Etwas gewöh­nungs­bedürftig ist die Ansicht Hegels, dass auch unser Kör­p­er nicht ein­fach uns gehört, son­dern von uns eben­falls wil­lentlich in Besitz genom­men wer­den muss:
Das Sub­jekt muss seinen Kör­p­er als seinen Kör­p­er wollen: „Aber als Per­son habe ich zugle­ich mein Leben und Kör­p­er, wie andere Sachen, nur, insofern es mein Wille ist.“ Um meinen Kör­p­er — und somit die Integrität mein­er Per­son — wirk­lich zu besitzen, muss ich ihn, wie alle anderen äußeren Gegen­stände auch, formieren, ihn wil­lentlich bear­beit­en und bilden. Erst durch diese Iden­ti­fika­tion meines Kör­pers mit mir als Sub­jekt kann ich die Gewalt, die meinem Kör­p­er ange­tan wird, als Gewalt ver­ste­hen, die mir ange­tan wird.

Diese Iden­ti­fika­tion mit dem eige­nen Kör­p­er sei gemäss Hegel keine Selb­stver­ständlichkeit, son­dern das Ergeb­nis ein­er geschichtlichen als auch ein­er sozial­isatorischen Leis­tung. Sklaven, so Hegel, sind deshalb unfrei, weil sie diese Leis­tung noch nicht vol­l­zo­gen haben, sie haben sich noch nicht selb­st in Besitz genom­men und sich somit nicht frei gemacht.

Diese Über­legun­gen scheinen dem Schreiber­ling allerd­ings ziem­lich abstrus. Sklaven haben dur­chaus Ver­fü­gungs­ge­walt über ihren Kör­p­er — sie kön­nen entschei­den, Selb­st­mord zu bege­hen — , aber sie ist durch äussere Umstände, für die sie nichts kön­nen,  eingeschränkt. Wenn Hegel also meint, Sklaven seien deshalb unfrei, weil sie die Leis­tung der Iden­ti­fika­tion noch nicht vol­l­zo­gen hät­ten, hat das einen zynis­chen Beigeschmack. Spätestens nach den ersten Peitschen­hieben dürfte sie hergestellt wor­den sein …

Ein­leuch­t­en­der ist die Aus­sage, dass die Inbe­sitz­nahme eines Gegen­standes kein ein­ma­liger Akt ist:
Die Inbe­sitz­nahme eines Gegen­standes ist nach seinem Erwerb nicht abgeschlossen. Da sich die Frei­heit des Wil­lens ein­er Per­son nur durch eine inten­tionale Gerichteth­eit, das heißt durch eine spez­i­fis­che men­tale Anwe­sen­heit, real­isieren kann, darf diese nicht erlöschen, sobald eine Sache ein­mal erwor­ben wurde. Vielmehr beschreibt Hegel die Inbe­sitz­nahme als eine Art kon­tinuier­lichen Prozess, der nicht unter­brochen wer­den darf, solange sich das Sub­jekt auf einen Gegen­stand als seinen bezieht; er muss sozusagen immer wieder neu in Besitz genom­men wer­den.

Für das Inbe­sitzbe­hal­ten ist also der Wille der Eigen­tümer notwendig.
Dieser Wille äußert sich in Form des Gebrauchs, das heißt inVerän­derung, Ver­nich­tung, Verzehrung der Sache“.  Fällt dieser Gebrauch weg, so ist dies ein Zeichen für die Abwe­sen­heit meines Wil­lens in der Sache, wom­it die Sache wiederher­ren­loswird. Ver­jährung führt zum Ver­lust eines Eigen­tum­sti­tels auch ohne explizites Aufgeben der Sache durch die Eigen­tümerin — das Desin­ter­esse als Abwe­sen­heit eines sich in der Sache aktu­al­isieren­den Wil­lens reicht für Hegel aus, um das Eigen­tum­srecht an ein­er Sache für obso­let zu erk­lären.

Neben der Inbe­sitz­nahme ein­er Sache und deren Gebrauch gibt es noch ein weit­eres Ver­hält­nis, das eine Per­son zu ein­er Sache innehat: Sie kann sie wil­lentlich weggeben, ver­schenken oder verkaufen. Damit kommt ein weit­eres Sub­jekt ins Spiel.
Hier find­et der Über­gang von der Ebene der Sub­jek­tiv­ität zur Ebene der Inter­sub­jek­tiv­ität statt. Schon weil die innere Beziehung auf einen Gegen­stand nicht aus­re­icht, um ihn in Besitz zu nehmen, son­dern eine physis­che Seite hat, ist das Ver­hält­nis ein­er Eigen­tümerin zu ein­er Sache zugle­ich auch ein Ver­hält­nis zu anderen Per­so­n­en. Denn die Inbe­sitz­nahme muss für andere erkennbar sein, damit sie als wirk­lich gel­ten kann.

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