Erich Fromm schält die drei tra­gen­den Säu­len her­aus, auf denen unse­re moder­ne Gesell­schaft auf­baut. Sie sind tief in unse­rem Unbe­wuss­ten verankert:
Da wir in einer Gesell­schaft leben, die auf den drei Säu­len Pri­vat­ei­gen­tum, Pro­fit und Macht ruht, ist unser Urteil äußerst vor­ein­ge­nom­men. Erwer­ben, Besit­zen und Gewinn­ma­chen sind die gehei­lig­ten und unver­äu­ßer­li­chen Rech­te des Indi­vi­du­ums in der Indus­trie­ge­sell­schaft.  Dabei spielt weder eine Rol­le, woher das Eigen­tum stammt, noch ist mit sei­nem Besitz irgend­ei­ne Ver­pflich­tung ver­bun­den. Das Prin­zip lau­tet: „Es geht nie­man­den etwas an, wo und wie mein Eigen­tum erwor­ben wur­de oder was ich damit tue. Mein Recht ist unein­ge­schränkt und abso­lut – solan­ge ich nicht gegen die Geset­ze verstoße.“

Die­se Form des Eigen­tums wird Pri­vat­ei­gen­tum (von lat. pri­va­re = berau­ben) genannt, weil sie ande­re von des­sen Gebrauch und Genuss aus­schließt und mich zu sei­nem Besit­zer, sei­nem ein­zi­gen Herrn macht. Die­se Form von Eigen­tum ist angeb­lich etwas Natür­li­ches und Uni­ver­sa­les, wäh­rend sie in Wirk­lich­keit eher die Aus­nah­me als die Regel dar­stellt, wenn wir die gesam­te mensch­li­che Geschich­te ein­schließ­lich der Prä­his­to­rie betrach­ten, ins­be­son­de­re jene außer­eu­ro­päi­schen Kul­tu­ren, in wel­chen die Wirt­schaft nicht Vor­rang vor allen ande­ren Lebens­be­rei­chen hatte.

Doch Fromm wei­tet dann den Begriff des “Pri­vat­ei­gen­tums” auf ein Feld aus, an das man meis­tens nicht denkt, — näm­lich unser “Ich” ..
Das wich­tigs­te Objekt des Besitz­ge­fühls ist das eige­ne Ich. Das eige­ne Ich umfasst vie­les: unse­ren Kör­per, unse­ren Namen, unse­ren sozia­len Sta­tus, unse­re Besitz­tü­mer (ein­schließ­lich unse­res Wis­sens), das Bild, das wir von uns selbst haben und das wir ande­ren ver­mit­teln wol­len. Unser eige­nes Ich ist eine Mischung aus rea­len Qua­li­tä­ten wie Wis­sen und Kön­nen und aus bestimm­ten fik­ti­ven Qua­li­tä­ten, die wir um einen rea­len Kern her­um anord­nen. Das Wesent­li­che ist jedoch nicht so sehr der Inhalt, aus dem das eige­ne Ich besteht, son­dern die Tat­sa­che, dass wir unser Ich als Ding emp­fin­den, das wir besit­zen, und dass die­ses „Ding“ die Basis unse­rer Iden­ti­täts­er­fah­rung ist.

Dass dem tat­säch­lich so ist, kann man erfah­ren, wenn es einem — zum Bei­spiel beim Medi­tie­ren — gelun­gen ist, inner­lich von die­sem “Ich” Abstand zu neh­men und dabei zu ent­de­cken, dass es in uns eine tie­fe­re, authen­ti­sche­re Iden­ti­tät gibt, sozu­sa­gen “unser wah­res Ich”, — in der Psy­cho­lo­gie oft das “Selbst” genannt.

Wie eng dass illu­so­ri­sche und fal­sche “Ich” mit dem Besitz­den­ken ver­knüpft ist, leuch­tet Fromm anschlies­send noch ver­tie­fer aus:
Der Satz „ich habe etwas“ drückt die Bezie­hung zwi­schen dem Sub­jekt, ich (oder er, du, wir, sie) und dem Objekt, O, aus. Er impli­ziert, dass sowohl Sub­jekt als auch Objekt dau­er­haft sind. Aber sind sie es wirk­lich? Ich wer­de ster­ben; ich kann mei­ne gesell­schaft­li­che Stel­lung ver­lie­ren, die garan­tiert, dass ich etwas habe. Auch das Objekt ist nicht von Dau­er: Es kann zer­stört wer­den oder ver­lo­ren­ge­hen oder sei­nen Wert ver­lie­ren. Die Aus­sa­ge, etwas auf Dau­er zu besit­zen, beruht auf der Illu­si­on einer unver­gäng­li­chen, unzer­stör­ba­ren Sub­stanz. Wenn ich alles zu haben schei­ne, habe ich in Wirk­lich­keit – nichts, denn mein Haben, Besit­zen, Beherr­schen eines Objek­tes ist nur ein vor­über­ge­hen­der Moment im Lebensprozess.

In letz­ter Kon­se­quenz drückt die Aus­sa­ge: „ich (Sub­jekt) habe O (Objekt)“, eine Defi­ni­ti­on mei­nes Ichs durch mei­nen Besitz des Objekts aus. Das Sub­jekt bin nicht ich selbst, son­dern ich bin, was ich habe. Mein Eigen­tum begrün­det mich und mei­ne Iden­ti­tät. Der Gedan­ke, der der Aus­sa­ge „ich bin ich“ zugrun­de liegt, ist ich bin ich, weil ich X habe; X sind dabei alle natür­li­chen Objek­te und Per­so­nen, zu denen ich kraft mei­ner Macht, sie zu beherr­schen und mir dau­er­haft anzu­eig­nen, in Bezie­hung ste­he. [II-326]

In der Exis­ten­z­wei­se des Habens gibt es kei­ne leben­di­ge Bezie­hung zwi­schen mir und dem, was ich habe. Es und ich sind Din­ge gewor­den, und ich habe es, weil ich die Mög­lich­keit habe, es mir anzu­eig­nen. Aber es besteht auch die umge­kehr­te Bezie­hung: Es hat mich, da mein Iden­ti­täts­ge­fühl bzw. mei­ne psy­chi­sche Gesund­heit davon abhängt, es und so vie­le Din­ge wie mög­lich zu haben. Die Exis­ten­z­wei­se des Habens wird nicht durch einen leben­di­gen, pro­duk­ti­ven Pro­zess zwi­schen Sub­jekt und Objekt her­ge­stellt. Sie macht Sub­jekt und Objekt zu Din­gen. Die Bezie­hung ist tot, nicht lebendig.

Erich Fromm genoss in der Auf­bruch­stim­mung der 60-er und 70er-Jah­re bei­na­he Kult­sta­tus. Heu­te ist er mit sei­nen tief­grün­di­gen Ana­ly­sen zu unse­rer Gesell­schaft­struk­tur wie­der ziem­lich in Ver­ges­sen­heit gera­ten, — zu Unrecht!

Fort­set­zung am kom­men­den Frei­tag, den 7. Juni

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