet, sie müssen sich gegenseitig als “Personen und Eigentümer anerkennen”. Dass in der Privateigentumsordnung Eigentum vertraglich veräussert wird, ist dabei nicht optional, sondern notwendig.
Aber wie steht es mit einer Schenkung? Wenn mir mein Grossvater als Andenken seine wertvolle Blancpain-Uhr schenkt, muss das vertraglich geregelt werden? Oder wie steht es mit Picasso, der dem Kunstmuseum ein Bild schenkt? Entscheidet die Natur der Beziehung zwischen den “Personen” oder die Werthaltigkeit des Geschenkes darüber, ob ein Vertrag für die Schenkung notwendig wird?
Doch verfolgen wir die Gedanken Hegels weiter: Es ist unmöglich, sich eine Eigentumsordnung vorzustellen, in der alles, was es auf der Welt gibt, ein für alle Mal verteilt ist und dann nie mehr die Besitzerin wechselt. Dies liegt schon im Wesen des Eigentumsrechts selbst, als unumschränktes Recht schließt es das Recht auf Veräußerung immer schon mit ein. Die Möglichkeit der Veräußerung gehört daher ebenso essentiell zur Eigentumsordnung wie die Inbesitznahme und der Gebrauch. Entsprechend ist auch der Aspekt der Intersubjektivität dem Aspekt der Subjektivität für Hegel nicht nachgeordnet; die Eigentumsordnung stiftet, sobald sie ein Verhältnis der Eigentümerin zu ihrem Eigentum stiftet, immer auch ein Verhältnis von Eigentümerinnen untereinander.
Die ökonomische Transaktion generiert eine spezifische Intersubjektivität. Wenn ich etwas verkaufe, interessieren mich die Lebensumstände des Käufers nicht im geringsten. Mein Interesse beschränkt sich lediglich darauf, dass ich den entsprechenden Gegenwert für mein Besitztum erhalte.
Dies erzeugt ein instrumentelles Verhältnis zu den anderen: Solange ich die andere Seite nur als Eigentümerin anerkenne, interessiere ich mich nicht für ihre konkreten Bedürfnisse und Ansichten, sondern ausschliesslich für die ökonomische Transaktion, die ich mit ihr potentiell eingehen kann. Die durch das Eigentum erzeugte Rechtspersonalität ist, wie Hegel selbst konzediert, eine “abstrakte” Weise, in der Welt zu existieren.
(Alle Textauszüge aus Daniel Loick, Der Missbrauch des Eigentums)
Vielleicht unterscheidet sich eine Schenkung gerade dadurch, dass sich bei ihr nicht zwei “durch das Eigentum erzeugte Rechtspersonalitäten” gegenüberstehen, die auf “abstrakte Weise in der Welt existieren”, sondern dass die persönliche Beziehung zwischen sehr realen Menschen ins Spiel kommt: Mein Grossvater mag mich und ist stolz auf seinen Enkel. Picasso pflegt eine gute Beziehung zu den Verantwortlichen, die Bilder von ihm erworben haben, und macht aus Dankbarkeit eine Schenkung.
Interessant auch der Brauch bei einigen indigenen Völkern Nordamerikas, mit grossen Schenkungsritualen durch die “Chiefs” den inneren Zusammenhalt der “tribes” zu stärken. Hier kam eine völlig andere “spezifische Intersubjektivität” ins Spiel, nämlich eine sehr reale persönliche Verbindung.
Hegel interessierte sich aber noch für einen weiteren Aspekt in der Institution des Eigentums: ihre Rolle innerhalb der sittlichen Gesamtordnung einer menschlichen Gesellschaft. Dazu mehr in der nächsten Folge
am kommenden Freitag, den 19. Januar
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