Fortsetzung der Zusammenfassung von Dr. Whitton zu den Erfahrungen der Zwischenleben seiner Propanden im Bardo-Zustand zwischen zwei Inkarnationen:
Das Leben im Rückblick
Zum Zweck der Selbsteinschätzung wird die Seele mit einem augenblicklichen panoramischen Rückblick konfrontiert, der jedes einzelne Detail der letzten Inkarnation enthält. Emanuel Swedenborg dramatisierte diesen Rückblick als Rezitation aus einem Erinnerungsbuch über das Verhalten eines Menschen zwischen Geburt und Tod. Die Erfahrung der Probanden von Dr. Whitton ist jedoch, dass der Prozess unmittelbarer und allumfassender ist, ein absolutes Wiedererleben des letzten Lebens. Ein Proband sagte:
Es ist, als würde man direkt in einen Film über sein Leben eintauchen. Jeder Moment aus jedem Jahr deines Lebens wird mit allen Sinnesdetails wiedergegeben. Eine totale, vollständige Erinnerung. Und das alles geschieht in einem Augenblick.
Die Rückschau erzählt der Seele mehr über das letzte Leben, als der Einzelne jemals selbst erkennen könnte, selbst wenn seine Erinnerung vollständig wiederhergestellt wäre. Eine ganze Welt, derer sich der Einzelne nicht bewusst war, kommt zum Ausdruck. Das Gesamtbild ist so detailreich, dass die Seele zum ersten Mal erkennt, wann sie das Glück verspielt hat, wann sie durch Gedankenlosigkeit anderen Schmerz zugefügt hat oder wann sie in Lebensgefahr schwebte.
Die Seele nimmt jedes Detail dieser personalisierten Videoaufzeichnung auf, was zu einer rigorosen Selbstanalyse führt. Dies ist der Moment der Wahrheit für die Seele, und während dieser Phase bleiben die Richter eher im Hintergrund. Laut Dr. Whittons Probanden verhalten sie sich nicht in der autoritären Weise, die die kulturelle Tradition vermuten lässt. Vielmehr benehmen sie sich eher wie liebevolle Lehrer, deren Ziel es ist, ihre Schüler zum Lernen und zum Lernen aus vergangenen Fehlern zu ermutigen. Der Richterrat initiiert häufig Diskussionen über kritische Episoden im letzten Leben, gibt rückblickende Ratschläge und vermittelt die Gewissheit, dass jede Erfahrung, egal wie unangenehm sie auch sein mag, die persönliche Entwicklung fördert.
Die Hoffnungen, Freundschaften, Ideale, ästhetischen Neigungen und mentalen Prozesse des Einzelnen sind Teil der Überprüfung. Emotionalität wird auf ein Minimum reduziert, während die Richter die Seele sanft dabei unterstützen, ihre Handlungen im größeren Kontext vieler Leben objektiv zu verstehen. Nur durch die Beobachtung karmischer Tendenzen und Muster – die innerhalb eines einzigen Lebens immer schwer zu erkennen sind – kann die Seele einen gewissen Fortschritt auf ihrer langen, langen Reise der spirituellen Evolution erkennen.

Die Rückblick auf vergangene Leben wird vermutlich aus der Akasha-Chronik entnommen, die Seher und Okkultisten seit langem als unauslöschliche Eindrücke
betrachten, die alles, was jemals geschehen ist, in der ätherischen Substanz des Universums hinterlassen hat. Edgar Cayce, der große amerikanische Hellseher, sagte, die Akasha-Chronik sei „für die geistige Welt das, was das Kino für die physische Welt ist“. Hellseher können auf dieses kosmische Gedächtnis zugreifen, und es scheint, dass hypnotisierte Personen Zugang zu derselben riesigen, nicht-molekularen Bibliothek erhalten. Wann immer sich die Regression auf eine Szene konzentriert, eine Momentaufnahme aus einem früheren Leben, ist sich die Person unter Hypnose intuitiv relevanter Details bewusst, die über die Grenzen der Momentaufnahme hinausgehen. Dieses tiefgehende Bild wird in einer Weise wiedergegeben, die den Eindruck erweckt, als würden die Informationen aus einem Videoband mit vollständiger Erinnerung abgerufen.
(Wie immer bei solchen Themen dürfte sich in der aktuellen Literatur dazu leider auch viel Schrott finden …)
Orthodoxe und konservative Kirchen verneinen, dass sich solche Vorstellungem mit dem Christentum — vielleicht besser: mit dem christlichen Dogma — vereinbaren lassen, So heisst es etwa in einem Artikel des evangelischen Sonntagsblatts aus dem Jahre 2019:
Wird das einzelne menschliche Leben nicht entwertet, verliert es nicht seine Würde, wenn es nur als eines in einer “Kette” von tausend anderen gesehen wird? Biblisch lässt sich die Vorstellung von der Seelenwanderung jedenfalls nicht begründen. In der Bibel herrscht eindeutig die Überzeugung vor, dass der Mensch ein Leben hat, für das er am Ende der Zeit Rechenschaft ablegen muss.
Dieser interessanten Frage: Ob Reinkarnation und christliche Botschaft unvereinbar seien oder nicht, werden wir später im Detail untersuchen müssen.
Fortsetzung am kommenden Freitag, den 31. Oktober
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