Fort­set­zung des Arti­kels aus der NewYork Times vom 21. Juli:

I. Ein mora­li­scher Kom­pass ist wichtig

Prä­si­den­ten wer­den täg­lich mit Her­aus­for­de­run­gen kon­fron­tiert, die nicht nur Stär­ke und Über­zeu­gung erfor­dern, son­dern auch Ehr­lich­keit, Beschei­den­heit, Selbst­lo­sig­keit, Stand­haf­tig­keit und die Per­spek­ti­ve, die sich aus einem gesun­den mora­li­schen Urteil ergibt.

Wenn Donald Trump über die­se Qua­li­tä­ten ver­fügt, haben die Ame­ri­ka­ner sie noch nie in Akti­on im Inter­es­se der Nati­on gese­hen. Sei­ne Wor­te und Taten zeu­gen von einer Miss­ach­tung grund­le­gen­der Rech­te und Unrech­te und von einem ein­deu­ti­gen Man­gel an mora­li­scher Eig­nung für die Ver­ant­wor­tung des Präsidentenamtes.

Er lügt unver­hoh­len und bös­wil­lig, umarmt Ras­sis­ten, miss­braucht Frau­en und hat den Instinkt eines Schul­hof­schlä­gers, sich an den Schwächs­ten der Gesell­schaft zu ver­grei­fen. Er erfreut sich an der Ver­ro­hung und Pola­ri­sie­rung der Gesell­schaft durch eine immer spal­ten­de­re und auf­rüh­re­ri­sche­re Spra­che. Trump ist ein Mann, der sich nach Bestä­ti­gung und Recht­fer­ti­gung sehnt, und zwar so sehr, dass er die Lügen eines feind­li­chen Füh­rers den Wahr­hei­ten sei­ner eige­nen Geheim­diens­te vor­zie­hen wür­de und einen ver­letz­li­chen Ver­bün­de­ten für einen kurz­fris­ti­gen poli­ti­schen Vor­teil aus dem Weg räu­men wür­de. Sein Umgang mit allem, von Rou­ti­ne­an­ge­le­gen­hei­ten bis hin zu gro­ßen Kri­sen, wur­de durch sei­ne unge­schick­te Kom­bi­na­ti­on aus Impul­si­vi­tät, Unsi­cher­heit und unbe­dach­ter Gewiss­heit untergraben.

Die­se Bilanz zeigt, was mit einem Land pas­sie­ren kann, das von einer sol­chen Per­son geführt wird: Das Image, die Glaub­wür­dig­keit und der Zusam­men­halt Ame­ri­kas wur­den von Herrn Trump wäh­rend sei­ner Amts­zeit uner­bitt­lich untergraben.

Kei­ne sei­ner unrecht­mä­ßi­gen Hand­lun­gen ist so offen­sicht­lich dis­kre­di­tie­rend wie sei­ne ent­schlos­se­nen und sys­te­ma­ti­schen Ver­su­che, die Inte­gri­tät von Wah­len — das grund­le­gends­te Ele­ment jeder Demo­kra­tie — zu unter­gra­ben, eine Anstren­gung, die in einem Auf­stand im Kapi­tol gip­fel­te, um die fried­li­che Macht­über­ga­be zu behindern.

Am 6. Janu­ar 2021 sta­chel­te Trump einen Mob mit hass­erfüll­ten Lügen zur Gewalt an und sah dann stun­den­lang zu, wie Hun­der­te sei­ner Anhän­ger ihm aufs Wort folg­ten und das Kapi­tol stürm­ten, um die Mit­glie­der des Kon­gres­ses zu ter­ro­ri­sie­ren, damit er im Amt bleibt. Er lob­te die­se Auf­rüh­rer und nann­te sie Patrio­ten; heu­te gibt er ihnen bei Wahl­kampf­ver­an­stal­tun­gen eine Haupt­rol­le, indem er die Natio­nal­hym­ne spielt, die von den am 6. Janu­ar betei­lig­ten Häft­lin­gen gesun­gen wur­de, und er hat ver­spro­chen, im Fal­le sei­ner Wie­der­wahl die Begna­di­gung der Auf­rüh­rer zu erwä­gen. Er tut dem Land und sei­nen Wäh­lern wei­ter­hin Unrecht, indem er über die Wahl 2020 lügt und sie als gestoh­len bezeich­net, obwohl die Gerich­te, das Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um und repu­bli­ka­ni­sche Staats­be­am­te ihm wider­spre­chen. Kein Mann, der für die Prä­si­dent­schaft geeig­net ist, wür­de solch ver­derb­li­che und zer­stö­re­ri­sche Lügen über demo­kra­ti­sche Nor­men und Wer­te ver­brei­ten, aber der Hun­ger von Trump nach Rache und Ver­gel­tung hat kei­nen mora­li­schen Kern.

Wenn man eine sol­che Per­son mit den weit­rei­chen­den Befug­nis­sen des Prä­si­den­ten­am­tes aus­stat­tet, gefähr­det man die ame­ri­ka­ni­schen Inter­es­sen und die Sicher­heit im In- und Aus­land. Der Ober­be­fehls­ha­ber der Nati­on muss den Eid auf­recht­erhal­ten, “die Ver­fas­sung zu bewah­ren, zu schüt­zen und zu ver­tei­di­gen”. Das ist das, was in die­ser säku­la­ren Nati­on einem hei­li­gen Ver­trau­en am nächs­ten kommt. Der Prä­si­dent hat meh­re­re Pflich­ten und Befug­nis­se, die ihm allein zuste­hen: Er hat die allei­ni­ge Befug­nis, eine Atom­waf­fe ein­zu­set­zen. Er ist befugt, ame­ri­ka­ni­sche Trup­pen in die Gefah­ren­zo­ne zu schi­cken und die Anwen­dung töd­li­cher Gewalt gegen Ein­zel­per­so­nen und ande­re Natio­nen zu geneh­mi­gen. Ame­ri­ka­ner, die im Mili­tär die­nen, haben einen Eid auf die Ver­tei­di­gung der Ver­fas­sung abge­legt und ver­las­sen sich dar­auf, dass ihr Ober­be­fehls­ha­ber die­sen Eid genau­so ernst nimmt wie sie selbst.

Donald Trump hat wie­der­holt gezeigt, dass er das nicht tut. Bei zahl­rei­chen Gele­gen­hei­ten hat er sei­nen Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter und die Kom­man­deu­re der ame­ri­ka­ni­schen Streit­kräf­te auf­ge­for­dert, die­sen Eid zu bre­chen. Bei ande­ren Gele­gen­hei­ten ver­lang­te er von den Mit­glie­dern des Mili­tärs, gegen Nor­men zu ver­sto­ßen, die die Wür­de der Streit­kräf­te wah­ren und das Mili­tär davor schüt­zen, für poli­ti­sche Zwe­cke miss­braucht zu wer­den. Sie ver­wei­ger­ten die­se ille­ga­len und unmo­ra­li­schen Befeh­le weit­ge­hend, wie es der Eid verlangt.

Die feh­len­de mora­li­sche Grund­la­ge unter­gräbt Herrn Trump sogar in Berei­chen, in denen die Wäh­ler ihn für stär­ker hal­ten und ihm mehr ver­trau­en als Herrn Biden, wie Ein­wan­de­rung und Kri­mi­na­li­tät. Er hat gesagt, dass Ein­wan­de­rer ohne Papie­re “das Blut unse­res Lan­des ver­gif­ten”, und sei­ne Bera­ter sagen, dass er sie in Mas­sen­haft­la­gern zusam­men­trei­ben und das Geburts­recht auf­he­ben wür­de. Er hat ange­deu­tet, dass er im Fal­le von Unru­hen oder einem Anstieg der Kri­mi­na­li­tät ein­sei­tig Trup­pen in ame­ri­ka­ni­sche Städ­te schi­cken wür­de. Er hat sei­ne Bera­ter gefragt, ob die Ver­ei­nig­ten Staa­ten Migran­ten unter­halb der Gür­tel­li­nie erschie­ßen könn­ten, um sie zu brem­sen, und er hat gesagt, dass er das Auf­stands­ge­setz anwen­den wür­de, um das Mili­tär gegen Demons­tran­ten einzusetzen.

Wäh­rend sei­ner Amts­zeit ist nichts von alle­dem gesche­hen, weil es in der mili­tä­ri­schen Füh­rung genü­gend Leu­te gab, die die mora­li­sche Eig­nung hat­ten, zu sol­chen ille­ga­len Befeh­len “Nein” zu sagen. Es gibt jedoch gute Grün­de, sich Sor­gen zu machen, ob dies wie­der gesche­hen könn­te, da Herr Trump sich immer mehr mit Leu­ten umgibt, die sei­ne heim­tü­ckischs­ten Impul­se eher unter­stüt­zen als bremsen.

Der Obers­te Gerichts­hof hat mit sei­nem Urteil vom 1. Juli, das Prä­si­den­ten “abso­lu­te Immu­ni­tät” für Amts­hand­lun­gen gewährt, ein Hin­der­nis für Trumps schlimms­te Impul­se besei­tigt: die Dro­hung mit recht­li­chen Kon­se­quen­zen. Was bleibt, ist sein eige­nes Gefühl für Recht und Unrecht. Die Zukunft unse­res Lan­des ist zu kost­bar, als dass wir uns auf einen der­art zer­bro­che­nen mora­li­schen Kom­pass ver­las­sen könnten.

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