Als die Idee eines hei­li­gen christ­li­chen Rei­ches, das in Euro­pa bis weit in die Neu­zeit hin­ein trotz aller poli­ti­schen Que­re­len und Macht­ge­lüs­te leben­dig geblie­ben war, im napo­leo­ni­schen Wir­bel­sturm defi­ni­tiv das Zeit­li­che seg­ne­te, hielt der Arzt, Päd­ago­ge, Poli­ti­ker und Phi­lo­soph Ignaz Paul Vital Trox­ler an der Visi­on fest, dass sich auf die­ser Welt eines Tages doch noch Got­tes Reich ver­wirk­li­chen kann.

Die vor­her­ge­hen­den Fol­gen haben deut­lich gemacht, war­um der Reichs­ge­dan­ke nach all den her­ben Ent­täu­schun­gen und per­ver­tier­ten Erschei­nun­gen im 20. Jahr­hun­dert mit weni­gen Aus­nah­men (z.B. bei Otto von Habs­burg) von His­to­ri­kern und Poli­ti­kern defi­ni­tiv als Chi­mä­re abge­schrie­ben wur­de. Ja die Vor­stel­lung sel­ber wird heu­te oft als eigent­li­che Ursa­che für poli­ti­schen Fana­tis­mus betrach­tet: das Reich Got­tes, eine toxi­sche Idee — Hän­de weg davon!

Was brach­te Ignaz Trox­ler dazu, sich in sei­nen Schrif­ten regel­mäs­sig mit der Visi­on des Got­tes­rei­ches auseinanderzusetzen?

Ignaz Trox­ler war Christ. Aber er war, obwohl Katho­lik, kein Kir­chen­christ. Er ver­ab­scheu­te jeg­li­chen toten dog­ma­ti­schen Glau­ben und kämpf­te gegen Into­le­ranz sowohl von katho­li­scher wie auch pro­tes­tan­ti­scher Sei­te. So hielt er in sei­nen “Frag­men­ten” ein­mal fest:
Die Natur will, dass die Men­schen erst zu Chris­ten gebil­det wer­den, ehe zu Katho­li­ken oder Pro­tes­tan­ten … Das sagt schon die Spra­che: ein katho­li­scher Christ — nicht ein christ­li­cher Katho­lik! — Reli­gi­ons­par­tei­en, nicht Reli­gi­ons­ein­hei­ten waren die Con­fes­sio­nen; … Man ver­gass, dass der Katho­li­zis­mus auch nur eine Vari­an­te ist. …
Die meis­ten Men­schen leben nur in Con­fes­si­ons- und Pro­fes­si­ons­re­li­gio­nen. Der kon­fes­sio­nell-fana­ti­sche Geist ist mate­ria­lis­tisch wie spi­ri­tua­lis­tisch, extra- wie ultra­mon­tan. Sie sind alle auf einem irreli­giö­sen, anti­christ­li­chen Abweg, der zum Abgrund führt. …
Was ist bes­ser: ein Chris­ten­tums­leh­rer ohne Kon­fes­si­on oder ein Kon­fes­si­ons­leh­rer ohne Christentum?
Katho­li­zis­mus und Pro­tes­tan­tis­mus sind nur Kir­chen­tü­mer des Chris­ten­tum; das Chris­ten­tum die gött­lichs­te und mensch­lichs­te aller Religionen.

Trox­lers Chris­ten­tum wur­zel­te in sei­ner Erfah­rung des leben­di­gen kos­mi­schen Chris­tus, und es ist nur fol­ge­rich­tig, dass er 1837 die im 14. Jahr­hun­dert ent­stan­de­ne mys­ti­sche Schrift Theo­lo­gia Teutsch unter dem Titel “Das sel­te­ne uralte geist­rei­che Büch­lein, die teut­sche Theo­lo­gia, oder: die Chris­tus­re­li­gi­on in ihrer ech­ten rei­nen Con­fes­si­on, wie die­sel­be vor der Kir­chen­tren­nung bestan­den” neu her­aus­gab und kommentierte.

Dar­in fin­det sich als Ein­gangs­mot­to fol­gen­der Aus­zug aus einer sei­ner wei­te­ren Schriften:
Wah­re Mys­tik besteht nicht blos in Emp­fin­dun­gen, noch weni­ger in Emp­fin­de­lei­en, die sich sowohl der Erkennt­niss als dem Wol­len und Han­deln ent­ge­gen­stel­len. Sie ist aus dem mensch­li­chen Her­zen ent­sprun­gen, wel­ches das Unbe­frie­di­gen­de der sco­las­tisch-dog­ma­ti­schen und abs­trakt-for­ma­len Leh­ren fühl­te, daher die leben­di­gen Grün­de der Reli­gi­on in sei­nen eige­nen Tie­fen auf­zu­su­chen begann. (aus “Die Kir­chen­ver­bes­se­rung im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert”, Aar­au bei Sauer­län­der 1822)

Die­se Aus­sa­ge ist für Trox­lers Chris­ten­tum  in zwei­er­lei Hin­sicht aussagekräftig:
 Ein leben­di­ges Chris­ten­tum ent­steht nur durch das Auf­su­chen der “leben­di­gen Grün­de … in sei­nen eige­nen Tie­fen”. Womit wir wie­der bei der Auf­for­de­rung wären, das “Reich Got­tes” zuerst in sich sel­ber zu ver­wirk­li­chen.
Er ver­wahrt sich dage­gen, dass Mys­tik sich ledig­lich in einer pie­tis­tisch-beschau­li­chen Got­tes­su­che erschöpft. Ihre Früch­te müs­sen sich in kon­kre­tem Wol­len und Han­deln in der mensch­li­chen Gesell­schaft zei­gen. Ansons­ten ist es ein schwam­mi­ger Mys­ti­zis­mus. Die­se Ein­sicht bekräf­tigt er auch in sei­nen Frag­men­ten, wenn er schreibt:
Vie­le glaub­ten das wür­digs­te Geschäft des Men­schen sei, daß er sei­ne See­le von sinn­li­chen Gegen­stän­den ganz weg­wen­de und sich von allem abson­de­re, die Welt ver­ab­scheue, eine nahe Umkeh­rung des Welt­alls selbst erwar­te. Daher schon frü­he ein finstrer Cha­rak­ter, Abwen­dung von aller Tätig­keit und allem Ver­gnü­gen die rei­ne Quel­le des Chris­ten­tums trübte.
Seit­dem, beson­ders von Con­stan­tins Bekeh­rung an, nicht das Chris­ten­tum, son­dern die Ver­der­ber des Chris­ten­tums eine mön­chi­sche Moral pre­dig­ten, ver­schwand die heroi­sche Tugend. 

Trox­ler setz­te sich nicht nur mit den gros­sen deut­schen Mys­ti­kern und Theo­so­phen aus­ein­an­der (Eck­hart, Tau­ler, Böh­me, usw), son­dern auch mit Theo­lo­gen wie Gott­fried Arnold (Unpar­tey­ische Kir­chen- und Ket­zer-His­to­rie) oder dem zeit­ge­nös­si­schen Franz von Baa­der. Von ihm dürf­te er auch eini­ge rudi­men­tä­re Kennt­nis­se der Kab­ba­la, der jüdi­schen Mys­tik, erwor­ben haben, z.B. den Begriff des Ain Soph, der Sche­chi­na, der See­len­ebe­nen Nefesh, Ruach, Nes­ha­mah.

Weil die­ses Chris­ten­tum nicht auf irgend­wel­chen Dog­men­ge­bäu­den, son­dern auf inne­rer Erkennt­nis auf­baut, kann Trox­ler festhalten:
Es gibt eine Phi­lo­so­phie, die in einem höhe­ren innern all­um­fas­sen­den Bewusst­sein des Men­schen grün­det, wel­ches selbst die Quel­le der in ewi­ger Leben­dig­keit sich offen­ba­ren­den Reli­gi­on ist; dass nur in die­sem vom christ­li­chen Evan­ge­li­um erhell­ten Bewusst­sein das wesen­haf­te Prin­zip aller Reli­gi­on, aller Phi­lo­so­phie und Poe­sie, die gött­lich-mensch­li­che unsterb­li­che Indi­vi­dua­li­tät erkannt und ent­wi­ckelt wer­de; dass end­lich in Fol­ge die­ser Erkennt­nis und Ent­wick­lung der Mensch­heit auch in all ihren gesel­li­gen und geschicht­li­chen Ver­hält­nis­sen im Dies­seits sowohl in poli­ti­scher als reli­giö­ser, sowohl in indus­tri­el­ler und öko­no­mi­scher, als in mora­li­scher und intel­lek­tu­el­ler Hin­sicht das drit­te Evan­ge­li­um, das Evan­ge­li­um des Geis­tes auf­ge­hen, das Reich Got­tes wie im Him­mel, also auch auf Erden uns zukom­men, die Herr­schaft des Lichts und des Rechts, der Gleich­heit der Men­schen in natur­ge­mäs­ser Selbst­heit und Frei­heit, mit einem Wor­te der Huma­ni­tät, oder der gött­lich wie­der­ge­bo­re­nen Mensch­heit begin­nen wer­de. (aus: “Vor­le­sun­gen über Phi­lo­so­phie”. Bern 1835. 16. Vortrag)

In der nächs­ten Fol­ge am Frei­tag, den 3. Dezem­ber set­zen wir die Unter­su­chung zum “Reich Gottes”-Begriff Trox­lers fort.

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