Schon wenige Tage nach der Grün­dung der Iroke­senkom­mis­sion kon­nte Deska­heh an ein­er ersten Grossver­anstal­tung auftreten. Ein­er der Teil­nehmer, der ungarische Karika­tur­ist Alois Der­so, schilderte das Ereig­nis so:
Deska­heh betrat den grossen Saal unbe­fan­gen und würde­voll. Es wurde gekichert, er war im tra­di­tionellen Aufzug des Chiefs der Cayu­ga-Nation erschienen, trug aber einen enor­men gel­ben Kof­fer mit sich, den er sorgfältig auf dem Tisch platzierte. “Warum zur  Hölle brachte er diesen Kof­fer mit?”, fragte ein­er mein­er Nach­barn den anderen. “Ver­mut­lich traute er den Leuten an der Garder­obe nicht”, antwortete der. Das Gelächter ver­s­tummte aber, als Deska­heh mit sein­er Geschichte begann, die er auf ein­fache und  berührende Art erzählte. Als er geen­det hat­te, gab es einem Moment der Stille — und dann erhob sich brausender Beifall. … Aufrecht, ernst und ungerührt wartete der Red­ner, bis das Tosen endete. Dann ver­liess er aus­druck­s­los die Bühne. (sämtliche Auszüge aus Willi Wot­treng, Ein Irokese am Gen­fersee)

Was es mit dem Kof­fer auf sich hat­te? Deska­heh zeigte jew­eils die Wampum, die indi­ge­nen Urkun­den, welche die Verträge und Ver­sprechun­gen Eng­lands an die Iroke­sen fes­thiel­ten.

Eine Res­o­lu­tion zuhan­den der schweiz­erischen Lan­desregierung wurde ver­fasst. Sie solle das Begehren der Six Nations an den Rat der Vere­in­ten Natio­nen über­mit­teln.  Mon­sieur Jun­od schlug vor, ein Gespräch mit dem dama­li­gen Aussen­min­is­ter Giuseppe Mot­ta zu arrang­ieren. Ein NZZ-Jour­nal­ist ver­fasste eine pos­i­tive Würdi­gung von Deska­hehs Auftritt. Warum dessen Anliegen nicht auch in Zürich vorstellen? Jun­od kan­nte dort ein paar Pro­fes­sorenkol­le­gen.

Gesagt, getan. Im Okto­ber fuhr Deska­heh zusam­men mit Jun­od und Hed­wige Bar­blan, die auch Deutsch sprach, in die Ostschweiz. In Zürich erwartete eine kleine Del­e­ga­tion mit dem Geolo­gen Arnold Heim und dem Unternehmer Paul Haug, der Deska­heh und Bar­blan beherber­gen würde. Und schon ging es los:
Vor­trag im Casinothe­ater Win­terthur, Hun­derte find­en keinen Platz im Saal. Vor­trag in Luzern, mit Über­nach­tung im Hotel Palace. Vor­trag in St. Gallen, mit drei Über­nach­tun­gen dort. Vor­trag in Bern. Gespräche mit Her­ren und Damen von der Presse. In manchen Sälen muss er beson­ders laut sprechen, damit auch der Hin­ter­ste ihn ver­ste­ht. Hed­wige ver­sorgt ihn gegen die Heis­erkeit mit Ahorn­tee, den sie aufgetrieben hat. Zum Glück ist sie da, küm­mert sich wie eine Mut­ter, Schwest­er und wahre Fre­undin um ihn.

Im Schwurg­erichtssaal in Zürich kam auch die Rolle der Frau bei den Hau­denosaunee zur Sprache:
Bei den Six Nations besassen … nur die Frauen das Wahlrecht. Den Stammes­rat wählten allein die Frauen. “Denn die Frauen erziehen die Kinder und kön­nen daher am besten beurteilen, wer für diesen Posten geeignet ist”. Frauen wären auch bei den Tagun­gen des Rates dabei, wo sie selb­stver­ständlich das Wort ergreifen, und wenn sie dies tun, wür­den ihnen alte Chiefs aufmerk­sam zuhören. Allerd­ings dürften die Frauen nicht in den Rat gewählt wer­den.

Aber es gab auch Mis­stöne und Missver­ständ­nisse. Deska­heh hat­te kein schweiz­erisches Zeit­empfind­en und kam nicht immer pünk­tlich an die Ver­anstal­tun­gen. In St. Gallen liess er im Anschluss an seinen Vor­trag eine Sam­mel­büchse zirkulieren. Offen­sichtlich ein Tabubruch für die biederen Ostschweiz­er …

Deska­heh fühlte sich bei seinen Zürcher Gast­ge­bern wohl, und es entspann sich manch inter­es­sante Diskus­sion, z.B. um das Auftreten eines anderen Iroke­sen in Europa: Brant Sero. Sero war eine schillernde Fig­ur, die ein ziem­lich aben­teuer­lich­es Leben zwis­chen Schaus­piel­erei und Engage­ment für die eigene indi­gene Kul­tur führte. 1910 hielt er sich in Deutsch­land auf und beteiligte sich an einem Vor­läufer der aktuellen Woke-Diskus­sion, inwiefern Karl May sich der kul­turellen Aneig­nung schuldig gemacht habe — und erst noch auf verz­er­rte Weise. Wie sich Karl May gegen die Anschuldigung wehrte, kann man hier nach­le­sen.

Was er von der Kri­tik an Karl May halte?, hakt Heim nach.
Deska­heh antwortet trock­en:Brant Sero hat sel­ber bei ein­er frag­würdi­gen Show mit­gemacht. Da wer­den Weisse an den Marterp­fahl gebun­den und mit dem Tom­a­hawk geschlachtet, nach unseren Geset­zen ist das ver­boten”. Brant Sero habe den Schrift­steller Karl May sog­ar vor der Amerikanis­chen Gesellschaft zur Förderung der Wis­senschaften in Toron­to an den Pranger gestellt. “Der Mann plus­tert sich auf wie ein Truthahn. Und er trinkt zuviel”.
“Aber die Win­netou-Romane rühren ans Herz”, sagt Haug. 

Der birsfaelder.li-Schreiberling erin­nert sich sein­er­seits gerne an die unzäh­li­gen span­nen­den Stun­den, in denen er als Junge im Karl May-Uni­ver­sum ver­sank. Später lernte er dann, dass May — abge­se­hen von einem kurzen Besuch in den USA — eine indi­gene Fan­tasiewelt beschwor, die mit der geschichtlichen Real­ität sehr wenig zu tun hat­te.
Na und? Dass man heute deswe­gen May plöt­zlich ver­bi­eten will, weil er die indi­an­is­chen Kul­turen ver­fälscht dargestellt und sich “angeeignet” habe, erscheint ihm allerd­ings von ein­er Lächer­lichkeit son­der­gle­ichen. Es gilt doch ein­fach, seine Geschicht­en als das zu nehmen, was sie sind: Fan­tasiepro­duk­te, die mit­tels eines erfun­de­nen indi­an­is­chen Kos­mos von Gut und Böse, Mut, Treue, Ver­rat und Fre­und­schaft erzählen.

Inzwis­chen tat sich auch an der Völkerbunds.Front einiges. Pana­ma, Per­sien, Est­land und der irische Freis­taat ver­langten, die Peti­tion der Iroke­sen müsse auf die Tage­sor­d­nung des Völker­bunds geset­zt wer­den. Der Vor­sitzende des Völker­bund­srats, Hjal­mar Brant­i­ng, äusserte Sym­pa­thie für das Vorhaben. Lei­der reicht­en die Län­der den Antrag erst zwei Tage vor Ses­sion­sende ein, — zu spät.

Blieb die Hoff­nung, doch noch in Kon­takt mit dem schweiz­erischen Bun­desrat zu kom­men. Dazu mehr in der näch­sten Folge

am kom­menden Don­ner­stag, den 20. Okto­ber.

P.S. Wer die ganze span­nend und aus­führlich erzählte Geschichte von Deska­heh ken­nen­ler­nen möchte, dem sei das Buch von Willi Wot­treng, auf dem diese Folge basiert, wärm­stens emp­fohlen!

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Mattiello am Mittwoch 22/41
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