Die Mitver­ant­wor­tung des Finanz­platzes Schweiz für das Schick­sal der Weimar­er Repub­lik wiegt schw­er­er, als das Land es wahrhaben will, schreiben Vik­tor Par­ma und Wern­er Von­to­bel in ihrem Buch “Schurken­staat Schweiz?” und haben für dieses Urteil auch gute Gründe:
Wenige Monate vor seinem Putsch im Novem­ber 1923 reiste Adolf Hitler in geheimer Mis­sion zwecks Geldbeschaf­fung nach Zürich, wo er sich unter anderem mit Hans Oehler vom “Volks­bund für die Unab­hängigkeit der Schweiz” unter­hielt. Dessen Zweck war die Ver­hin­derung des Beitritts der Schweiz zum Völker­bund. Im Hause des Sohns von Gen­er­al Wille, Gen­er­al im 1. Weltkrieg und Mit­be­grün­der des Volks­bunds, durfte Hitler sein Parteipro­gramm vorstellen und erhielt daraufhin von Oehler und anderen Mit­gliedern des Volks­bunds eine namhafte Geldunterstützung.

Ein weit­eres promi­nentes Mit­glied des Volks­bunds darf nicht uner­wäh­nt bleiben: Pfar­rer Eduard Blocher, Gross­vater von Christoph Blocher:
Eduard Blocher geiferte in Oehlers “Schweiz­erischen Monat­sheften für Poli­tik und Kul­tur” im Dezem­ber 1923 über “die Gier der heuti­gen Juden nach Besitz und Macht, ihren Mate­ri­al­is­mus und Mam­monis­mus, ihren gehäs­si­gen Gewalt­sozial­is­mus, ihre ätzende und zer­set­zende Vernei­n­ungswut”, und weit­er “… sie ste­hen in der vorder­sten Rei­he des Heeres, das gegen den starken Obrigkeitsstaat, für den Inter­na­tion­al­is­mus, den Paz­i­fis­mus, die Ver­söh­nungs- und Ver­mit­tlungs­gedanken, aber für die die Ver­wis­chung der Kul­tur­gren­zen und der nation­al aus­geprägten Kul­tur­ar­beit kämpft.” In seinem Buch “Die deutsche Schweiz in Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart” betonte er “den Wer­tun­ter­schied der Men­schen­rassen” und die “über­ra­gende Mehrw­er­tigkeit der nord­deutschen Rasse” und polemisierte gegen die Weimar­er Republik.

Kom­men­tar über­flüs­sig. (Immer­hin dis­tanzierte er sich 1936 vom Fron­tismus). Und er war beileibe nicht allein: Eduard Blochers Ger­ingschätzung der Weimar­er Repub­lik wurde jedoch von vie­len Schweiz­ern geteilt. Erst diese — meist stillschweigende, aber weitver­bre­it­ete — Ver­ach­tung der deutschen Demokratie machte in der Schweiz alles möglich: die fre­undliche Auf­nahme der recht­en Feinde der Weimar­er Repub­lik, die sys­tem­a­tis­che Bei­hil­fe zur mas­siv­en Steuerhinterziehung.

Ein gross­es Prob­lem hätte damals die Schweiz­er Exportin­dus­trie gerne gelöst gehabt: die dop­pelte Besteuerung für ein und das­selbe Geschäft im In- und Aus­land. Die Lösung bestand im Abschluss von Dop­pelbesteuerungsabkom­men. Der Völker­bund entwick­elte dafür einen Muster­ver­trag, und auf dessen Vorschlag “schlossen fün­fzehn vor­wiegend europäis­che Staat­en auch dreis­sig Recht­shil­feverträge in Steuer­sachen ab.

Die Schweiz aber tanzte aus der Rei­he.( …) Sie ver­weigerte die inter­na­tionale Zusam­me­nar­beit im Kampf gegen die Steuer­flucht. Speziell ging Bern nicht darauf ein, Dop­pelbesteuerungsabkom­men, wie vom Völker­bund offiziell und drin­gend emp­fohlen, auch mit Klauseln über die gegen­seit­ige Amt­shil­fe bei der Bekämp­fung der Steuer­hin­terziehung zu kop­peln. Die Bankiers waren dagegen.

1931 stand der Weimar­er Repub­lik das Wass­er bis zum Hals. Die Schweiz nutzte deren Not eiskalt aus und rang ihr am 15. Juli des­sel­ben Jahres das Abkom­men ohne Auskun­ft­spflicht ab. Der Ver­trag mit Deutsch­land — für die Schweiz das erste umfassende Dop­pelbesteuerungsabkom­men über­haupt — bedeutete eine his­torische Weichen­stel­lung. For­t­an war die Schweiz im Vorteil, wenn auch andere Staat­en mit ihr die Dop­pelbesteuerung eli­m­inieren woll­ten. Bern kon­nte dafür mit schein­bar vollem Recht auch von ihnen ver­lan­gen, auf Auskün­fte bei Steuer­hin­terziehung zu verzicht­en — ganz nach Weimar­er Vorbild.

Als ab 1931 deutsche Steuer­fah­n­der in der Schweiz nach ver­steck­ten Ver­mö­gen sucht­en, baute Finanzmin­is­ter Musy mit dem Bankenge­setz, mit dem die Ver­let­zung des Bankenge­heimniss­es unter Strafe gestellt wurde, den Schutzwall weit­er aus. 1934 wink­te das Par­la­ment die Ver­schär­fung kom­men­tar­los durch. Nach seinem Erfolg schied Musy aus der Regierung aus und hoffte auf eine autoritäre Erneuerung der Schweiz. Er knüpfte per­sön­liche Verbindun­gen zu Reichs­führer SS Hein­rich Himm­ler, plädierte für die Eingliederung der Schweiz  ins “neue Europa”, betätigte sich 1940 nach dem Ein­marsch der Reich­swehr in Frankre­ich als Verbindungs­mann zwis­chen Berlin und der hitler­fre­undlichen Vichy-Regierung und erstat­tete Himm­ler regelmäs­sig Bericht.

Die Schweiz­er Geld­poli­tik im Inter­esse der Bankiers trug aber nicht nur zum Unter­gang der Weimar­er Repub­lik bei, son­dern erschüt­terte auch die Demokratie in Frankre­ich. Dazu mehr in der näch­sten Folge

am kom­menden Fre­itag, den 25. März.

P.S. Ist die Schweiz deswe­gen ein “Schurken­staat”? Natür­lich nicht. Aber manch­mal wäre etwas mehr Beschei­den­heit in der aktuellen Europafrage — ger­ade von den heuti­gen Blocher-Jüngern — dur­chaus angebracht …

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Die Schweiz in Europa 38
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