Die folgenden Jahre finden wir die Huxleys an verschiedensten Orten, — natürlich im geliebten Forte dei Marmi, in Cortina d’Ampezzo, wo sie längere Zeit wegen der angeschlagenen Gesundheit ihres Sohnes Matthew wohnten, in England wegen dessen Einschulung, in Suresnes bei Paris und schliesslich in Sanary-sur-Mer an der französischen Riviera, wo sie ein Haus kaufen konnten:
Während sie … abwesend waren, malte ein Handwerker als Überraschung für die neuen Hausbesitzer ihren Namen auf die Torpfosten der Einfahrt. Dort prangte nun in grossen, leuchtend grünen Buchstaben der Schriftzug “Villa Huley”. Aldous und Maria waren gerührt von der Idee, sahen über den Rechtschreibefehler hinweg und beliessen es erstmal dabei. “Villa Huley” hiess jetzt ihr Zuhause und blieb es für die kommenden sieben Jahre. Dank ihrer Autos — zum Schluss ein stolzer, für Aldous massangefertigter Bugatti — unternahmen sie weiterhin ausgedehnte Reisen in Frankreich, Italien und Spanien.
(alle Zitate aus Rasch/Wagner, Aldous Huxley)
Der Einzug in die “Villa Huley” bildete zugleich den Schlusspunkt einer intensiven freundschaftlichen Beziehung: Wenige Monate vorher, am 2. März 1930, war D.H. Lawrence in Vence bei Cannes an Lungentuberkulose in den Armen Marias gestorben. Die Freundschaft zwischen den beiden Schriftstellern hatte Jahre früher begonnen, als Huxley sich als Student in Garsington Manor aufhielt.
Die charakterlichen Gegensätze hätten stärker nicht sein können. Huxleys zurückhaltende, abwägende Intellektualität traf auf Lawrences schonungslose Offenheit und Ehrlichkeit, seine antiintellektuelle und antiwissenschaftliche Haltung, die die Gefühle, Leidenschaften und Triebe des Menschen in das Zentrum des Lebens rückte. Aldous war schockiert und fasziniert zugleich, denn Lawrence verkörperte diejenigen Eigenschaften, die er sich selbst eher absprach oder aktiv zu unterdrücken versuchte. Aber die Gegensätze zogen sich offensichtlich an. Lawrence erzählte Aldous von seinem Plan, in Florida eine Kommune Gleichgesinnter zu gründen, die dem europäischen Zivilisationszerfall und Zerstörungwahn entkommen wollten, und fragte ihn, ob er mitmachen wolle. Aldous sagte zögerlich zu. Das Projekt kam zwar nie zustande, aber das Aufeinandertreffen der konträren Persönlichkeiten legte den Grundstein für eine intensive Freundschaft, die erst mit Lawrences Tod … ein abruptes Ende fand und mit Huxleys posthumer Herausgabe der Briefe seines Freundes eine besondere Würdigung erfuhr.
In den folgenden Jahren trafen sich die beiden Ehepaare — Lawrence war mit der deutschen Frieda von Richthofen verheiratet — regelmässig in Italien, der Schweiz und in Frankreich. Im Jahre 1928 geriet Lawrence mit seinem letzten Roman “Lady Chatterleys Liebhaber”, an dem er jahrelang gearbeitet hatte, in die Fänge der Zensur. Seine Publikation wurde in England wegen seines angeblich pornographischen Inhalts bis zum Jahre 1960 verboten. Die Huxleys waren in einer Alphütte in der Schweiz die ersten Leser des Manuskripts gewesen und Maria Huxley hatte es in die Schreibmaschine getippt.
Aldous schien mehr und mehr gebannt von dieser eigentümlichen Persönlichkeit, die seinem skeptischen Denken aus der Seele sprach, ihm als Intellektuellen jedoch weitgehend fremd blieb. Lawrence manifestierte trotz seiner schwachen Gesundheit eine beeindruckende Lebensnähe. Er verkörperte für Huxley den vollkommenen “geerdeten” Menschen, der es gar nicht für nötig befand, die Existenz dem nach Erklärungen suchenden und dabei immer nur vereinfachenden Intellekt zu unterwerfen.
Im Herbst 1928 bat D.H. Lawrence, der sich inzwischen in der südfranzösischen Gemeinde Bandol an der westlichen Côte d’Azur niedergelassen hatte, Huxley betreffend die Publikation des Werks erneut um Hilfe, denn es kursierten bereits zu horrenden Preisen gehandelte Raubdrucke. Ein Jahr später erschien schliesslich die erste offizielle Version bei einem französischen Verleger in Paris.
Huxleys Begeisterung für D.H. Lawrences Lebensphilosophie begann schon bald nach dessen Tod zu bröckeln, was eigentlich kaum überraschend kam. Viel zu unterschiedlich waren die persönlichen Voraussetzungen der beiden Freunde. Aldous’ Intellektualität gebot ihm, auf längere Sicht nicht auf der Ebene des Erlebens stehen zu bleiben, sondern nach übergeordneten Erklärungsmustern Ausschau zu halten. Er lehnte Lawrences Ansatz nicht ab — ganz im Gegenteil: Das Erleben in seiner gesamten Vielfalt bildete den Massstab, an dem sich jede metaphysische Spekulation zu orientieren hatte.
Nächste Folge am Samstag, den 18. November.
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