Am Montag, den 12. November war es endlich soweit: Auf das wiederholte Drängen von Junod erhielt Deskaheh eine viertelstündige Audienz bei Bundespräsident Karl Scheurer, — nach gehabtem Mittagessen bei einer Tasse Kaffee im Palmengarten des Bellevue Palace.
Der Sekretär zieht ein Dossier hervor: “Wir haben wahrgenommen, dass in der Öffentlichkeit ein grosses Interesse an Ihren Ausführungen besteht, und haben darüber einen Bericht erstellt. Nach unseren Informationen”, er wendet sich zum Bundespräsidenten, ” wurden die Vorträge, die Herr Deskaheh in verschiedenen Städten hielt, von insgesamt siebzehntausend Personen gehört, und alle haben sie den vom Irokesenhäuptling vorgelegten Entschliessungen zusgestimmt. Über die Versammlungen wurde in ungefähr hundert schweizerischen Zeitungen berichtet.”
“Bemerkenswert”, nickt Scheurer. “Wir finden auch bemerkenswert, dass das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten in Montreal meinte, mit einer offiziellen Antwort gegenüber dem Generalsekretariat des Völkerbunds reagieren zu müssen, obschon sich die Verantwortlichen des Völkerbunds in Genf von Anfang an auf den Standpunkt gestellt haben, dass die Eingabe der Irokesen eine rein interne Angelegenheit Kanadas sei und deshalb nicht verhandelbar.” (sämtliche Auszüge aus Willi Wottreng, Ein Irokese am Genfersee)
Deskaheh war es nämlich gelungen, dank einem finanziell potenten Gönner zuhanden der Delegierten des Völkerbunds tausend Exemplare seines Manifests “Redman’s Appeal for Justice” in Englisch und Französisch drucken zu lassen und — nachdem eine offizielle Verteilung nicht gestattet wurde — wenigstens unter der Hand zu verteilen. Die kanadische Regierung fühlte sich offensichtlich trotzdem herausgefordert und reagierte mit einem “Statement respecting the Six Nations Appeal to the League of Nations”.
Darin wurden die Ansprüche der Irokesen auf staatliche Anerkennung kategorisch zurückgewiesen:
“Summa summarum”, so der Bundespräsident: “Wir können Ihnen sagen, dass wir Ihren Appell der Rothaut zur Kenntnis genommen haben und dass wir prüfen, ob wir unterstützen können, dass er im Völkerbund dennoch diskutiert wird.
Und dann war vom Bundesrat nichts mehr zu hören.
Deskaheh gab nicht auf, verfasste weiter Briefe und Petitionen:
In Italien ist ein neuer starker Mann Premier geworden; Deskaheh schreibt dem “Signore Mussolini” und bittet um ein Gespräch. Leider antwortet der nicht. Deskaheh schreibt an seine Exzellenz aus China, Mr Tang-Tsai-Fou, denn China ist antiimperialistisch. Schreibt zum wiederholten Mal an den Aussenminister von Persien, Prince Arfa ed Dowleh, der in Monaco residiert.
Einige Briefe versucht er persönlich zu überreichen. Längst weiss er, wo die Völkerbundsvertreter logieren. Passt sie vor den Hotels ab. …
Als eine Sitzung des Völkerbundsrates nach Paris verlegt wurde, reiste Deskaheh in die französische Hauptstadt:
Einmal kann er den Sekretär des Ratsvorsitzenden am Rock fassen. Der teilt im mit, dass die Frage der Six Nations “von grosser Delikatesse” sein. Ein Diplomat, der seinen Namen nicht nennt, erklärt, dass so mancher Delegierte fürchte, man könne “die Sensibilitäten des Löwen hinter dem Thron” verletzen. (…)
Wie ein Bettler wartet er wieder vor Sitzungszimmern und Kongresssälen. … Gelegentlich grüsst ein Herr Delegierter mit dem Stockknauf. Den einen oder anderen verwickelt er in ein Gespräch, nein, zwingt es ihm geradezu auf. Als es ihm gelingt, Lord Robert Cecil, britisches Delegationsmitglied, anzusprechen, antwortet der trocken: “Sprechen Sie mit meinem Sekretär”, und geht weiter.Es ist ein Peitschenhieb, wie sie Sklavenhalter austeilen, wenn ihnen ein Dreckskerl die Stiefel leckt.
Und “der britische Löwe” setzte Staaten wie Persien oder die Niederlande politisch so unter Druck, dass diese es vorzogen, die Unterstützung der Anliegen Deskahehs still und heimlich zu beerdigen.
Deskaheh wurde krank.
Trotz seiner Erkältung, die er nicht loswird, arbeitet Deskaheh weiter. Dicker Pullover, dickes Halstuch, so verpackt, sitzt er am Tisch in seinem Zimmer, oft beim Licht der Gaslampe, und schreibt und schreibt. Ein Häuptling darf nicht ruhen. … Deskaheh macht sich Gedanken über seine Abreise. Irgendwann muss er zurück. Auch wenn die Leute in Genf gut zu ihm sind. Auch wenn immer wieder Hoffnung aufflackert, dass die Frage der Six Nations doch noch auf die Agenda einer Völkerbundssession gesetzt wird. Wenn nicht auf dieser, dann auf der nächsten, oder der übernächsten … Auch geschlagene Krieger kehren zurück. Einem stärkeren Feind zu weichen, ist keine Schande.
Als der Husten auch im Mai nicht abklingt, rät ihm der Arzt, zu dem Hedwige ihn schickt, dringend zur Kur. Er redet von Lebensgefahr. Widerstrebend gehorcht Deskaheh.
Kurhotel auf dem Genfer Hausberg Le Salève, spezialisiert auf Tuberkuloseerkrankungen. Kampfpause.
Derweil blieb Kanada nicht untätig. Dazu mehr in der nächsten Folge
am Donnerstag, den 27. Oktober.
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