Der Jour­nal­ist und Dozent für Poli­tik­wis­senschaft an der der Uni­ver­si­ty of Penn­syl­va­nia Damon Link­er hat sich auf dem Per­sua­sion-Blog die Frage gestellt, auf welche Weise die amerikanis­che Demokratie in eine Autokratie umkip­pen kön­nte, und illus­tri­ert seine Über­legun­gen dazu mit dem bekan­nten “Boil­ing Frog Syn­drom”:
Ver­sucht man einen Frosch in heißes Wass­er zu set­zen, wird er sofort wieder her­aussprin­gen. Obwohl Frösche Kalt­blüter sind und ihre Kör­pertem­per­atur der Umge­bung anpassen, spüren sie unmit­tel­bar die Gefahr für Leib und Leben. Ganz anders, wenn man einen Frosch in einen Topf mit kaltem Wass­er set­zt und diesen langsam erhitzt. Obwohl es für den Frosch darin immer unbe­que­mer wird, bleibt er sitzen, passt sich an und har­rt aus – so lange, bis es für einen Absprung zu spät ist und er ver­brüht.

Hier ein Auszug aus seinem Artikel
Wie man erken­nt, wann der Frosch gekocht ist!
Die Autokratie in Ameri­ka wird sich nicht so entwick­eln, wie Sie es erwarten.

(…) Während der ersten Amt­szeit von Trump war ich skep­tisch gegenüber denen, die davor warn­ten, dass Trump die Demokratie stürzen und durch eine Form der Autokratie erset­zen würde. (Damals machte ich mir mehr Sor­gen über die Aus­sicht auf einen Bürg­erkrieg, auch wenn ich das für ziem­lich unwahrschein­lich hielt.) Aber die ersten Monate der zweit­en Amt­szeit von Trump haben meine Mei­n­ung geän­dert. Ich glaube nun, dass sich die Vere­inigten Staat­en dur­chaus zu einem wet­tbe­werb­sori­en­tierten autoritären Sys­tem entwick­eln kön­nten, in dem zwar weit­er­hin freie Wahlen stat­tfind­en, diese jedoch bei weit­em nicht fair sind.

Aber was soll man denen sagen, die dies in aller Aufrichtigkeit als über­triebene Hys­terie beze­ich­nen? Was kön­nte sie vom Gegen­teil überzeu­gen? Warum sehen sie die sich häufend­en Beweise nicht? Wie kann ich sich­er sein, dass ich nicht hal­luziniere – oder meine Äng­ste auf die Welt pro­jiziere, anstatt nüchtern und empirisch auf die Fak­ten und Trends zu reagieren?

Mit einem Wort: Wie wer­den wir wis­sen, ob wir einen Wan­del zu ein­er anderen Regierungs­form durch­laufen haben?

Kon­ti­nu­itäten und Diskon­ti­nu­itäten

Viele Men­schen auf bei­den Seit­en dieser Debat­te gehen von ein­er unaus­ge­sproch­enen und unhin­ter­fragten Annahme aus: Die Vere­inigten Staat­en ste­hen derzeit ein­deutig auf der Seite der Demokratie, und ein Über­gang zur Autokratie, sollte er kom­men, würde mit einem drama­tis­chen und eben­so ein­deuti­gen Bruch damit ein­herge­hen, wobei Don­ald Trump sich offen dem Ober­sten Gericht­shof wider­set­zen, Wahlen absagen und sich zum Dik­ta­tor auf Leben­szeit ernen­nen würde – oder so etwas in der Art.

Selb­st das schlimm­ste Szenario, das ich schon lange vor den Wahlen 2024 befürchtet habe, würde sich ziem­lich ein­deutig abze­ich­nen: Masse­nun­ruhen, aus­gelöst durch Razz­ien der Ein­wan­derungs­be­hörde ICE, kön­nten Trump dazu ver­an­lassen, das Auf­s­tands­ge­setz zu ver­hän­gen, mit dem er Mil­itär in zahlre­ichen Städten sta­tion­ieren kann. Wenn die Unruhen anhal­ten, kön­nten sie sich so weit aus­bre­it­en und so drastisch wer­den, dass mehrere Regio­nen der Vere­inigten Staat­en (fast alle stark demokratisch geprägte Städte) de fac­to unter Kriegsrecht ste­hen wür­den.

Solche Szenar­ien bein­hal­ten aus­nahm­s­los, dass der Präsi­dent ein­seit­ig und unter aus­drück­lich­er oder stillschweigen­der Mis­sach­tung von Geset­zen, Nor­men, Gericht­surteilen und/oder der Ver­fas­sung han­delt. Die zen­trale Annahme ist, dass Trump irgend­wann eine klare Gren­ze über­schre­it­en wird, die allen deut­lich macht, dass wir nicht mehr in ein­er freien Gesellschaft leben. An einem Tag ist Ameri­ka eine Demokratie, am näch­sten sind wir ein autoritäres Regime. Das Vor­bild hier­für scheint der Reich­stags­brand vom 27. Feb­ru­ar 1933 zu sein, der dem neu ernan­nten deutschen Reich­skan­zler Adolf Hitler als Vor­wand diente, sich inner­halb kürzester Zeit zum Dik­ta­tor zu ernen­nen.

Aber so wird es hier wahrschein­lich nicht ablaufen. Ein Grund dafür ist, dass dies nicht ein­mal eine ganz genaue Darstel­lung der Ereignisse von 1933 ist. Zum einen enthielt die Weimar­er Ver­fas­sung bere­its eine Bes­tim­mung (Artikel 48), die es dem Reich­spräsi­den­ten in Zeit­en nationaler Not­stände ermöglichte, beson­dere ein­seit­ige Befug­nisse auszuüben. Nach dem Reich­stags­brand bestand Hitler darauf, diese Bes­tim­mung durch ver­schiedene Maß­nah­men zu for­mal­isieren, darunter die Reich­stags­brand­verord­nung und das Ermäch­ti­gungs­ge­setz, das dem Reich­skan­zler die Befug­nis gab, Geset­ze ohne Beteili­gung der Leg­isla­tive zu ver­ab­schieden und durchzuset­zen.

Hitler behar­rte darauf, dass diese Neuerun­gen mit Artikel 48 der Weimar­er Ver­fas­sung vere­in­bar seien – was ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Ver­fas­sung vom NS-Regime nie formell abgeschafft wurde. Sie entwick­elte sich lediglich zu einem dik­ta­torischen Sys­tem, wobei aus der früheren lib­er­al-demokratis­chen Ord­nung der Total­i­taris­mus her­vorg­ing. Die Kon­ti­nu­itäten ver­schleierten die Diskon­ti­nu­itäten.

Ver­schiedene Wege zur autokratis­chen Regierung

Auch in den Vere­inigten Staat­en dürften die Kon­ti­nu­itäten die Diskon­ti­nu­itäten ver­schleiern.

Beacht­en Sie, dass mein Worst-Case-Szenario, das darin gipfelt, dass Mil­lio­nen von Amerikan­ern unter Kriegsrecht leben, durch den Insur­rec­tion Act ermöglicht würde – ein Gesetz, das seit 1807 in Kraft ist und bere­its mehrfach angewen­det wurde, ohne dass es zu einem Zusam­men­bruch der Selb­stver­wal­tung in den Vere­inigten Staat­en gekom­men wäre. Das liegt daran, dass frühere Präsi­den­ten es für begren­zte Zeit und in guter Absicht angerufen haben, um Gewalt oder weit ver­bre­it­ete Geset­zesver­stöße zu unter­drück­en. Würde Trump das­selbe tun? Das bleibt abzuwarten.

Aber wenn nicht – wenn er ver­suchen würde, über einen län­geren Zeitraum hin­weg unter Beru­fung auf den Insur­rec­tion Act zu regieren – kön­nten einige Beobachter dann behaupten, dass er damit recht­mäßig han­delt? Auf jeden Fall. Obwohl einige Mit­glieder der Biden-Regierung sich für eine Reform des Insur­rec­tion Act aus­ge­sprochen haben, um den Kongress in den Prozess sein­er Anwen­dung und Aufhe­bung einzubeziehen, wur­den solche Refor­men nie umge­set­zt. Das bedeutet, dass Trump das Gesetz im Falle von Gewalt anwen­den und sich weit­er­hin darauf berufen kön­nte, ohne den Kongress einzubeziehen und ohne jemals gegen das Gesetz oder die Ver­fas­sung zu ver­stoßen.

Aber wie sieht es mit anderen Wegen zu ein­er autokratis­chen Regierung aus?

Nehmen wir an, die Trump-Regierung fol­gt dem Vorschlag des Abge­ord­neten Andy Ogles aus Ten­nessee und lässt den Kan­di­dat­en der Demokratis­chen Partei für das Amt des Bürg­er­meis­ters von New York City, Zohran Mam­dani, ver­haften, ihm die amerikanis­che Staats­bürg­er­schaft entziehen und ihn aus dem Land deportieren. Wären solche Maß­nah­men legal und ver­fas­sungskon­form? Ja, das kön­nten sie dur­chaus sein. Aber würde das bedeuten, dass es kein Prob­lem wäre, wenn ein amerikanis­ch­er Präsi­dent so etwas tun würde? Wäre es mit dem Fortbe­stand der lib­eralen Demokratie in den Vere­inigten Staat­en vere­in­bar, wenn man so etwas nur ein­mal tun würde?

Was wäre, wenn Trump, nach­dem er es ein­mal getan hat, damit begin­nen würde, es mit anderen Men­schen der ide­ol­o­gis­chen Linken zu tun – Poli­tik­ern, Schrift­stellern, Aktivis­ten? Nehmen wir an, dass die Regierung jedes Mal, wenn sie so etwas tut, ein Gesetz anführen kann, das dies erlaubt, auch wenn so etwas in der Ver­gan­gen­heit noch nie ver­sucht wurde. In jedem Fall würde vor einem Bun­des­gericht Klage ein­gere­icht wer­den, mit der Begrün­dung, dass die Maß­nahme rechtswidrig sei, Richter wür­den ver­suchen, die Maß­nah­men zu block­ieren, und der Ober­ste Gericht­shof würde viele der Urteile der Vorin­stanzen aufheben und dabei auf beste­hende, wenig genutzte Geset­ze oder Klauseln der Ver­fas­sung ver­weisen, die dem Präsi­den­ten solche Befug­nisse ein­räu­men.

In dieser hypo­thetis­chen Abfolge von Ereignis­sen würde der Präsi­dent recht­mäßig han­deln, und seine Hand­lun­gen wür­den vom höch­sten Gericht des Lan­des bestätigt wer­den. Soll­ten diese Hand­lun­gen daher als mit der Selb­stver­wal­tung vere­in­bar ange­se­hen wer­den? Kön­nte man die Vere­inigten Staat­en wirk­lich als lib­erale Demokratie beze­ich­nen, wenn der Präsi­dent ein­er Partei regelmäßig Mit­gliedern der Oppo­si­tion­spartei die Staats­bürg­er­schaft entzieht und sie deportiert?

Was wäre, wenn bewaffnete Staats­beamte, mask­iert und ohne Dien­st­marken, in Gemein­den im ganzen Land einge­set­zt wür­den, um mut­maßliche Ein­wan­der­er ohne Papiere zusam­men­zutreiben? Und was wäre, wenn einige dieser Ein­wan­der­er, manch­mal ohne ordentlich­es Gerichtsver­fahren, in aus­ländis­che Gefäng­nisse außer­halb der Reich­weite des amerikanis­chen Rechts gebracht wür­den, wo sie geschla­gen und gefoltert wür­den? Und andere wür­den mit Segen des Ober­sten Gericht­shofs in kriegs­geschüt­telte Län­der geschickt, in denen sie kein­er­lei Verbindun­gen haben?

Was wäre, wenn solche Dinge nicht nur ein­mal oder in sel­te­nen Fällen geschehen wür­den, son­dern regelmäßig, als Teil der nor­malen Ein­wan­derungspoli­tik? Dann, denke ich, wür­den wir sagen, dass Ameri­ka kein freies Land mehr ist.

Was einst undenkbar war

Ich möchte damit nur eines sagen: Wir neigen dazu anzunehmen, dass ein Bruch mit der lib­eralen Demokratie durch einen offen­sichtlich ille­galen oder ver­fas­sungswidri­gen Akt erfol­gen wird. Wenn dies geschieht, wird es offen­sichtlich sein; wenn es nie geschieht, ist alles in Ord­nung.

Aber es ist auch möglich, dass ein Präsi­dent tech­nisch legal han­delt, dass der Ober­ste Gericht­shof solche Hand­lun­gen für ver­fas­sungs­gemäß erk­lärt und dass der Kongress keine Ein­wände dage­gen erhebt – während die Hand­lun­gen selb­st einen sub­stanziellen Bruch mit Prinzip­i­en darstellen, die einst als selb­stver­ständlich gal­ten und frei auf alle aus­geweit­et und angewen­det wur­den. Das ist eine Sit­u­a­tion, in der sich das poli­tis­che Sys­tem und die öffentliche Mei­n­ung so weit entwick­elt hät­ten, dass sie mit ein­er offen­sichtlich illib­eralen Regierungs­führung vere­in­bar wären (und diese sog­ar vorschreiben wür­den).

Für diejeni­gen, die dazu neigen, sich „der Rechtsstaatlichkeit” und dem lib­eralen Proze­du­ral­is­mus zu unter­w­er­fen, mag dies wie Busi­ness as usu­al erscheinen. Aber das ist es nicht. Es ist ein Land, das gle­ichzeit­ig etwas Neues und etwas Schlim­meres wird – dessen äußere For­men intakt bleiben, während seine Seele aus­ge­höhlt und degradiert wird.

Wie wer­den wir wis­sen, wann wir an diesem Punkt ange­langt sind? Vielle­icht erst, wenn wir erken­nen, in welchem Aus­maß unsere Geset­ze – und die Ver­fas­sung – bere­its neu inter­pretiert wur­den, um mit ehe­mals undenkbaren Hand­lun­gen vere­in­bar zu sein.

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Mattiello am Mittwoch 25/27
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