Ende Jan­u­ar 1933 began­nen die Hux­leys eine drei­monatige Reise in die Karibik und nach Mit­te­lameri­ka. Zuerst ging es auf dem Kreuz­fahrtschiff Bri­tan­ni­ca mit diversen Zwis­chen­hal­ten nach Jamai­ka, von wo sie auf einem Bana­nen­dampfer nach Belize im ehe­ma­li­gen Britisch-Hon­duras fuhren, das Aldous wie das Ende der Welt vorkam.
Ihr erstes gross­es Ziel aber war Guatemala, wo sie mehr als einen Monat ver­bracht­en und sich aus­giebig den fasziniern­den Relik­ten der Maya-Kul­tur wid­me­ten. In Quirigua hiel­ten sie sich einige Tage bei dem schot­tis­chen Arzt Dr. MacPhail auf, dessen Grossh­erzigkeit und Selb­st­losigkeit Aldous so nach­haltig beein­druck­ten, dass er ihm später in seinem let­zten Roman “Eiland” ein Denkmal set­zte.

Weit­er ging es über Hon­duras mit dem Schiff an die Paz­i­fikküste Mexikos. Nach einem Aufen­thalt beim englis­chen Kaf­feeplan­ta­genbe­sitzer Roy Fen­ton im süd­mexikanis­chen Bun­desstaat Oax­a­ca fassten sie den aben­teuer­lichen Plan, auf dem Weg zur Haupt­stadt Oax­a­ca de Juarez  einen Teil der Strecke über eine Gebirgs­kette auf dem Rück­en von Maultieren zurück­zule­gen.
Über ver­schlun­gene und und sehr aben­teuer­liche Wege ging es in erschöpfend­en Tages­märschen über San Pedro und Miahu­at­lan nach Ejut­la, wo Aldous und Fen­ton in ein­er Bar unlieb­same Bekan­ntschaft mit einem betrunk­e­nen Mexikan­er macht­en, der ger­ade noch daran gehin­dert wer­den kon­nte, seinen Revolver gegen die Frem­den einzuset­zen. (…)
In der Haupt­stadt Oax­a­cas bestaunten Aldous und Maria die his­torischen Zeug­nisse der indi­ge­nen Kul­turen … Über Puebla, Cholu­la und Tax­co erre­icht­en sie schliesslich Mexiko-Stadt. Erneut waren sie die umwor­be­nen Gäste zahlre­ich­er Empfänge.
Aldous aber äusserte sich in seinen Aufze­ich­nun­gen und Briefen ins­ge­samt sehr kri­tisch über Mexiko — wie auch über ganz Mit­te­lameri­ka. (…) Die prim­i­tiv­en Ver­hält­nisse, die in Schmutz, Armut und Krankheit ihren Aus­druck fan­den, erin­nerten ihn an seine … Erleb­nisse in Indi­en. Zudem stellte er fest, dass all die neg­a­tiv­en Eigen­schaften des Men­schen, die er in Europa wahrnahm und die mit dem Auf­stieg der Nation­al­sozial­is­ten in Deutsch­land eine fatal neue Qual­ität zu erre­ichen schienen — Hass und Neid, Raf­fgi­er, Feind­seligkeit und Gewalt­bere­itschaft — auch in Mit­te­lameri­ka deut­lich aus­geprägt waren. Es han­delte sich offen­bar um Kon­stan­ten der men­schlichen Psy­che. Anges­tachelt und kanal­isiert durch nation­al­is­tis­che Pro­pa­gan­da kon­nte sie leicht für kriegerische Zwecke vere­in­nahmt wer­den.

Zurück in Sanary kon­nten sie angesichts der steti­gen Zunahme von Emi­granten aus Deutsch­land, die sich an die franzö­sis­che Mit­telmeerküste gerettet hat­ten — darunter auch Thomas und Hein­rich Mann -, die Verdüsterung des poli­tis­chen Hor­i­zonts in Europa haut­nah miter­leben.
Par­al­lel dazu begann sich Hux­ley langsam der Möglichkeit zu öff­nen, dass die allein auf die Materie bezo­ge­nen Wis­senschaften vielle­icht noch nicht der Weisheit let­zter Schluss waren. Dazu beige­tra­gen hat­te die Begeg­nung mit der Ärztin, Sex­u­al­forscherin und Chi­rolo­gin Char­lotte Wolff und die Lek­türe des von seinem Fre­und Ger­ald Heard emp­foh­lene Buch “Yoga and West­ern Psy­chol­o­gy” von Geral­dine Coster.
Deren Beschäf­ti­gung mit Möglichkeit­en, die indi­vidu­elle Per­sön­lichkeit zu entwick­eln, beein­druck­te ihn sehr. Coster stützte sich auf die Weisheit­en des altindis­chen Gelehrten Patan­jali, der noch vor dem 5. Jahrhun­dert n.Chr. das Yoga­su­tra, einen frühen Med­i­ta­tions-Leit­faden, ver­fasst hat­te. Sie beschrieb med­i­ta­tive Wege, die Aufmerk­samkeit und damit das Bewusst­sein zu schär­fen, gewohn­heitsmäs­sige Denk- und Hand­lungsmuster aufzubrechen, gedanklichen Ablenkun­gen ent­ge­gen­zuwirken und das Denken zu steuern, um so ins­ge­samt eine höhere Selb­stkon­trolle zu erlan­gen. Das Ziel bestand darin, im Men­schen schlum­mernde, aber im All­t­ag ver­drängte Poten­tiale zu ver­wirk­lichen.

Hux­ley gelangte zur Überzeu­gung, dass die Entwick­lung des Indi­vidu­ums eine entschei­dende Voraus­set­zung für eine pos­i­tive Verän­derung der Gesellschaft sei. Und zu diesen Entwick­lungspo­ten­tialen gehörten auch sog. “übersinnliche” Fähigkeit­en wie Telepathie und Hell­sichtigkeit. In seinem Essay “Sci­ence Turns to the Super­nat­ur­al” über die englis­che Soci­ety for Psy­chi­cal Research, der auch Natur­wis­senschaftler ange­hörten, meinte er
… es han­dele sich offen­bar um sel­tene Begabun­gen, die mit denen her­aus­ra­gen­der Kün­stler und Wis­senschaftler ver­gle­ich­bar seien. Zum ersten Mal über­schritt Aldous damit eine für ihn lange als unüber­wind­bare gel­tende Schwelle. Es zeigte sich jet­zt immer deut­lich­er, in welche Rich­tung seine Über­legun­gen und Bestre­bun­gen gin­gen.

Es dürfte kein Zufall gewe­sen sein, dass er in der Fol­gezeit in seine erste grosse Leben­skrise geri­et.

Dazu mehr in der näch­sten Folge am kom­menden Fre­itag, den 2. Dezem­ber.

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