Nach der Radium-Behandlung seines Zungenkrebses 1960 war Aldous Huxley überzeugt, dass diese heimtückische Krankheit besiegt sei.
Das war ein Irrtum.
Nachdem er Ende Mai 1962 alle Termine des Frühjahrs hinter sich gebracht hatte, suchte Aldous wegen einer leicht geschwollenen und schmerzhaften Halsdrüse Dr. Cutler auf. Cutler entfernte die Drüse und fand in ihr eine bösartige Geschwulst. Im Juli wurden alle befallenen Drüsen wegoperiert und Aldous mit Gammabestrahlung nachbehandelt. Sein Arzt beruhigte ihn, dass diese Art von Metastasen kein Grund zur Sorge seinen.
Ein weiterer Irrtum.
Als einen gewaltigen und kostspieligen Irrtum empfand Huxley nach einem Besuch der North American Aviation in Los Angeles auch die Entwicklung einer Apollo-Mondkapsel.
Warum verschwendeten sie (die Ingenieure) so viel Geld darauf, auf den Mond zu gelangen, statt hier auf der Erde etwas gegen die bevorstehende Bevölkerungsexplosion zu unternehmen?
Als noch grotesker erlebte er die Herstellung von Marschflugkörpern, deren Entwicklung Milliarden kostete, “um schliesslich in ein Waisenhaus oder ein Altersheim gelenkt zu werden”.
Im Zeichen dieser Äusserungen stand auch Huxleys Besuch des ersten Treffens der World Academy of Art und Science in Brüssel, einer Initiative von Nobelspreisträgern. Seine Teilnahme an diesem Treffen sei ein Versuch, dem “gegenwärtigen organisierten Wahnsinn” wenigstens etwas entgegenzusetzen. Der “gegenwärtige organisierte Wahnsinn” — das war in diesen Jahren einer seiner Lieblingsausdrücke für den allgemeinen Zustand der Welt.
Man darf sich fragen, was er wohl heute sagen würde …
Seine beinahe frenetische Reise- und Vortragstätigkeit in Europa und Amerika setzte sich fort. Im März 1963 reiste er nach Rom
zu einem Kongress der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der weltweiten Hungersnöte. Bei dieser Gelegenheit nahm er auch eine Audienz bei Papst Johannes XXIII. wahr. Auch für dieses Jahr hatte er wieder eine Reihe von Vorträgen angenommen. Im März und April sprach er in Oregon, Berkeley und Stanford, und für den Herbst waren weitere Vorträge an der Ostküste geplant. Am 6. September waren die Vorlesungsskripte für Aldous fertig. Am 13. September sagte er die Vortragsreise ab.
Sein gesundheitlicher Zustand hatte sich inzwischen rapide verschlechtert, denn im April war ein neuer Tumor aufgetreten. Dr. Cutler liess Huxley von den besten internationalen Spezialisten untersuchen. Erneut kam es zu einer Radiumbehandlung. Doch nach 25 Sitzungen war er so geschwächt, dass er seinen Vortragsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte.
Mittlerweile war Lauras psychotherapeutischer Ratgeber “You Are Not The Target” erschienen, der unter starker redaktioneller Mithilfe von Aldous entstanden war und für den er ein Vorwort geschrieben hatte. Viele von Lauras Ansätzen, die sie allesamt aus ihrer therapeutischen Praxis entwickelt hatte, hatten auch Eingang in Huxleys Roman “Eiland” gefunden. Bereits nach einer Woche musste eine zweite Auflage des Ratgebers gedruckt werden und bis August 1963 sollten 100’000 Exemplare über die Ladentheken gehen. Aldous, der solche Verkaufserfolge nicht kannte, teilte mit seiner Frau eine “verblüffte Hochstimmung”.
1976 waren über eine halbe Million Exemplare des Buches verkauft. Es lohnt sich deshalb, einen genaueren Blick auf diesen psychologischen Bestseller zu werfen. Das tun wir in der nächsten Folge am Samstag, den 14. Dezember.
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