Es sind nicht die konkreten materiellen Ergeb­nisse meines Lebens, die wichtig sind, denn alle diese Dinge kön­nen zer­stört, ver­loren oder schnell vergeudet wer­den, schreibt Jack Forbes, (was uns vielle­icht an die Auf­forderung Jeshuas im Matthäus-Evan­geli­um erin­nert: Ihr sollt euch nicht Schätze sam­meln auf Erden, wo die Mot­ten und der Rost sie fressen, und wo die Diebe nach­graben und stehlen. Sam­melt euch aber Schätze im Him­mel, wo wed­er die Mot­ten noch der Rost sie fressen, und wo die Diebe nicht nach­graben und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein).
Es ist vielmehr die Qual­ität unser­er Hand­lun­gen, unser­er Kämpfe, unser­er Motive, unser­er Liebe und unser­er Beständigkeit, die wirk­lich bedeut­sam sind. Wie Black Elk sagte: “Die Macht eines Dings oder ein­er Hand­lung liegt in der Bedeu­tung und im Ver­ste­hen. (…) Frieden kommt dann in die Herzen der Men­schen, wenn sie ihre Beziehung zum Uni­ver­sum, ihr Eins­sein mit ihm und seinen Mächt­en erken­nen, wenn sie sehen, dass im Zen­trum des Uni­ver­sums Uakan-Tan­ka lebt, und dieser Mit­telpunkt über­all ist, in jedem von uns.”

Der Weg zu dieser tiefen inneren Erfahrung wird in der Kul­tur des West­ens mit dem griechis­chen Wort “Gno­sis” beze­ich­net. Und sie find­et sich dur­chaus auch im christlichen “Uni­ver­sum”, wie die neue birsfaelder.li-Serie Chris­ten­tum und Gno­sis aufzeigen möchte.

Ein entschei­den­des Merk­mal indi­ge­nen Denkens ist die Erken­nt­nis, dass wir uns alle auf einem lan­gen Entwick­lungsweg befind­en:
Im Mit­telpunkt der meis­ten Native-Amer­i­can-Philoso­phien hat immer die Idee ges­tanden, einem guten Weg, einem Weg der Schön­heit, zu fol­gen. Die jährliche “Big House-Zer­e­monie” der Lenape war in Wirk­lichkeit eine Darstel­lung der Auf­gabe, die Men­schen erwartet, die dem “Weis­sen Weg” — dem Weg des Lichts — des Schöpfers fol­gen, wobei sie Hin­dernisse wie Hab­sucht und andere neg­a­tive gesellschaftliche Erschei­n­un­gen über­winden:
Ich bin wirk­lich dankbar und glück­lich, meine Ver­wandten, dass ich den Weg des Vaters gehe, den wun­der­baren Weis­sen Weg des Grossen Geistes … Wenn wir uns  gegen­seit­ig ern­sthaft helfen wür­den, kön­nten wir ziem­lich uner­wartet einen spir­ituellen Sieg errin­gen, falls der Schöpfer unsere Bitte hört. (Wita­panoxwe in Frank G. Speck, Delaware Indi­an Big House Cer­e­mo­ny)

Abge­se­hen davon, dass diese Idee eines inneren spir­ituellen Entwick­lungswegs auch bei uns in der bre­it­eren Öffentlichkeit mehr und mehr Fuss fasst, gibt es zwis­chen der “indi­ge­nen” und der “west­lichen” Welt­sicht immer noch zwei Gräben:
Während fortschrit­tliche west­liche Ökolo­gen wie James Love­lock oder Lynn Mar­gulis sich in den 70er-Jahren in ihrer “Gaia-Hypothese” erst­mals mit dem Gedanken ver­traut macht­en, die Erde kön­nte wie ein Lebe­we­sen betra­chtet wer­den, ist sie für Indi­gene ein Lebe­we­sen:
Bei der Liebe der Mut­ter Erde han­delt es sich für viele Native Amer­i­cans nicht ein­fach um etwas Abstrak­tes. Luther Stand­ing Bear berichtet uns, wie die Lako­ta die Erde liebten.
Buch­stäblich war die Liebe der alten Leute zum Erd­bo­den — sie sassen oder lagen auf ihr mit einem Gefühl, ein­er treusor­gen­den Macht nahe zu sein. Es tat der Haut gut, die Erde zu berühren, und die alten Leute zogen gerne ihre Mokassins aus und liefen mit blossen Füssen auf der geheiligten Erde … Die Erde beruhigte, stärk­te, reinigte und heilte … Wohin ein Lako­ta auch ging, die Mut­ter Erde begleit­ete ihn. Wo er am Tag auch lief oder in der Nacht schlief, mit ihr war er sich­er. (Stand­ing Bear, Land of the Spot­ted Eagle)
Darum kann das Ler­nen von der Erde, den Tieren und der “Natur” nicht bloss kalt und “wis­senschaftlich” sein, son­dern muss die Liebe, den magis­chen Stoff des Uni­ver­sums, bein­hal­ten.

Im kirch­lichen Chris­ten­tum nimmt die sog. “Süh­neopfer-The­olo­gie” immer noch einen gewichti­gen Platz ein:
Die Sühnopfer- oder Süh­nethe­olo­gie ist eine in der christlichen The­olo­gie grundle­gende Sin­ndeu­tung des Todes von unschuldigem Leben. Sie spielt auch eine Rolle in der christlichen Lehre von der Erlö­sung des Men­schen (Sote­ri­olo­gie). Der Kreuzestod Christi kann dabei vor dem Hin­ter­grund christlich­er Ausle­gun­gen der alttes­ta­mentlichen Texte zu Sün­den, Reue und Umkehr als Men­schenopfer­tod zur Ver­söh­nung des christlichen Gottes mit den Men­schen und als Verge­bung der Erb­sünde gedeutet wer­den. (Wikipedia)
Um die indi­gene Sichtweise des Opfers deut­lich zu machen, zitiert Forbes den Lako­ta-Schama­nen Lame Deer:
Der Unter­schied zwis­chen dem weis­sen Mann und uns beste­ht darin: Du glaub­st an die erlösende Kraft des Lei­dens, das ein ander­er vor zweitausend Jahren auf sich nahm. Wir glauben, dass es an jedem einzel­nen liegt, dem anderen zu helfen, selb­st durch kör­per­liche Schmerzen. Wir bür­den das nicht unserem Gott auf, auch wollen wir die spir­ituelle Kraft von Angesicht zu Angesicht erleben. Während wir auf den Hügeln fas­ten oder unser Fleisch beim Son­nen­tanz zer­fet­zen, erfahren wir eine plöt­zliche Ein­sicht, sind wir dem Grossen Geist am näch­sten. Ein­sicht kann nicht auf bil­lige Art und Weise erwor­ben wer­den, und wir wollen auch nicht, dass sie ein Engel oder ein Heiliger für uns erlangt und sie uns aus zweit­er Hand gibt. (Lame Deer, Seek­er of Visions)

Es gab Ver­suche von Weis­sen, solche indi­gene Rit­uale zu übernehmen. Das wird von den indi­ge­nen Gemein­schaften zu Recht klar abgelehnt:
Wie andere indi­an­is­che Rit­uale ist auch der Son­nen­tanz Gegen­stand kul­tureller Aneig­nung und Ent­frem­dung durch indi­gene und nicht-indi­gene Per­so­n­en und Grup­pen, häu­fig zum Zweck kom­merzieller Aus­beu­tung, gewor­den. Dies stößt bei Vertretern der indi­ge­nen nor­damerikanis­chen Spir­i­tu­al­ität auf scharfe Ablehnung. Bere­its 1993 gaben 500 Repräsen­tan­ten indi­gen­er Grup­pen, über­wiegend der Lako­ta, Nako­ta und Dako­ta, eine sym­bol­is­che Kriegserk­lärung gegen die Aus­beu­tung der Lako­ta-Spir­i­tu­al­ität ab. Darin verurteil­ten sie die Kom­merzial­isierung von Zer­e­monien durch „pseu­do-indi­an­is­che Schar­la­tane und New-Age-Möchte­gerne“ (siehe auch „Plas­tikschamane“). 2003 verkün­de­ten Medi­zin­leute ver­schieden­er Natio­nen, so der Ara­pa­ho, Cheyenne, Cree, Sioux, unter der Leitung von Arvol Look­ing Horse den Beschluss, Nichtin­di­an­er von heili­gen Riten ein­schließlich des Son­nen­tanzes auszuschließen. (Wikipedia)

Wir müssen unseren eige­nen Weg find­en, dem Leben zu dienen. Er kön­nte darin beste­hen, dass wir uns von der von den Kirchen vertrete­nen Sote­ri­olo­gie hin­wen­den zur Sophi­olo­gie. Die Episkopal-Pries­terin und Mys­tik­erin Cyn­thia Bourgeault erk­lärt den Unter­schied:
Was bedeuten diese bei­den Begriffe? “Sote­ri­olo­gie” hat seine Wurzeln im griechis­chen “sot­er”, was “Erlös­er” heisst. Die Chris­ten­heit des West­ens war immer auf den Erlös­er aus­gerichtet. Jesus wird als der­jenige gese­hen, der für unsere Sün­den gestor­ben ist, der uns als Indi­viduen und als Gemein­schaft aus dem Exil und der Ent­frem­dung gerettet hat, die der Unge­hor­sam von Adam und Eva über uns gebracht hat. “Glaub­st du daran, dass Chris­tus für unsere Sün­den gestor­ben ist?”, lautet noch immer die grosse Schlüs­sel­frage der christlichen Ortho­dox­ie; es ist die Trennlin­ie zwis­chen einem Gläu­bi­gen und einem Ungläu­bi­gen. (…)
Die Chris­ten­heit im Osten (damit sind nicht die ortho­dox­en Kirchen gemeint) sah die Dinge ganz anders. Nicht die Sote­ri­olo­gie, son­dern die Sophi­olo­gie war ihre Aus­rich­tung. Der Begriff “Sophi­olo­gie” hat seine Wurzeln im Wort “Weisheit” (was “sophia” auf Griechisch bedeutet). Das Chris­ten­tum war in erster Lin­ie ein Weg der Weisheit. Für die früh­esten Chris­ten war Jesus nicht der Erlös­er, son­dern der Lebensspender. Im ursprünglichen Aramäisch von Jesus und seinen Anhängern existierte gar kein Wort für “Erlös­er”. “Erlö­sung” wurde als “Ver­lei­hung von Leben” ver­standen und “erlöst wer­den” als “lebendig gemacht wer­den”. (…) Ein sophi­ol­o­gis­ches Chris­ten­tum stellt den Weg in den Vorder­grund. (Cyn­thia Bourgeault, Jesus Meis­ter der Weisheit. Was er wirk­lich lehrte über die Ver­wand­lung unseres Herzens und unseren Bewusst­seins)
Kön­nte dies eine kleine Brücke wer­den zum indi­ge­nen “Weis­sen Weg”?

Eine ver­tiefte Auseinan­der­set­zung mit dem sophi­ol­o­gis­chen Chris­ten­tum erfol­gt im birsfaelder.li neu in Chris­ten­tum und Gno­sis. In der näch­sten Folge am 3. August wollen wir mit Hil­fe der bei­den (nicht-indi­ge­nen) Autoren Paul Levy und  Kings­ley L. Den­nis den von Jack Forbes ver­wen­de­ten Wétiko-Begriff genauer unter­suchen.

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Mattiello am Mittwoch 23/30
Die Reichsidee 96

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