Erich Fromm fordert einen Wan­del vom “bürokratis­chen Man­age­ment” hin zu einem “human­is­tis­chen”. Unter ersterem ver­ste­ht er, dass a) Men­schen wie Dinge ver­wal­tet wer­den und b) Dinge nach quan­ti­ta­tiv­en statt qual­i­ta­tiv­en Gesicht­spunk­ten behan­delt wer­den, um die Quan­tifizierung und Kon­trolle zu erle­ichtern und zu ver­bil­li­gen. Das bürokratis­che Ver­fahren wird von sta­tis­tis­chen Dat­en ges­teuert. Bürokrat­en han­deln auf Grund star­rer Regeln, die auf sta­tis­tis­chen Dat­en basieren, nicht in spon­tan­er Reak­tion auf die vor ihnen ste­hen­den Per­so­n­en.

Das Haupt­merk­mal von Bürokrat­en: Man­gel an men­schlichem Mit­ge­fühl und Vergötzung von Vorschriften. Als extremes Beispiel führt er Adolf Eich­mann an, den Schreibtis­chtäter im Drit­ten Reich, der Hun­dert­tausende Juden aus ganz Europa in die Ver­nich­tungslager schick­en liess und der sich in seinem Leben ger­ade zweimal schuldig fühlte: ein­mal beim Schuleschwänzen und ein­mal beim Nicht­be­fol­gen des Befehls, bei einem Luftan­griff den Luftschutzkeller aufzusuchen.

Die “bürokratis­che Hal­tung” ist aber nicht auf Beamte beschränkt:
… sie ist auch unter Ärzten, Schwest­ern, Lehrern und Pro­fes­soren zu find­en sowie unter Ehemän­nern und Eltern gegenüber ihren Frauen bzw. Kindern.
Sobald der lebendi­ge Men­sch zu ein­er Num­mer reduziert ist, kann der echte Bürokrat Akte äußer­ster Grausamkeit bege­hen, nicht weil er von einem seinen Tat­en entsprechen­den Maß an Grausamkeit dazu getrieben würde, son­dern weil ihn kein men­schlich­es Band mehr mit seinem Untergebe­nen verbindet. Obzwar die Bürokrat­en weniger Abscheu erre­gen als reine Sadis­ten, sind sie gefährlich­er als diese, da sie nicht ein­mal einen Kon­flikt zwis­chen Gewis­sen und Pflicht auszu­tra­gen haben: Ihr Gewis­sen ist iden­tisch mit Pflichter­fül­lung. Mit Men­schen Mit­ge­fühl und Mitleid zu haben, gibt es für sie nicht.

Seien wir ehrlich: Diese bürokratis­che Seite tra­gen wir alle mehr oder weniger aus­geprägt in uns. Es ist schon viel gewon­nen, wenn wir ihre Exis­tenz anerken­nen und bewusst machen. Dann kön­nen wir uns auch bewusst gegen sie entschei­den.

Die näch­ste Forderung Fromms für eine wahrhaft men­schliche Gesellschaft kommt wie von einem fer­nen Plan­eten:
In der kom­merziellen und poli­tis­chen Wer­bung sind alle Meth­o­d­en der Gehirn­wäsche zu ver­bi­eten.
Gar nicht auszu­denken, wie er die Sit­u­a­tion heute 50 Jahre später beurteilen würde …

Aus heutiger Sicht genau­so unre­al­is­tisch ist lei­der seine Forderung, dass die Kluft zwis­chen reichen und armen Natio­nen geschlossen wer­den müsse. Man kön­nte auch hinzufü­gen: zwis­chen dem 1% der Oli­garchen weltweit und den 50% der Habenicht­sen.

Heute wieder aktuell ist hinge­gen sein Vorschlag
Viele Übel der heuti­gen kap­i­tal­is­tis­chen … Gesellschaften wären durch die Garantie eines jährlichen Min­desteinkom­mens zu beseit­i­gen

Seine Argu­men­ta­tion ist bedenkenswert:
Diesem Vorschlag liegt die Überzeu­gung zugrunde, dass jed­er Men­sch, gle­ichgültig, ob er arbeit­et oder nicht, das bedin­gungslose Recht hat, nicht zu hungern und nicht obdach­los zu sein. Er soll nicht mehr erhal­ten, als zum Leben nötig ist – aber auch nicht weniger. Dieses Recht scheint uns heute eine neue Auf­fas­sung auszu­drück­en, doch in Wirk­lichkeit han­delt es sich um eine sehr alte Norm, die sowohl in der christlichen Lehre ver­ankert ist als auch von vie­len „prim­i­tiv­en“ Stäm­men prak­tiziert wird: dass der Men­sch das uneingeschränk­te Recht zu leben hat, ob er seine „Pflicht gegenüber der Gesellschaft“ erfüllt oder nicht. Es ist ein Recht, das wir unseren Haustieren, nicht aber unseren Mit­men­schen zugeste­hen.

Aber er sieht auch dur­chaus hand­feste Vorteile ein­er solchen Lösung:
Wenn man sich die Kosten vor Augen hält, die eine weit verzweigte Sozial­hil­febürokratie heute verur­sacht, und dazu die Kosten der Behand­lung physis­ch­er, ins­beson­dere psy­cho­so­ma­tis­ch­er Krankheit­en sowie der Bekämp­fung der Krim­i­nal­ität und der Dro­gen­ab­hängigkeit rech­net, so ergibt sich ver­mut­lich, dass die Kosten für jene Per­so­n­en, die ein jährlich­es Min­desteinkom­men in Anspruch nehmen wollen, geringer wären als die Aus­gaben für unsere gegen­wär­tige Wohlfahrt. Dieser Gedanke wird all jenen undurch­führbar oder gefährlich erscheinen, die überzeugt sind, dass „Men­schen von Natur aus faul“ sind. Dieses Klis­chee hat jedoch keine fak­tis­chen Grund­la­gen; es ist ein­fach ein Schlag­wort, das zur Ratio­nal­isierung der Weigerung dient, auf das Bewusst­sein der Macht über die Schwachen und Hil­flosen zu verzicht­en.

Fort­set­zung am kom­menden Fre­itag, den 21. März

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