Nach zwei kleinen Exkursen, aus­gelöst durch den Hin­weis eines aufmerk­samen und kri­tis­chen birsfaelder.li-Lesers, kehren wir zum faszinieren­den Buch des Psy­chi­aters Joel D. Whit­ton zurück. Whit­ton erlebte während der hyp­no­tis­chen Rück­führung ein­er Propandin eher zufäl­lig, wie sie einen Zus­tand zwis­chen zwei Inkar­na­tio­nen schilderte. Das weck­te seine Forsch­erneugierde, denn im tibetis­chen Bud­dhis­mus wird dieser Bar­do-Aufen­thalt detail­liert beschrieben. Aber auch im West­en ist er nicht unbekan­nt. Rudolf Stein­er, der Begrün­der der Anthro­poso­phie, wird mit dem Ausspruch zitiert:
„Das Leben zwis­chen Tod und neuer Geburt ist so reich und vielfältig wie das Leben hier zwis­chen Geburt und Tod …”

Defin­i­tiv ange­feuert aber wurde sein Inter­esse, als er 1975 auf die bahn­brechende Studie von Dr. Ray­mond MoodyLife after Life” stiess, der darin die Erfahrun­gen von Men­schen beschrieb, die nach dem klin­is­chen Tod wieder­belebt wor­den waren. (auf dt: “Leben nach dem Tod”)

Das Best­seller-Buch, das sich auf die Erfahrung des Ster­bens konzen­tri­erte, stellte keine Behaup­tun­gen zur Reinkar­na­tion auf. Den­noch berichteten Moodys Proban­den, dass sie ihren Kör­p­er „gese­hen“ hät­ten und in eine Vielzahl von Empfind­un­gen einge­taucht seien, die ihnen jegliche Angst vor dem Tod genom­men hät­ten. Inten­sive Gefüh­le der Liebe, Freude und des Friedens, die Präsenz eines unbeschreib­lich hellen Lichts, die Teil­nahme an einem Prozess der Selb­st­be­w­er­tung und schließlich das Bewusst­sein ein­er begren­zen­den Bar­riere oder Gren­ze waren nur einige der häu­fig berichteten Phänomene. “Life After Life” weck­te so großes Inter­esse an der Vorstel­lung ein­er näch­sten Welt, dass Dr. Whit­ton sich ver­an­lasst sah, seine eige­nen Forschun­gen neu zu betra­cht­en (…)

Je mehr Dr. Whit­ton über die Beweise für Wiederge­burt und außerkör­per­lich­es Bewusst­sein nach­dachte und je mehr er diese Beweise mit mys­tis­chen und the­ol­o­gis­chen Erken­nt­nis­sen ver­glich, desto größer wurde seine Neugi­er. Es lagen Zeu­ge­naus­sagen aus früheren Leben und von der Gren­ze zwis­chen Tod und Geburt vor, aber das Hin­ter­land jen­seits der Inkar­na­tion blieb geheimnisvoll und schein­bar undurch­dringlich. Und so fühlte sich Dr. Whit­ton, wie ein Astro­physik­er, der von den beein­druck­enden Geheimnis­sen des Wel­traums ange­zo­gen wird, dazu hinge­zo­gen, die Natur und Dimen­sion des Bar­do zu erforschen. Mit der Zeit wurde er zum inof­fiziellen Kar­tographen dieses Nie­mand­s­lan­des, zu einem erfahre­nen Ent­deck­er der Vor­welt. Aber er machte sich vor­sichtig auf den Weg, nur mit sein­er Hyp­nosetech­nik und ein­er einzi­gen großen Frage bewaffnet: Was geschieht mit uns zwis­chen den irdis­chen Inkar­na­tio­nen?

Da Sprache ein Pro­dukt weltlich­er Erfahrung ist, neigen Worte dazu, in der ätherischen Umge­bung des Lebens zwis­chen den Leben zu stock­en und zu ver­sagen. Wie kann das Unaussprech­liche aus­ge­drückt wer­den? Wie kann das Unaussprech­liche aus­ge­sprochen wer­den? In seinem Gedicht „Paracel­sus“ kam Robert Brown­ing der schw­er fass­baren Essenz des Bar­do sehr nahe. Er wies auf dessen Zugänglichkeit tief in jedem von uns hin und schrieb:
Es gibt einen inner­sten Kern in uns allen, wo die Wahrheit in ihrer ganzen Fülle wohnt … und „wis­sen“ beste­ht eher darin, einen Weg zu öff­nen, durch den die gefan­gene Pracht entwe­ichen kann, als darin, Licht here­inzu­lassen, das man außer­halb ver­mutet.

Dr. Whit­ton hat mehr als dreißig Proban­den – die meis­ten über einen Zeitraum von mehreren Jahren – in die zeit­lose, raum­lose Zone dieser „gefan­genen Pracht“ begleit­et. Die Erfahrung ist so kraftvoll und unbeschreib­lich, dass Erst­be­such­er sprach­los sind, ihre Gesichter vor Ehrfurcht und Ver­wirrung verz­er­rt, während ihre Lip­pen verge­blich ver­suchen, die Pracht ihrer Umge­bung zu beschreiben. Später ver­suchen sie ihr Bestes, um die Fülle an Bildern und Ein­drück­en zu entschlüs­seln. Mit den Worten eines Proban­den:
Ich habe mich noch nie so gut gefühlt. Eine überirdis­che Ekstase. Helles, strahlen­des Licht. Ich hat­te keinen Kör­p­er wie auf der Erde. Stattdessen hat­te ich einen Schat­tenkör­p­er, einen Astralkör­p­er, und ich ging auf nichts. Es gibt keinen Boden und keinen Him­mel. Keine Gren­zen jeglich­er Art. Alles ist offen. Es gibt dort andere Men­schen, und wenn wir kom­mu­nizieren wollen, kön­nen wir das tun, ohne zuhören oder sprechen zu müssen …

Dieser geseg­nete Zus­tand, den Dr. Whit­ton als Metabe­wusst­sein beze­ich­net hat, kann als Wahrnehmung ein­er Real­ität jen­seits aller bekan­nten Exis­tenz­zustände definiert wer­den. Er unter­schei­det sich von Traumzustän­den, außerkör­per­lichen Erfahrun­gen, dem Wieder­erleben ver­gan­gener Leben und allen anderen verän­derten Bewusst­sein­szustän­den. Metabe­wusst zu sein bedeutet, mit der Quin­tes­senz der Exis­tenz zu ver­schmelzen, sein Iden­titäts­ge­fühl aufzugeben, um para­dox­er­weise ein inten­siveres Selb­st­be­wusst­sein als je zuvor zu erlan­gen. Metabe­wusst zu sein bedeutet, von kör­per­lichen Zwän­gen befre­it zu sein, sich eins mit dem Uni­ver­sum zu fühlen, eine Wolke in ein­er end­losen Wolke zu wer­den. Und obwohl dies eine Atmo­sphäre der Schw­erelosigkeit und wat­tear­ti­gen Leere ver­muten lässt, ist das Leben zwis­chen den Leben keine Märchen­welt. Diejeni­gen, die seinen Reich­tum gekostet haben, wis­sen, dass sie die ulti­ma­tive Real­ität besucht haben, die Bewusst­sein­sebene, von der aus wir uns auf immer neue Inkar­na­tio­nen begeben und zu der wir nach dem Tod des Kör­pers zurück­kehren.

Im Zus­tand zwis­chen den Leben wer­den die hyp­no­tisierten Proban­den mit allen möglichen Bedeu­tun­gen und Dra­men bom­bardiert, die sie irgend­wie entschlüs­seln und über­set­zen müssen, um sich mit ihrer Lage auseinan­derzuset­zen und ihre Erfahrun­gen mitzuteilen. Dementsprechend greifen sie unbe­wusst auf uni­verselle Sym­bole – Arche­typen – aus dem kollek­tiv­en Unbe­wussten zurück, wie sie der große Psy­cho­an­a­lytik­er Carl Jung genan­nt hat. Nur durch Sym­bole kön­nen Reisende im Bar­do hof­fen, diese Welt ohne Zeit und Raum zu ver­ste­hen und zu beschreiben. Diejeni­gen, die leicht sym­bol­isieren kön­nen, haben am meis­ten zu sagen; diejeni­gen, die Schwierigkeit­en mit der Visu­al­isierung haben, bleiben ten­den­ziell rel­a­tiv kom­mu­nika­tion­sarm.

Fort­set­zung am kom­menden Fre­itag, den 12. Sep­tem­ber

An anderen Serien inter­essiert?
Wil­helm Tell / Ignaz Trox­ler / Hein­er Koech­lin / Simone Weil / Gus­tav Meyrink / Nar­rengeschicht­en / Bede Grif­fiths / Graf Cagliostro /Sali­na Rau­ri­ca / Die Welt­woche und Don­ald Trump / Die Welt­woche und der Kli­mawan­del / Die Welt­woche und der liebe Gott /Lebendi­ge Birs / Aus mein­er Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reich­sidee /Voge­sen Aus mein­er Bücherk­iste / Ralph Wal­do Emer­son / Fritz Brup­bach­er  / A Basic Call to Con­scious­ness Leon­hard Ragaz / Chris­ten­tum und Gno­sis / Hel­ve­tia — quo vadis? / Aldous Hux­ley / Dle WW und die Katholis­che Kirche / Trump Däm­merung / Manès Sper­ber /Reinkar­na­tion

Kennsch dy Birsfälde? Nr. 6
Manès Sperber - Kämpfer für eine neue Welt 33

Deine Meinung