In das politische Leben Basels einzusteigen war im Ancien Régime nicht einfach: Ämter kamen erst nach dem Tode des Inhabers frei und wurden anschliessend jeweils unter den interessierten Anwärtern verlost. Peter Ochs hatte Glück und ergatterte sich eine Richterstelle. Das bedeutete auch die Aufnahme in den Grossrat. Vom damaligen Bürgermeister Johannes de Bary erhielt er für sein Projekt, eine Geschichte Basels zu schreiben, Zugang zu den geheimen Archiven der Stadt. Was bewog ihn, sich dieser gewaltigen Arbeit zu unterziehen?
Für eine Antwort müssen wir etwas Rückschau halten. In Hamburg war der junge Ochs ein begeisterter Theaterbesucher gewesen, — dank des Zuzugs von Gottfried Ephraim Lessing, der häufig im Hause Ochs verkehrte. Ein Freund erinnerte sich:
Wir stifteten mit dem jungen Ochs (…), dem Sohn eines reichen Handlungshauses unter den Réfugiés, der eine treffliche französische Erziehung genossen hatte, trefflich französisch schrieb und sehr gute Verse machte, mit noch einigen anderen Auserwählten, eine Gesellschaft fünfzehnjähriger Jünglinge, die Theater spielten, dichteten und rezitierten. Ochs trat sogar als Solosänger bei öffentlichen Konzerten auf.
Seine frühreife Weltgewandtheit eckte jedoch in Basel an:
Sein selbstsicheres und altkluges Auftreten, seine modische Kleidung und seine sich am Modell des französischen Hofes orientierenden Umgangsformen machten ihm im kleinstädtischen Basel nicht nur Freunde. Isaak Iselin … konnte mit dem selbstsicheren Jüngling nicht viel anfangen. Albrecht Ochs zuliebe nahm er ihn 1770 an die Jahresversammlung der Helvetischen Gesellschaft nach Schinznach mit. Dort erregte Peter Ochs den Unwillen der Mitglieder, weil er sich weigerte, die Schweizer Lieder von Johann Caspar Lavater … mitzusingen, ein wichtiger Teil des Gesellschaftsrituals.
Ein Glücksfall für seine Entwicklung war die Begegnung mit dem Pfarrer der Französischen Gemeinde in Basel. Pierre Mouchon, der zu seinem geistigen Mentor wurde. Mouchon war den Ideen der Aufklärung tief verpflichtet und konfrontierte den jungen Ochs mit den sozialen Vorurteilen, die er als Spross einer grossbürgerlichen Familie hegte. Ja, er erlaubte sich sogar, auf den Sklavenhandel und die Sklavenarbeit hinzuweisen, mit denen seine Familie ihr Geld verdiente.
Als Ochs 1774 den Sommer auf einem Landgut bei Pratteln verbrachte, sensibilisierte die Begegnung mit dem Wirtschafter des Hofgutes Neu-Schauenburg sein Bewusstsein sozialer Ungleichheit noch mehr:
“Ihr seyet doch ein glücklicher Mann. Ihr besitzet ein schönes Gut; ihr geniesset die herrlichste Aussicht; und ihr habet interessante Kinder”, meinte Ochs. Gysin erwiderte mit einem Seufzer: “Was wollen sie Herr! diese Kinder sind verdammt Knechte zu werden, und ewig Knechte zu bleiben.” Diese Begegnung wurde zum Schlüsselerlebnis für Peter Ochs, das ihm die Augen für die konkreten Auswirkungen der Privilegien seines Standes öffnete.
Weitere Anregungen empfing er in Strassburg im Freundeskreis seiner inzwischen verheirateten Schwester, zu dem auch der Baron Jean de Turckheim gehörte, der später bei Ausbruch der Französischen Revolution die Stadt in der Nationalversammlung vertrat. 1776 schloss sich Ochs während seines Studiums in Leiden einer Freimaurerloge an und verfolgte mit grossem Interesse den Unabhängigkeitskampf der englischen Kolonien in Nordamerika, der bekanntlich im gleichen Jahr mit der Unabhängigkeitserklärung gekrönt wurde.
Damit wird die Motivation verständlich, die ihn dazu brachte, eine Geschichte Basels schreiben zu wollen:
Er wollte Wissen zugänglich machen, das bisher nur wenigen Stadtbürgern zur Verfügung stand und nur in den regierenden Familien weitergegeben wurde, und das tradierte Geschichtsbild hinterfragen, das die Herrschaftsprivilegien der Stadtbürger rechtfertigte. In der historischen Darstellung liessen sich kritische Kommentare und Reformvorschläge verstecken.
Aber er wollte nicht nur schreiben, sondern auch handeln:
Als gutbetuchter Bürger unterstützte er die von Isaak Iselin gegründete “Aufmunterungsgesellschaft” (die heutige GGG) und setzte ein Preisgeld von 20 Goldmünzen zur Frage aus, “In wie fern ist es schicklich dem Aufwande der Bürger, in einem kleinen Freystaate, dessen Wohlfahrt auf die Handelschaft gegründet ist, Schranken zu setzen?”
Erster Preisträger (zusammen mit einem Zürcher Theologen): Kein Geringerer als Johann Heinrich Pestalozzi. 1780 unterstützte er die Eröffnung einer Töchterschule und kam drei Jahre lang für den Lohn der Lehrerin auf.
1782 starb Isaak Iselin, und damit wurde der begehrte Posten der Ratsschreibers frei, der die Leitung der Verwaltung innehatte. Ochs bewarb sich um den Posten, und am 19. August wurde das Los gezogen, um den Glücklichen unter den 15 Bewerbern zu ermitteln.
War ihm das Glück erneut hold? Das erfahren wir in der nächsten Folge
An anderen Serien interessiert?
Wilhelm Tell / Ignaz Troxler / Heiner Koechlin / Simone Weil / Gustav Meyrink / Narrengeschichten / Bede Griffiths / Graf Cagliostro /Salina Raurica / Die Weltwoche und Donald Trump / Die Weltwoche und der Klimawandel / Die Weltwoche und der liebe Gott /Lebendige Birs / Aus meiner Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reichsidee /Vogesen / Aus meiner Bücherkiste / Ralph Waldo Emerson / Fritz Brupbacher