Bevor wir uns weiter mit den Forschungen von Grinde und Johansen beschäftigen, soll hier ein anderes Buch kurz vorgestellt werden, das deutlich macht, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Indigenen in Nordamerika — und insbesondere der tragischen und blutigen Konfrontation mit den weissen Siedlern aus Europa — auch in der Schweiz wieder an Aktualität gewinnt.
Verantwortlich dafür zeichnet Aram Mattioli, Professor für Geschichte der neuesten Zeit an der Universität Luzern.
2017 erschien sein Buch “Verlorene Welten. Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas”. Im Vorwort dazu schrieb er damals:
Es gibt Themen, die lassen einen ein Leben lang nicht los, ohne dass man genau zu sagen wüsste, weshalb. Ein solcher Gegenstand war und ist für mich die Zerstörung des indianischen Nordamerikas und die damit einhergehende Beinahe-Ausrottung der First Peoples.
Damit griff er im Grunde genommen eine Tradition des Interesses in der Eidgenossenschaft auf, die in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit Ernst Herzig, alias Ernie Hearting, seinen Anfang nahm. Herzig war — wahrscheinlich weltweit — der erste Autor überhaupt, der aufgrund akribischer Quellensuche ein objektives Bild der Zerstörung der indigenen Völker in Nordamerika zu zeichnen suchte und mit seinen 15 Büchern herausragenden Chiefs, die sich dieser Zerstörung entgegenstellten, ein eindrückliches Denkmal setzte. Der birsfaelder.li-Schreiberling hatte das Glück, Ernie Hearting, dessen Bücher er als Jugendlicher alle begeistert verschlungen hatte, noch persönlich kennenlernen zu dürfen.
Während Herzig/Hearting damals Biographien “für die Jugend” schrieb, stellt Mattioli mit seinem Buch das Drama in einen grösseren Zusammenhang und macht die Tragödie des Ethnozids, dessen Schauplatz im 19./20. Jahrhundert der nordamerikanische Kontinent war, umso eindrücklicher fassbar.
Nun ist vor wenigen Tagen der Folgeband “Zeiten der Auflehnung. Eine Geschichte des Indigenen Widerstandes in den USA” erschienen, in dem er aufzeigt, dass sich indigene Gemeinschaften nach dem tiefen Schock der Konfrontation mit einer aggressiven weissen Kultur insbesondere seit den 70er-Jahren wieder auf ihre eigenen Wurzeln besinnen und aktiv für ihre kulturelle — und sogar politische — Autonomie kämpfen.
Zu dieser Zeit litten die Nachfahren von Tecumseh, Crazy Horse und Geronimo überall in den USA unter den Spätfolgen von Eroberung, kolonialer Unterdrückung und Zwangsassimilisation und blickten auf eine bleierne Zeit der “kulturellen Zerstörung” zurück. Doch hatte sich über das ganze 20. Jahrhundert hinweg auch eine erstaunliche, bislang wenig beachtete Widerständigkeit an den Tag gelegt. Zu keinem Zeitpunkt stellten sie bloss “unglückselige Opfer” von historischen Prozessen dar, die machtvoll über sie hinwegrollten.
Von dieser Widerständigkeit legt das Buch auf eindrückliche Weise Zeugnis ab. Selbstverständlich kommt darin auch die Geschichte von Deskaheh ausführlich zu Wort.
Wer also eine Geschichte kennenlernen möchte, die nicht von den Siegern geschrieben wurde, dem seien die beiden Bücher von Aram Mattioli wärmstens empfohlen. Doch aufgepasst! Ein Kritiker schrieb zum ersten Band:
Der Schweizer Historiker Aram Mattioli hat in seinem Buch ›Verlorene Welten‹ die Geschichte
der Indianer Nordamerikas zwischen 1700 und 1910 so aufgeschrieben, dass man das Buch, einmal angefangen, nicht mehr zur Seite legt.
Das gilt auch für sein neues Werk.
Parallel zum indigenen Aufwachen in den USA kam es übrigens auch in der Schweiz zur Gründung von INCOMINDIOS, dem “Internationalen Komittee für die Indigenen Amerikas”. Die Organisation unterstützte in den 70er-Jahren u.a. den Kampf der indigenen Delegationen bei der Menschenrechts-Kommission der UNO in Genf und ist auch heute noch aktiv wie eh und je.
In der nächsten Folge steigen wir in die Diskussion um den Einfluss der Irokesen auf die amerikanische Verfassung ein.
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