Betref­fend die Fähig­keit der aktu­el­len poli­ti­schen Welt­ord­nung, die sich ver­stär­ken­den mul­ti­plen Kri­sen zu lösen, zieht von Pech­mann ein illu­si­ons­lo­ses Fazit:
Setzt man … die staat­li­che Sou­ve­rä­ni­tät wei­ter­hin als völ­ker­recht­lich bin­den­des Prin­zip vor­aus, so ist zu erwar­ten, dass ein dar­auf gegrün­de­tes Ver­fah­ren der Ver­trä­ge, der Kon­ven­tio­nen und Erklä­run­gen, der stän­di­gen Kom­mis­sio­nen und peri­odi­schen Kon­fe­ren­zen, der Ein­rich­tung neu­er Ober- und Unter­aus­schüs­se, der Tagun­gen und Kon­ven­te etc. die Errei­chung der gemein­sa­men Zie­le ad calen­das grae­cas — also am St. Nim­mer­leins­tag — hin­aus­schie­ben wird. Die­ser Ver­schie­bung in eine solch “schlech­te Unend­lich­keit” wider­spricht jedoch schla­gend die wis­sen­schaft­lich wohl fun­dier­te Ein­sicht, dass die Zeit drängt.Das Sou­ve­rä­ni­täts­prin­zip, so die Schluss­fol­ge­rung, hält heu­te vor der Ver­nunft nicht stand.Es ent­hält nicht die Lösung der Zukunfts­pro­ble­me, son­dern ist selbst das Problem.
(Sämt­li­che Aus­zü­ge aus Alex­an­der von Pech­mann, Die Eigen­tums­fra­ge im 21. Jahrhundert)

Die­se Ana­ly­se teilt auch der von Pech­mann zitier­te deut­sche gros­se Phi­lo­soph und Sozio­lo­ge Jür­gen Haber­mas — inzwi­schen 94 geworden:
Nach einer sol­chen Koope­ra­ti­on — dank der Über­win­dung des Sou­ve­rä­ni­täts­vor­be­halts ‑ver­lan­gen nicht nur die Dis­pa­ri­tä­ten zwi­schen Nord und Süd, son­dern eben­so der Ver­fall der sozia­len Stan­dards in den wohl­ha­ben­den nord­at­lan­ti­schen Gesell­schaf­ten … Supra­na­tio­na­le Hand­lungs­ka­pa­zi­tä­ten feh­len erst recht für jene öko­lo­gi­schen Pro­ble­me, die in ihrem glo­ba­len Zusam­men­hang auf dem Erd­gip­fel in Rio ver­han­delt wor­den sind. Eine fried­li­che­re und gerech­te­re Welt- und Welt­wirt­schafts­ord­nung ist ohne hand­lungs­fä­hi­ge inter­na­tio­na­le Insti­tu­tio­nen nicht vor­zu­stel­len. (Jür­gen Haber­mas, Die Ein­be­zie­hung des Ande­ren — Stu­di­en zur poli­ti­schen Theo­rie, Frank­furt a.M. 1996, 153)

Soweit, so klar. Aber mit dem Ver­zicht auf Sou­ve­rä­ni­tät ist nur der ers­te Teil­schritt getan denn er beschreibt … nicht posi­tiv den Ein­tritt in den Rechts­zu­stand der Staa­ten unter­ein­an­der. Die­ser soge­nann­te “Welt­staat” … kann nur dann exis­tie­ren, wenn er von allen Natio­nal­staa­ten nicht nur for­mell, son­dern auch tat­säch­lich aner­kannt ist. 

Damit sind wir defi­ni­tiv bei der ent­schei­den­den Gret­chen­fra­ge ange­langt: Die Idee eines Welt­staats tönt ja ganz gut. Aber was bedeu­tet sie für unse­re Frei­heit und per­sön­li­che Auto­no­mie? Wer soll Macht aus­üben? Und wer garan­tiert, dass die­se Macht nicht miss­braucht wird? “Macht kor­rum­piert, abso­lu­te Macht kor­rum­piert abso­lut”, heisst es bekannt­lich. Was bräuch­te es, damit all jene, die das Schreck­ge­spenst eines tota­li­tä­ren “One-World-Government”, eines poten­zier­ten “1984″, eines “Schö­ne Neue Welt 2.0″ an die Wand malen, erken­nen, dass es tat­säch­lich nur ein Gespenst ist?

Von Pech­mann hat sich die­ser Fra­ge natür­lich auch gestellt. Er sieht zwei mög­li­che Model­le für einen sol­chen “Welt­staat mit zwin­gen­dem Recht”:
Das eine Modell hat Tho­mas Hob­bes ent­wi­ckelt; sein Kern ist die Macht­über­tra­gung. Das ande­re Modell stammt von Baruch Spi­no­za und Jean-Jac­ques Rous­se­au; des­sen Kern ist im Gegen­teil die Macht­ge­win­nung.

Wer­fen wir zuerst einen Blick auf  Tho­mas Hob­bes, 1588–1679. Hob­bes war ein eng­li­scher Mathe­ma­ti­ker, Staats­recht­ler und Phi­lo­soph. In sei­nem Haupt­werk “Levia­than” zeich­ne­te er ein pes­si­mis­ti­sches Men­schen­bild. Im “Natur­zu­stand” ohne Gesetz und Staat wird der Mensch als frei von Ein­schrän­kun­gen der his­to­ri­schen Moral, der Tra­di­ti­on, des Staa­tes oder etwa der Kir­che vor­ge­stellt. Aus Hob­bes’ Men­schen­bild ergibt sich, dass in einem sol­chen Natur­zu­stand Gewalt, Anar­chie und Gesetz­lo­sig­keit herr­schen; die Men­schen füh­ren – in Hob­bes nega­ti­vem Welt­bild – einen „Krieg aller gegen alle“ (bel­lum omni­um con­tra omnes), in dem „der Mensch […] dem Men­schen ein Wolf [ist]“ (…)

Der Mensch ist für Hob­bes kein zoon poli­ti­kon, wie bei Aris­to­te­les, das nach Gesell­schaft strebt, die orga­nisch aus Ver­hält­nis­sen der Unter­ord­nung zwi­schen Stär­ke­ren und Schwä­che­ren und der Koope­ra­ti­on von Gleich­star­ken mit dem­sel­ben Inter­es­se ent­steht. Der Mensch ist nach Hob­bes durch drei Trieb­fe­dern gekenn­zeich­net: Ver­lan­gen, Furcht und Ver­nunft; kei­ne die­ser drei Kom­po­nen­ten bringt ihn dazu, die Gesell­schaft ande­rer wegen etwas ande­rem zu erstre­ben, wenn die­se nicht zu sei­nem eige­nen Vor­teil gereicht. Damit ver­tritt Hob­bes einen Psy­cho­lo­gi­schen Ego­is­mus, der natur­ge­ge­ben ist und wil­lent­lich nicht über­wun­den wer­den kann.
Das Ver­lan­gen erschöpft sich fast völ­lig in Wett­stre­ben und Ruhm­sucht – Lei­den­schaf­ten, die der grund­sätz­li­chen Ver­an­la­gung ent­sprin­gen. Sie „scheu­en kei­ne Gewalt, sich Weib, Kind und Vieh eines ande­ren zu unter­wer­fen […] das Geraub­te zu ver­tei­di­gen […] sich zu rächen für Belang­lo­sig­kei­ten wie ein Wort, ein Lächeln, einen Wider­spruch oder irgend­ein ande­res Zei­chen der Gering­schät­zung“. (Wiki­pe­dia)

Damit gemäss Hob­bes ein Zusam­men­le­ben über­haupt mög­lich wird, kommt ein poli­ti­sches Gemein­we­sen nur durch eine Art “Unter­wer­fungs­ver­trag” zustan­de:
Alle sou­ve­rä­nen Akteu­re geben in und durch den Ver­trag gemein­sam ihre Macht ab und über­tra­gen sie einer Per­son, dem Staat, dem sie sich in die­ser Macht­über­tra­gung zugleich gemein­sam unterwerfen:
“Ich über­ge­be mein Recht, mich selbst zu beherr­schen, die­sem Men­schen oder die­ser Gesell­schaft unter der Bedin­gung, dass du eben­falls dein Recht über dich ihm oder ihr abtrittst.” So ent­steht der gros­se Levia­than oder, wenn man lie­ber will, der sterb­li­che Gott, dem wir unter dem ewi­gen Gott allein Frie­den und Schutz zu ver­dan­ken haben. (Tho­mas Hob­bes, Levia­than 1. und 2. Teil, Stutt­gart 1980, 155)

Hier also wird der Ver­zicht auf Sou­ve­rä­ni­tät, auf das Recht, sich selbst zu  beherr­schen, in der Wei­se gedacht, dass im Ver­trag jeder auf die eige­ne Macht ver­zich­tet, um sie auf einen ande­ren Men­schen oder eine Gemein­schaft zu über­tra­gen oder zu über­eig­nen. Dabei ist das Motiv für die­sen Ver­lust der Macht die Erlan­gung des sozia­len Frie­dens und der eige­nen Sicher­heit. Der Unter­ord­nung unter den Staat ent­spricht der Schutz durch den Staat … In die­sem Grün­dungs­mo­dell wird also das poli­ti­sche Gemein­we­sen oder der Staat als eine eigen­stän­di­ge Rechts­per­son kon­sti­tu­iert, in der sich alle Macht und Gewalt bün­delt, und die klar von der Gesell­schaft der Indi­vi­du­en als Bür­ger unter­schie­den ist. Sie ist der “sterb­li­che Gott”, dem alle sich unter­wer­fen

Wäre ein sol­cher “Welt-Super­staat” wün­schens­wert? Wohl kaum …  Klei­ne Haus­auf­ga­be: War­um nicht, wenn wir doch alle klei­ne Ego­is­ten sind?

Die­ser Fra­ge gehen wir in der nächs­ten Fol­ge am 4. August nach.

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