Gesellschaften, in denen Ego­is­mus, Selb­st­sucht und Habgi­er nicht existierten, wur­den als “prim­i­tiv”, ihre Mit­glieder als “naiv” abqual­i­fiziert, hat der birsfaelder.li-Schreiberling Erich Fromm in der let­zten Folge zitiert. Dass dem tat­säch­lich so ist, hat uns das Beispiel John Lock­es gezeigt, der auf­grund sein­er The­o­rie des Besitzes grünes Licht für die Inbe­sitz­nahme des Bodens durch weisse Siedler in den englis­chen Kolonien Nor­damerikas gab mit der Begrün­dung, die Indi­ge­nen hät­ten das göt­tliche Natur­recht ver­let­zt. Dass diese sich heute gegen die Unter­stel­lung vehe­ment wehren, hat die birsfaelder.li-Serie A Basic Call of Con­scious­ness aufgezeigt.

Die Abkop­pelung des Wirtschaftssys­tems von der Ethik hat­te gemäss Fromm eine weit­ere Folge:
Das Ver­hält­nis des Men­schen zur Natur wurde zutief­st feind­selig. Wir Men­schen sind eine „Laune der Natur“, denn auf Grund unser­er Exis­tenzbe­din­gun­gen sind wir Teil der Natur, doch auf Grund unser­er Ver­nun­ft­be­gabung tran­szendieren wir sie. Wir haben ver­sucht, dieses Prob­lem unser­er Exis­tenz dadurch zu lösen, dass wir die mes­sian­is­che Vision der Har­monie zwis­chen Men­schheit und Natur auf­gaben, indem wir uns die Natur unter­tan macht­en und für unsere eige­nen Zwecke umgestal­teten, bis aus der Unter­jochung der Natur mehr und mehr deren Zer­störung wurde. Unser Eroberungs­drang und unsere Feind­seligkeit haben uns blind gemacht für die Tat­sache, dass die Naturschätze begren­zt sind und eines Tages zur Neige gehen kön­nen, und dass sich die Natur gegen die Raubgi­er der Men­schen zur Wehr set­zen wird.

Vor 50 Jahren (!!), 1972 und 1974, erschienen die bei­den Berichte des “Club of Rome” und erregten damals viel Auf­se­hen. Sie pos­tulierten näm­lich, dass nur drastis­che, nach einem weltweit­en Plan durchge­führte ökonomis­che und tech­nol­o­gis­che Verän­derun­gen eine “grosse, let­ztlich glob­ale Katas­tro­phe” ver­hin­dern könne. Die Autoren kamen damals zum Schluss, dass dies aber nur möglich werde, wenn ein fun­da­men­taler Wan­del der men­schlichen Grundw­erte und Ein­stel­lun­gen “im Sinne ein­er neuen Ethik und ein­er neuen Ein­stel­lung zur Natur” erfolge. Erich Fromm ergänzte, dass sei aber nur möglich, “wenn sich par­al­lel zu deren Entwick­lung­sprozess eine neuer Men­sch entwick­elt, oder, beschei­den­er aus­ge­drückt, wenn sich die heute vorherrschende Charak­ter­struk­tur des Men­schen grundle­gend wan­delt. (…)

Die Notwendigkeit ein­er radikalen men­schlichen Verän­derung ist deshalb wed­er nur eine ethis­che oder religiöse Forderung noch auss­chließlich ein psy­chol­o­gis­ches Pos­tu­lat, das sich aus der patho­genen Natur unseres gegen­wär­ti­gen Gesellschafts-Charak­ters ergibt, son­dern sie ist auch eine Voraus­set­zung für das nack­te Über­leben der Men­schheit. Richtig leben heißt nicht länger, nur ein ethis­ches oder religiös­es Gebot erfüllen. Zum ersten Mal in der Geschichte hängt das physis­che Über­leben der Men­schheit von ein­er radikalen seel­is­chen Verän­derung des Men­schen ab. Dieser Wan­del im „Herzen“ des Men­schen ist jedoch nur in dem Maße möglich, in dem drastis­che ökonomis­che und soziale Verän­derun­gen ein­treten, die ihm die Chance geben, sich zu wan­deln, und den Mut und die Vorstel­lungskraft, die er braucht, um diese Verän­derung zu erre­ichen.

In der Ein­leitung zum Kapi­tel “Gibt es eine Alter­na­tive zur Katas­tro­phe?” stellt Fromm dann die Frage:
Wie ist es möglich, dass der stärk­ste aller Instink­te, der Selb­ster­hal­tungstrieb, nicht mehr zu funk­tion­ieren scheint? Eine der am näch­sten liegen­den Erk­lärun­gen ist, dass die Poli­tik­er mit vielem, was sie tun, vorgeben, wirk­same Maß­nah­men zur Abwen­dung der Katas­tro­phe zu ergreifen. End­lose Kon­feren­zen, Res­o­lu­tio­nen und Abrüs­tungsver­hand­lun­gen erweck­en den Ein­druck, als habe man die Prob­leme erkan­nt und unternehme etwas zu ihrer Lösung. De fac­to geschieht zwar nichts, was uns wirk­lich weit­er­hil­ft, aber Führer und Geführte betäuben ihr Gewis­sen und ihren Über­lebenswun­sch, indem sie sich den Anschein geben, den Weg zu ken­nen und in die richtige Rich­tung zu marschieren.

Und er gibt eine mögliche Erk­lärung dafür, dass die vom Sys­tem her­vorge­brachte Selb­st­sucht die Poli­tik­er ver­an­lasst, ihren per­sön­lichen Erfolg höher zu bew­erten als ihre gesellschaftliche Ver­ant­wor­tung. Nie­mand empfind­et es mehr als schock­ierend, wenn Staats- und Wirtschafts­führer Entschei­dun­gen tre­f­fen, die ihnen zum per­sön­lichen Vorteil zu gere­ichen scheinen, dabei aber schädlich und gefährlich für die Gemein­schaft sind. Wenn die Selb­st­sucht eine der Säulen der heute prak­tizierten Ethik ist, muss man sich in der Tat fra­gen, warum sie sich anders ver­hal­ten soll­ten. Sie scheinen nicht zu wis­sen, dass Habgi­er (eben­so wie Unter­w­er­fung) die Men­schen ver­dummt und sie unfähig macht, ihre eige­nen wahren Inter­essen zu ver­fol­gen, ob diese nun ihr eigenes Leben oder das ihrer Frauen und Kinder betr­e­f­fen. (Siehe dazu J. Piaget, 1932.) Gle­ichzeit­ig ist der Durch­schnitts­men­sch so selb­st­süchtig mit seinen Pri­vatan­gele­gen­heit­en beschäftigt, dass er allem, was über seinen per­sön­lichen Bere­ich hin­aus­ge­ht, nur wenig Beach­tung schenkt.   

Wie gerecht­fer­tigt dieses harsche Urteil für jede(n) von uns gerecht­fer­tigt ist, muss jede® mit sich selb­st abmachen 😉  …

Aber am stärk­sten geis­selt er unseren Unwillen, wahrhaftig und in allem Ernst nach einem alter­na­tiv­en Gesellschaft­mod­ell zu suchen, das wirk­lich lebens­fre­undlich ist:
Ich spreche von der Ansicht, es gebe keine Alter­na­tiv­en zum Monopolka­p­i­tal­is­mus, zum sozialdemokratis­chen oder sow­jetis­chen Sozial­is­mus oder zum tech­nokratis­chen „Faschis­mus mit lächel­n­dem Gesicht“. Die Pop­u­lar­ität dieser Ansicht ist zum großen Teil darauf zurück­zuführen, dass kaum der Ver­such unter­nom­men wurde, die Möglichkeit­en ein­er Ver­wirk­lichung völ­lig neuer Gesellschaftsmod­elle zu unter­suchen und entsprechende Exper­i­mente zu machen. Und darüber hin­aus: Solange die Prob­leme ein­er Umfor­mung der Gesellschaft nicht wenig­stens annäh­ernd den Platz in den Köpfen unser­er Wis­senschaftler ein­nehmen, den die Natur­wis­senschaften und die Tech­nik innehaben, und solange deshalb [3] die Wis­senschaft vom Men­schen nicht die Anziehung hat, die der Natur­wis­senschaft und Tech­nik bish­er vor­be­hal­ten waren, wer­den Kraft und Vision man­geln, neue und reale Alter­na­tiv­en zu sehen.

Wir bleiben in den näch­sten Fol­gen bei diesem Mah­n­er: Fort­set­zung am kom­menden Fre­itag, den 16. März.

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