Als ich mit dem Buch begann, ahnte ich, dass die Darstellung, wie die Irokesen einige der Vorstellungen der Gründer von der Demokratie mitgestaltet haben, einige schlafende Hunde aufscheuchen würde, vor allem, weil unsere Geschichte weitgehend ohne diese Ideen auskam. Ich hatte jedoch keine Ahnung von dem wilden Ritt, auf den ich mich einlassen würde. Ich lernte sehr schnell, dass diese Idee bei meinen Professoren zwei sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrief: absolute Ablehnung und riesige Neugier, schrieb Bruce E. Johansen in seinem Buch “Debating Democracy”.
Und so kam es tatsächlich. Die aufgrund intensiver Archivforschungen aufgestellten Thesen von Grinde und Johansen wurden als “Fiktion” und “Idiotie” hingestellt. Rush Limbaugh, der populäre rechtsradikale Radiomoderator, nannte die Erkenntnisse von Johansen “schlimmer als Geschichtsrevisionimus. Es ist die Eliminierung von Fakten”. Der Jurist und Generalanwalt Robert H. Borke stellte ihn als “politisch motivierten Mörder der wertvollsten Werte der westlichen Zivilisation” und als “Verfechter des dämonischen Multikulturalismus” hin, und meinte, es könne unmöglich seriöse Forschungen zu einem so albernen Thema geben.
Als die Debatte über die so genannte “Einflussnahme-Theorie” immer kämpferischer wurde, stellten wir fest, dass unsere Gegner auf ihre Karikaturen unserer Behauptungen reagierten … Hätte sich diese Debatte ausschliesslich um historische Fakten und Interpretationen gedreht, wäre sie allein aufgrund des Umfangs der Literatur zu diesem Thema zumindest ein akzeptabler Gegenstand für wissenschaftliche Diskussionen und Debatten gewesen. Das Gewicht der Beweise hat viele Menschen davon überzeugt, dass das Thema zumindest diskutabel ist.
Unsere Untersuchung konzentrierte sich auf den Einfluss der amerikanischen Ureinwohner auf die Ideen, die die meisten Amerikaner normalerweise ihren Gründervätern zuschreiben, und die sich auf Freiheit, Föderalismus und die Rolle des Staates in menschlichen Angelegenheiten beziehen (…)
Als frischgebackener Doktor der Philosophie war ich ziemlich unwissend, was die aktuelle Politik zu diesem Thema anging. Als ich erfuhr, warum ich Schwierigkeiten hatte, Verlage und Zuschüsse für eine Idee zu bekommen, die ich für gut hielt, war ich verärgert darüber, dass sie mir das Leben schwerer machten, als es sonst der Fall gewesen wäre. Jetzt, als älterer Professor mit fester Anstellung und einem Stiftungslehrstuhl, blicke ich mit Verwunderung auf die “Irokesen-Experten” zurück, die lange und hart daran gearbeitet hatten, sich in einem Kontext, den sie verstanden, einen wissenschaftlichen Ruf aufzubauen, nur um dann von ihren “Untertanen” Widerspruch zu erfahren.
Es ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie ethnische Scheuklappen (was kann von Indigenen Gutes kommen?) eine objektive und sachliche Diskussion der Forschungen von Grinde und Johansen fast unmöglich machten:
In dem Maße, in dem sich die Idee des Einflusses verbreitete, eskalierte auch der Gegenangriff darauf. Die Debatte fand zu einer Zeit statt, als die Ureinwohner Amerikas versuchten, ihren marginalisierten Status in den westlichen akademischen Studien zu überwinden.
Die Debatte wäre nicht so emotional verlaufen, wenn es sich einfach um eine wissenschaftliche Diskussion über die Rolle bestimmter Ideen in der Geschichte gehandelt hätte. Die oft schrille Tonlage des Widerstands gegen die Behauptung einer Rolle der amerikanischen Ureinwohner bei der Entwicklung der Demokratie zeigt, dass die Debatte intellektuellen Bruchlinien folgte, die sowohl Wahrheits- als auch Machtansprüche verfolgten.
Johansen wies zwar darauf hin, dass die Gründerväter die Irokesen nicht kopiert hätten, genausowenig wie die Griechen, die Römer, die Magna Charta oder die Schweizer Kantone … So wie die erobernden Römer die griechische Kultur und die politischen Ideen in sich aufnahmen, schufen die Europäer in Amerika ein kulturelles Amalgam in ihrer neuen Heimat. Aber für jemanden, der überzeugt ist, dass unsere Geistesgeschichte ausschliesslich europäisch ist, haben “Eingeborene” nichts zu suchen …
Inzwischen hat sich der Entrüstungssturm bei konservativen Politikern und Akademikern etwas gelegt. Im Gegenteil: Bücher wie “Anfänge” von David Graeber, in dem er den indigenen Einfluss auf die Ideen der Aufklärung nachweist, sind zu internationalen Bestsellern geworden.
Es lohnt sich also, den Forschungen von Grinde und Johansen etwas vertiefter nachzugehen, — und dies in der übernächsten Folge am Donnerstag, den 2. März. Am kommenden Donnerstag werfen wir einen Blick auf das Buch des Luzerner Historiker “Zeiten der Auflehnung” von Aram Mattioli.
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