In einem Artikel im Spiegel vom Februar 2025 untersuchte der Spiegel-Kolumnist Sacha Lobo die Funktion des Lügens im Trump-Universum und generell in autokratischen Regimes. Hier ein Auszug:
Wenn es ein Leitmotiv des Autoritarismus gibt, dann ist es die Lüge. Trump lügt, J.D. Vance lügt, Putin lügt, Xi lügt, die AfD lügt. Natürlich wird auch in Demokratien und von liberalen Demokrat:innen gelogen, aber deren Lügen haben eine andere Qualität, sie dienen meist der Verschleierung oder Ablenkung. Das ist unredlich und schadet Politik, System und Gesellschaft – aber es ist in gewissem Maß strukturell verkraftbar.
Die Lüge im Autoritarismus hingegen folgt einem anderen, ungleich schädlicheren Muster. Sie zielt einerseits auf die Erschaffung einer Fakerealität ab, die jedes eigene Vorgehen zu rechtfertigen scheint. Gleichzeitig aber ist die Lüge eines der wirkmächtigsten Loyalitätsinstrumente. Und Loyalität ist aus Sicht der Führung im Autoritarismus wichtiger als buchstäblich alles andere.
In dieser Hinsicht ergibt sich besonders aus Donald Trumps offensichtlichen Lügen eine interessante Erkenntnis. Je offensichtlicher die Lüge ist, desto besser eignet sie sich zur Loyalitätsbestimmung. Bei ihm war es in Vorwahlkampfzeiten perfekt nachvollziehbar anhand der großen Lüge der gestohlenen Wahl 2020. Wer bei Trump irgendetwas werden wollte, wer nicht in seinen destruktiven Bannstrahl geraten wollte, musste sich diese Lüge zu eigen machen. Wenn das Publikum sieht, dass jemand eine offenkundige Lüge stützt, ist die implizite Botschaft: Auch ich stelle die Loyalität über die Realität, auch für mich ist die Wahrheit Macht- und Verhandlungssache. »Der Himmel ist grün«, sagt Trump, »der Himmel ist grün«, beten seine Untergebenen (und solche, die es werden wollen) nach. Eine offene, gut erkennbare Lüge in der Öffentlichkeit zu wiederholen, ist die maximale Unterwerfung. Für Außenstehende, Unbedarfte und Radikalisierte ist es zugleich ein weiterer Baustein einer Fakerealität.
Es ist nun interessant zu sehen, wie Lügen den gesamten Werdegang Trumps begleitet haben. Hier drei Beispiele:
● Während seiner ganzen Karriere präsentierte sich Trump als Selfmade-Man, der es mit Hilfe eines “kleinen Darlehens” über eine Million $ seines Vaters schaffte, sich im “brutalen Immobilienmarkt New Yorks mit Entschlossenheit, Weitblick und beispiellosen Verhandlungsfähigkeiten” (Hartmann) durchzusetzen. Lüge: Trump erhielt mindestens 413 Millionen Dollar aus dem Immobilienimperium seines Vaters.
● Am 11. September 2023 erklärte sein ehemaliger Buchhalter unter Eid, dass die “Trump Organization” das Vermögen Trumps jahrzehntelang manchmal um Milliarden Dollar aufgebläht habe, um an Kredite und Geschäftsmöglichkeiten zu kommen. “Immobilien waren auf dem Papier plötzlich doppelt so viel wert, Apartmentgebäude wuchsen um fiktive Stockwerke. Auf Golfplätzen entstanden imaginäre Villen, die zum Verkauf standen”.
● 1987 erschien “The Art of the Deal”, das der Glorifizierung von Trump als genialer Dealmaker diente. Es stand fast ein Jahr
lang auf der Bestsellerliste der NYTimes. Geschrieben wurde es vom Ghostwriter Tony Schwartz, der sich später dafür entschuldigte: “In einem bemerkenswerten Interview mit dem New Yorker aus dem Jahr 2016 drückte Schwartz sein tiefes Bedauern über seine Rolle bei der Schaffung der Trump-Mythologie aus: „Ich habe einem Schwein Lippenstift aufgetragen. Ich empfinde tiefe Reue darüber, dass ich dazu beigetragen habe, Trump auf eine Weise zu präsentieren, die ihm mehr Aufmerksamkeit verschafft und ihn attraktiver gemacht hat, als er ist. “
Schwartz enthüllte, dass die Darstellung Trumps als brillanter Geschäftsmann in dem Buch weitgehend fiktiv war. Trumps angebliche Geschäftsphilosophie – deren vielleicht bekanntester Begriff „wahrheitsgemäße Übertreibung“ ist – wurde von Schwartz erfunden, um das, was in Wirklichkeit zwanghaftes Lügen war, positiv darzustellen. „‚Wahrheitsgemäße Übertreibung‘ war mein Euphemismus für eine Lüge“, erklärte Schwartz. (Hartmann)
Tatsache ist, dass Trump zwischen 1991 und 2009 sechs Mal Insolvenz anmeldete — “ein beispielloser Rekord für eine amerikanische Wirtschaftspersönlichkeit. Zu seinen Misserfolgen zählen das Trump Taj Mahal (1991), das Trump Plaza Hotel and Casino (1992), das Trump Castle Casino Resort (1992), das Plaza Hotel in New York (1992), Trump Hotels & Casino Resorts (2004) und Trump Entertainment Resorts (2009).
Das Muster war immer dasselbe. Trump sicherte sich die Finanzierung für grandiose Projekte, oft indem er persönlich für Teile der Kredite bürgte. Er startete mit großem Tamtam und Selbstbeweihräucherung. Dann setzte die Realität ein – in Form von Missmanagement, Marktabschwüngen oder schlichtweg mathematischer Unmöglichkeit. Die Unternehmen gingen pleite, Investoren verloren Milliarden, aber Trump selbst kam bemerkenswert unbeschadet davon. (…) Aber Trumps Misserfolge waren nicht ohne Opfer. Die wirklichen Opfer waren die kleinen Unternehmen, die in seinem Sog gerieten, (…) USA Today identifizierte mindestens sechzig Klagen von normalen Amerikanern – Tischlern, Malern, Glasfirmen, sogar einem Toilettenhersteller –, die behaupteten, Trump habe sich geweigert, sie für ihre Arbeit zu bezahlen. Für diese Auftragnehmer war es nicht nur ein Geschäft. Es war wirtschaftliche Gewalt. (Hartmann)
Wie schaffte es Trump, sich dennoch den Ruf eines genialen Geschäftemachers zu erarbeiten?
Dazu mehr in der nächsten Folge am kommenden Donnerstag, den 6. November.
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