Erin­nern wir uns an die Defi­ni­ti­on Grü­nen­bergs des “poli­ti­schen Subjekts”:
Ein poli­ti­sches Sub­jekt zeich­net sich … durch die Fähig­keit aus, sich vor­stel­len zu kön­nen, dass etwas anders sein könn­te, als es aktu­ell ist.
Kon­kre­tes Bei­spiel: Der Wirt­schaf­ter des Hof­guts Neu-Schau­en­burg — CH in Euro­pa 35 — war mit sei­ner Hal­tung (“Was wol­len sie Herr! die­se Kin­der sind ver­dammt Knech­te zu wer­den, und ewig Knech­te zu blei­ben.”) im Gegen­satz zu Peter Ochs kein poli­ti­sches Sub­jekt, weil er sich kei­ne Alter­na­ti­ve zur bestehen­den Gesell­schafts­ord­nung vor­stel­len konnte.

Darf man Peter Ochs aber auch einen Demo­kra­ten nen­nen? Damit kom­men wir auf die Fra­ge am Ende der letz­te Fol­ge zurück:
Wel­cher Spe­zi­al­fall des poli­ti­schen Sub­jekts passt auf den Demo­kra­ten und wel­ches sind die Eigen­schaf­ten, die ihn vom Nicht-Demo­kra­ten unterscheiden?

birsfaelder.li-Schreiberling-Kollege Franz Büch­ler schlägt vor, dass Demo­kra­ten dar­an zu erken­nen sind, dass “sie hem­mi­ge hei”. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass Auto­kra­ten hem­mungs­los ihre eige­nen Inter­es­sen durch­zu­set­zen pfle­gen, wie wir gera­de live erle­ben, durch­aus tref­fend! Regi­nald Grü­nen­berg sei­ner­seits beant­wor­tet sei­ne Fra­ge so:
Der Demo­krat ist jemand, der die gedach­te Öffent­lich­keit, derer er fähig ist, auch als rea­le Öffent­lich­keit ver­wirk­licht sehen will, damit er dort – in Gesprä­chen, Medi­en, Par­tei­en und Par­la­men­ten – ohne Sank­tio­nen oder Todes­furcht sei­ne eige­nen Ord­nungs­vor­stel­lun­gen ein­brin­gen kann. Das Motiv des Demo­kra­ten, sich an die­ser rea­len Öffent­lich­keit zu betei­li­gen, ist die grund­sätz­li­che Mög­lich­keit, dass er mit sei­nem Han­deln – in eine Par­tei ein­tre­ten, in den Medi­en publi­zie­ren, eine neue Par­tei grün­den, an Demons­tra­tio­nen und Wah­len teil­neh­men etc. – auch sei­nen poli­ti­schen Wil­len zum Bestand­teil des Herr­schafts- und Gesetz­ge­bungs­pro­zes­ses machen kann.

Der Demo­krat sche­ma­ti­siert die rea­len Indi­vi­du­en, die gegen ihn in der rea­len Öffent­lich­keit oppo­nie­ren, weil sie ande­rer Mei­nung sind, nicht als exis­ten­zi­el­le Fein­de, son­dern als poli­ti­sche Geg­ner. Das heißt auch, dass sei­ne Vor­stel­lun­gen von öffent­li­cher Ord­nung immer von einer Dul­dung der jewei­li­gen Oppo­si­ti­on gekenn­zeich­net sind, denn er selbst könn­te jeder­zeit auch in der Oppo­si­ti­on sein. Der Demo­krat ver­zich­tet auch dar­auf, sei­ne eige­nen Ord­nungs­vor­stel­lun­gen als zeit­lo­se onto­lo­gi­sche Wahr­hei­ten zu hypo­st­asie­ren, und erkennt sie statt­des­sen als per­sön­li­che, sub­jek­ti­ve Inter­es­sen, die er im Gefü­ge von Regie­rung und Oppo­si­ti­on auf der Regie­rungs­sei­te umge­setzt und damit ver­all­ge­mei­nert sehen möchte.

Inter­es­san­ter­wei­se hat dies im 19. Jahr­hun­dert schon der Schwei­zer Phi­lo­soph, Arzt, Päd­ago­ge und Poli­ti­ker Ignaz Trox­ler erkannt, als er schrieb: Aus dem Wider­strei­te der Mei­nun­gen wird Wahr­heit gebo­ren und Frei­heit erzeugt durch die Wech­sel­wir­kung der Stre­bun­gen. Durch die Rei­bung der Gedan­ken ent­zün­det sich der Gemein­geist, fal­sche Ansich­ten und schie­fe Maß­nah­men wer­den zer­stört, und die Blend­wer­ke des Irr­tums, die Trug­gestal­ten der Bos­heit, zernichtet.»

Wo der Unter­schied zwi­schen Anhän­gern tota­li­tä­rer Ideo­lo­gien und Demo­kra­ten liegt, braucht wohl kei­ne beson­de­re Erklä­rung. Aber wo liegt der Unter­schied zwi­schen einem Popu­lis­ten und einem Demo­kra­ten?
Ein Blick auf die Defi­ni­ti­on von Popu­lis­mus hilft weiter:
Oft the­ma­ti­sie­ren Popu­lis­ten einen Gegen­satz zwi­schen „Volk“ und „Eli­te“ und neh­men dabei in Anspruch, auf der Sei­te des „ein­fa­chen Vol­kes“ zu ste­hen. So geht Popu­lis­mus häu­fig mit der Ableh­nung von Macht­eli­ten und Insti­tu­tio­nen ein­her, mit Anti-Intel­lek­tua­lis­mus, einem schein­bar unpo­li­ti­schen Auf­tre­ten, der Beru­fung auf den „gesun­den Men­schen­ver­stand“ (com­mon sen­se) und auf die „Stim­me des Vol­kes“. In der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung set­zen Popu­lis­ten oft auf Pola­ri­sie­rung, Per­so­na­li­sie­rung  …  Mora­li­sie­rung und Argu­men­te ad popu­lum oder ad homi­nem. Eben­falls bezeich­nend ist die Ableh­nung tra­di­tio­nel­ler poli­ti­scher Par­tei­en. (Wiki­pe­dia)
Wenn also eine popu­lis­ti­sche Par­tei ande­re Par­tei­en des Lan­des­ver­rats anklagt, hat sie die fei­ne Linie zwi­schen “Geg­ner” und “Feind” über­schrit­ten und bringt damit den von Grü­nen­feld gefor­der­ten demo­kra­ti­schen Dia­log — der durch­aus hart sein kann — in Gefahr.

Ob Peter Ochs ein Demo­krat oder — wenn es nach Bun­des­rat Ueli Mau­rer geht — ein Lan­des­ver­rä­ter war, soll die wer­te birsfaelder.li-Leserschaft nach Abschluss sei­nes Por­traits sel­ber entscheiden.

Kön­nen wir davon aus­ge­hen, dass in der Schweiz der demo­kra­ti­sche Dia­log stö­rungs- und hin­der­nis­frei funk­tio­niert und so, um mit Trox­ler zu spre­chen, die “Blend­wer­ke des Irr­tums” kei­ne Chan­ce haben?

Die­ser Fra­ge wen­den wir uns am kom­men­den Frei­tag, den 4. März zu.

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