Seit eini­ger Zeit schenkt “Welt­wo­che Dai­ly” jeden Sams­tag mit “Mei­len­stei­ne der Schwei­zer Geschich­te” gra­tis und fran­ko Nach­hil­fe­un­ter­richt für alle, die in Sachen Geschich­te der wacke­ren Eid­ge­nos­sen in der Schu­le etwas geschnarcht haben. Chef­re­dak­tor Köp­pel und Pro­fes­sor Mör­ge­li rei­sen kreuz und quer durch unser Land und berich­ten an Ort und Stel­le dar­über, was aus SVP-Sicht erin­ne­rungs­wür­dig ist:  In über 30 Fol­gen von den Schwei­zern in der Alt­stein­zeit (doch, doch!), dem Bun­des­brief, über die Schlacht am Mor­gar­ten bis zur Bour­baki-Armee.

Am letz­ten Sams­tag ver­irr­te sich das Gespann nach Rie­hen, um dort im Innen­hof des Wett­stein­hau­ses — heu­te Muse­um “Kul­tur & Spiel” — den Mann zu wür­di­gen, der in Müns­ter und Osna­brück anläss­lich der Ver­hand­lun­gen zum West­fä­li­schen Frie­den mit dis­kre­ter Hil­fe Frank­reichs die juris­ti­sche Unab­hän­gig­keit der Schweiz vom Hei­li­gen Römi­schen Reich deut­scher Nati­on erreichte.

Chris­toph Mör­ge­li hat­te sei­ne Haus­auf­ga­ben gemacht und zeich­ne­te von Johann Rudolf Wett­stein ein leben­di­ges und his­to­risch durch­aus kor­rek­tes Por­trait. Die span­nen­de Fra­ge ist — abge­se­hen von der Wahl der meist unver­fäng­li­chen The­men — wo in die­ser Serie jeweils SVP-Ideo­lo­gie raus­guckt. Bei Wett­stein war das gegen Schluss der Sen­dung der Fall, als der Chef­re­dak­tor wis­sen woll­te, ob Wett­stein zum Zeit­punkt sei­nes Todes in der Schweiz als berühm­ter Mann gestor­ben sei.

Mör­ge­li: Man hat ihn gekannt als Diplo­mat. Den blu­ti­gen Teil möch­te ich doch auch noch anfü­gen, weil es gehört auch zu sei­nem Leben. Er war dem Anci­en Régime den­noch ver­haf­tet. Es gab für ihn eine Obrig­keit, die er ver­trat, es gab Unter­ta­nen, und er hat beim Bau­ern­auf­stand, als sich die Basel­land­schäft­ler Bau­ern erho­ben im Jahr 1653, sie­ben Rädels­füh­rer ent­haup­ten las­sen. Dazu steht in Lies­tal ein Denk­mal, und die­ses Denk­mal spricht natür­lich nicht für Wettstein. 

Köp­pel: Das ist die blu­ti­ge Linie, die es halt damals in die­ser Zeit gab, — und liess das The­ma sogleich wie eine heis­se Kar­tof­fel fal­len, um wie­der auf SVP-Linie zurück­zu­fin­den: Was ist viel­leicht die wich­tigs­te Zeit, die wich­tigs­te Leh­re, die wir heu­te aus sei­ner Diplo­ma­tie zie­hen kön­nen? .. Die Pro­blem­la­ge der Schweiz hat sich ja nicht wesent­lich ver­än­dert. Es geht immer dar­um, die eige­ne Unab­hän­gig­keit zu behaup­ten. Heu­te wie­der gegen die Euro­päi­sche Uni­on. Es lau­fen Ver­hand­lun­gen .… Was könn­te ein Igna­zio Cas­sis von Rudolf Wett­stein lernen?

Mör­ge­li: Wett­stein hat natür­lich den Wert der Unab­hän­gig­keit erkannt. …

Die “blu­ti­ge Linie”, die Köp­pel mit einem klei­nen Sätz­chen rasch weg­zu­wi­schen ver­such­te, war die gros­se Aus­ein­an­der­set­zung um Frei­heit, Selbst­be­stim­mung und sozia­le Gerech­tig­keit, die im 17. Jahr­hun­dert die Alte Eid­ge­nos­sen­schaft bis ins Mark erschüt­ter­te: Der Schwei­zer Bau­ern­krieg 1653. Aus­ge­hend vom Ent­le­buch und dem Emmen­tal erfass­te er wie ein Flä­chen­brand gros­se Tei­le der Eid­ge­nos­sen­schaft, auch das Basel­biet. Die Gnä­di­gen Her­ren in den Städ­ten schaff­ten es damals nur mit Söld­nern, im aus­län­di­schen Sold­dienst abge­brüh­ten Offi­zie­ren wie den Gene­ra­len von Erlach (Bern), Werd­mül­ler (Zürich) und Zwy­er von Eve­bach (Uri), mit Ver­rat und höchs­ter Bru­ta­li­tät die­sen Schrei nach Frei­heit und Gerech­tig­keit in Blut und Asche zu ersticken.

Am gros­sen Bau­ern­auf­stand gegen das aris­to­kra­ti­sche Städ­te­re­gime hat­ten sich auch Basel­bie­ter Bau­ern betei­ligt. Als im Mit­tel­land die Köp­fe roll­ten und fröh­lich gehängt wur­de, woll­ten sich auch die Her­ren vom Rhein unter der Lei­tung von Rudolf Wett­stein nicht lum­pen las­sen und hol­ten sich an der Uni­ver­si­tät ein juris­ti­sches Gut­ach­ten ein. In sei­nem Rechts­gut­ach­ten plä­dier­te Prof. Jacob Bur­ck­hardt für sie­ben Todes­ur­tei­le und eine Rei­he von lebens­läng­li­chen Galee­ren­stra­fen. Um ganz sicher zu gehen, lies­sen sie sich die Urtei­le vom Theo­lo­gie­pro­fes­sor Theo­dor Zwin­ger auch noch theo­lo­gisch absichern:
“Es hat Gott vor­zei­ten den Rich­tern sei­nes Vol­kes ganz ernst­lich befoh­len, dass ihr Aug den Ver­füh­rern nicht scho­nen, dass sie sich über sie nicht erbar­men, noch sie ver­ber­gen, son­dern sie erwür­gen und stei­ni­gen sol­len. … Bei dem Pro­phe­ten Jere­mia lässt sich Gott mit gros­sem Ernst ver­lau­ten: ver­flucht seye, der das Werck des Her­ren läs­sig thut, ver­flucht seye, der sein Schwert auf­hält, dass es nicht Blut ver­gies­se.” … Gott selbst habe an der rebel­li­schen Statt Liech­t­stall (Lies­tal) “ein extra­or­di­na­ri zuvor uner­hör­tes Gericht” voll­zo­gen durch ein kürz­li­ches “erschre­cken­li­ches Hagel­ge­wit­ter”, und damit zei­gen wol­len, “was, sei­nem Exem­pel nach, christ­li­che Obrig­kei­ten in Abstra­fung hoch­er Ver­bre­cher zu thun haben.” Nicht ver­ge­bens habe Gott die Ober­kei­ten “mit sei­nem Namen gewür­digt und Göt­ter genen­net”! (Hostett­ler, Der Rebell vom Eggi­wil, p. 635)

So kam es denn, dass am 14. Juli 1653 Hein­rich Stutz, Kon­rad Schul­er, Hans Gysin aus Lies­tal, Jog­gi Moh­ler von Dieg­ten, Ueli Gysin von Läu­fel­fin­gen und Gal­li Jen­ny von Lan­gen­bruck vor dem Stei­nen­tor mit Got­tes Segen um einen Kopf kür­zer gemacht wur­den. Ueli Schad von Ober­dorf fand als Haupt­rä­dels­füh­rer den uneh­ren­haf­ten Tod durch den Strang.

Wie ist die Mis­si­on Rudolf Wett­steins aus Nicht-SVP-Sicht zu bewer­ten? — Die Ablö­sung vom Reich war für die Eid­ge­nos­sen­schaft ohne Zwei­fel ein sinn­vol­ler, ja not­wen­di­ger Schritt. Denn die Reichs­idee lag nach dem grau­en­haf­ten Dreis­sig­jäh­ri­gen Krieg längst in den letz­ten Zügen und führ­te bis zum end­gül­ti­gen Begräb­nis unter Napo­le­on nur noch ein Schattendasein.

Aber man darf nicht ver­ges­sen, dass noch nach dem Schwa­ben­krieg, als Kai­ser Maxi­mi­li­an I. den Eid­ge­nos­sen 1499 im Frie­den zu Basel huld­voll die Wie­der­auf­nah­me ins Reich anbot, die­se ent­rüs­tet reagier­ten. Doch nicht, weil sie dem Ange­bot nicht fol­gen woll­ten, son­dern weil sie insis­tier­ten, sie sei­en ja gar nie aus dem Reich ausgetreten!

Das Köp­pel-/Mör­ge­li-Gespann konn­te es sich am Schluss nicht ver­knei­fen, den Bas­lern vor­zu­wer­fen, sie sei­en dem Erbe Wett­steins untreu gewor­den. Die bei­den Basel hat­ten 1992 näm­lich als ein­zi­ge Deutsch­schwei­zer Kan­to­ne einem EWR-Bei­tritt zuge­stimmt, — aus SVP-Sicht Lan­des­ver­rat. Was mei­nen sie wohl zur Tat­sa­che, dass Basel-Stadt, “die euro­pä­ischs­te Stadt der Schweiz”, und Basel­land gera­de dar­an sind, ihre eige­nen Euro­pa-Initia­ti­ven zu lancieren 😉 ?

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Mattiello am Mittwoch 22/35

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