In sei­nem 1958 erschie­ne­nen “Bra­ve New World Revi­si­ted” gibt es Essays, die zeit­ge­bun­de­ne Ana­ly­sen ent­hal­ten und aus heu­ti­ger Sicht nicht mehr rele­vant sind oder sogar als kor­rek­tur­be­dürf­tig erschei­nen. Das gilt etwa für die ein­lei­ten­den Kapi­tel zu den The­men “Über­be­völ­ke­rung” oder “Quan­ti­tät / Qua­li­tät”. So behaup­tet Hux­ley darin:
In die­ser zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts ver­hal­ten wir uns dem Pro­blem der mensch­li­chen Fort­pflan­zung gegen­über weit­ge­hend unsys­te­ma­tisch; aber auf unse­re will­kür­li­che und unge­re­gel­te Wei­se über­völ­kern wir unse­ren Pla­ne­ten nicht nur, wir legen es, so scheint es, gera­de­zu dar­auf an, dass die­se grö­ße­ren Men­schen­men­gen bio­lo­gisch min­der­wer­ti­ger sein müssen.
In der schlech­ten alten Zeit blie­ben Kin­der mit beträcht­li­chen oder sogar nur gerin­gen erb­li­chen Defek­ten nur sel­ten am Leben. Heut­zu­ta­ge gelan­gen dank sani­tä­rer Anla­gen, moder­ner Heil­mit­tel­kun­de und sozia­len Bewusst­seins die meis­ten der mit erb­li­chen Män­geln gebo­re­nen Kin­der zur Rei­fe und meh­ren ihre Art. Unter den heu­ti­gen Ver­hält­nis­sen wird jeder Fort­schritt in der Medi­zin durch eine ent­spre­chen­de Ver­meh­rung der­je­ni­gen Über­le­ben­den auf­ge­ho­ben, die mit irgend­wel­chen gene­ti­schen Unzu­läng­lich­kei­ten geschla­gen sind.
Trotz neu­er Wun­der­me­di­zi­nen und bes­se­rer Behand­lungs­me­tho­den (ja, in gewis­sem Sinn gera­de ihret­we­gen) wird die kör­per­li­che Gesund­heit der Gesamt­be­völ­ke­rung kei­ne Bes­se­rung zei­gen und viel­leicht sogar absin­ken. Und zusam­men mit der Durch­schnitts­ge­sund­heit wird viel­leicht auch die Durch­schnitts­in­tel­li­genz sinken.”

Die­ser bio­lo­gis­ti­sche Ansatz ist heu­te über­holt und sei­ne düs­te­ren Pro­phe­zei­un­gen haben sich zum Glück nicht bewahr­hei­tet, — ganz abge­se­hen von der Tat­sa­che, dass eine hohe Durch­schnitts­in­tel­li­genz noch lan­ge kein Garant für eine fried­li­che­re Welt ist. Wei­ter­hin hoch­ak­tu­ell sind hin­ge­gen sei­ne Über­le­gun­gen zu den The­men “Pro­pa­gan­da”, “Die Kunst des Ver­kau­fens” oder “Unbe­wuss­te Beein­flus­sung”. Wir wer­den uns in des­halb in den nächs­ten Fol­gen damit auseinandersetzen.

Das berühm­te Zitat von Tho­mas Jef­fer­son, einem der Grün­der­vä­ter der USA:
Wir (die Grün­der der neu­en ame­ri­ka­ni­schen Demo­kra­tie) glau­ben, dass der Mensch ein ver­nunft­be­gab­tes Wesen ist, von der Natur mit Rech­ten und mit einem ange­bo­re­nen Sinn für Gerech­tig­keit aus­ge­stat­tet, und dass er vom Übel­tun zurück­ge­hal­ten und in sei­nen Rech­ten geschützt wer­den kann durch maß­vol­le, Per­so­nen sei­ner eige­nen Wahl anver­trau­te Macht …«
kom­men­tiert Hux­ley folgendermassen:
Nach-Freu­di­schen Ohren klingt die­se Spra­che rüh­rend kuri­os und naiv. Die Men­schen sind ein gut Teil weni­ger ver­nünf­tig und von Natur aus gerecht, als die Opti­mis­ten des 18. Jahr­hun­derts annah­men. Ande­rer­seits sind sie weder so mora­lisch blind noch so hoff­nungs­los unver­nünf­tig, wie die Pes­si­mis­ten des 20. Jahr­hun­derts uns glau­ben machen möch­ten. Trotz Es und Unter­be­wusst­sein, trotz ende­mi­scher Neu­ro­sen und des Vor­herr­schens eines nied­ri­gen Intel­li­genz­quo­ti­en­ten sind die meis­ten Men­schen wahr­schein­lich hin­rei­chend nor­mal und ver­nünf­tig, um mit der Len­kung ihrer eige­nen Geschi­cke betraut wer­den zu können.

Demo­kra­ti­sche Ein­rich­tun­gen die­nen dazu, die Gesell­schafts­ord­nung mit der Frei­heit und dem Taten­drang des Ein­zel­nen zu ver­ein­ba­ren und die den Herr­schen­den eines Lan­des über­tra­ge­ne Macht dem Veto der Beherrsch­ten unter­zu­ord­nen. Dass sich in West­eu­ro­pa und den USA die­se Ein­rich­tun­gen, alles in allem, gar nicht so schlecht bewährt haben, beweist bereits, dass die Opti­mis­ten des 18. Jahr­hun­derts nicht ganz unrecht hat­ten. Wenn den Men­schen freie Hand gelas­sen wird, kön­nen sie sich selbst regie­ren, und dies bes­ser, wenn­gleich viel­leicht mit gerin­ge­rer mecha­ni­scher Tüch­tig­keit, als sie von »Behör­den, wel­che von ihrem Wil­len unab­hän­gig sind«, regiert wer­den kön­nen. Wenn ihnen freie Hand gelas­sen wird, wie­der­ho­le ich; denn das ist eine unent­behr­li­che Voraussetzung.

Doch dann folgt eine Mah­nung, die auch 60 Jah­re spä­ter nichts von ihrem Gewicht ein­ge­büsst hat:
Hier im Wes­ten hat das Glück uns erlaubt, das gro­ße Expe­ri­ment der Selbst­re­gie­rung machen zu kön­nen. Lei­der sieht es nun so aus, als wür­de uns durch die jüngs­ten Ver­än­de­run­gen in unse­ren Umstän­den die­se unend­lich kost­ba­re Mög­lich­keit stück­chen­wei­se genom­men. Und das ist natür­lich noch nicht alles. Die­se gehei­men, unper­sön­li­chen Kräf­te sind nicht die ein­zi­gen Fein­de indi­vi­du­el­ler Frei­heit und demo­kra­ti­scher Ein­rich­tun­gen. Es gibt auch Kräf­te von ande­rer, weni­ger abs­trak­ter Art, Kräf­te, wel­che wil­lent­lich von macht­gie­ri­gen Indi­vi­du­en genutzt wer­den kön­nen, deren Ziel es ist, ihre Mit­men­schen teil­wei­se oder völ­lig zu beherrschen.

Damit sind wir schon mit­ten im The­ma “Pro­pa­gan­da in einer Demo­kra­tie”:
Es gibt zwei Arten von Pro­pa­gan­da – ratio­na­le Pro­pa­gan­da für Hand­lun­gen, wel­che mit dem auf­ge­klär­ten Ego­is­mus der­je­ni­gen, die sie machen, und der­je­ni­gen, an die sie gerich­tet ist, über­ein­stim­men, und nicht ratio­na­le Pro­pa­gan­da, wel­che mit nie­man­des auf­ge­klär­tem Ego­is­mus über­ein­stimmt, son­dern von Lei­den­schaf­ten, blin­den Regun­gen, unbe­wuss­ten Begier­den oder Befürch­tun­gen dik­tiert ist und sich an eben die­se wendet. (…)
Pro­pa­gan­da für sol­ches Han­deln, das auf­ge­klär­tem Ego­is­mus ent­spricht, wen­det sich an die Ver­nunft über logi­sche Argu­men­te, wel­che auf das bes­te ver­füg­ba­re, voll und ehr­lich dar­ge­leg­te Beweis­ma­te­ri­al gegrün­det sind. Pro­pa­gan­da für sol­che Hand­lun­gen, die von nied­ri­ge­ren Impul­sen als auf­ge­klär­tem Ego­is­mus dik­tiert sind, bie­tet fal­sches, ver­fälsch­tes oder unvoll­stän­di­ges Beweis­ma­te­ri­al, mei­det logi­sche Argu­men­te und sucht ihre Opfer durch blo­ße Wie­der­ho­lung von Schlag­wor­ten zu beein­flus­sen, durch wüten­de Anpran­ge­rung frem­der oder hei­mi­scher Sün­den­bö­cke und durch lis­ti­ge Ver­qui­ckung der nied­rigs­ten Lei­den­schaf­ten mit den höchs­ten Idealen, …
Die Fähig­keit, für Ver­nunft und Wahr­heit emp­fäng­lich zu sein, ist in uns allen vor­han­den. Vor­han­den ist aber lei­der auch der Hang, für Unver­nunft und Unwahr­heit emp­fäng­lich zu sein – beson­ders in den­je­ni­gen Fäl­len, in denen die Unwahr­heit ein Lust­ge­fühl her­vor­ruft, oder der Appell an die Unver­nunft eine ant­wor­ten­de Sai­te in den pri­mi­ti­ven, inhu­ma­nen Tie­fen unse­res Wesens zum Erklin­gen bringt.

Wir blei­ben auch in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Sams­tag, den 4. Mai bei die­sem Thema.

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