In der drit­ten Nacht geschah es:
… wohl­be­schlos­sen in sei­nem Bet­te, in tiefs­ter Stil­le, ver­fiel er, bei voll­kom­me­ner See­len­ru­he, der Sin­nen­welt ent­ris­sen, in einen toten­ähn­li­chen Schlaf (je me sen­tis effec­ti­ve­ment tom­ber dans une espè­ce de mort), und in der Ent­rü­ckung sei­ne See­le zu Gott erhe­bend, schau­te er plötz­lich ein gro­ßes herr­li­ches Licht (mes yeux furent frap­pés d’une lumiè­re mer­veil­leu­se), das ihn mit unsag­ba­rer Won­ne und Freu­de erfüll­te (jéta­is dans un ravis­se­ment ineff­able). Engel­we­sen stie­gen zu ihm her­nie­der, tra­ten ihm beid­seits zu Häup­ten und spra­chen zu ihm. (Aber, füg­te Davel sei­ner Aus­sa­ge bei, es sei ihm ver­wehrt, Nähe­res dar­über mitzuteilen.) 

Das geheim­nis­vol­le Mäd­chen brach­te ihm ein Stück gerös­te­tes Brot, … so wohl­schme­ckend, daß er sei­ner Mut­ter auch davon anbie­ten woll­te, sie aber erlaub­te es nicht. Tags dar­auf woll­te die Unbe­kann­te sei­ne Hand neh­men, um die Zei­chen dar­auf zu prü­fen, wie die Wahr­sa­ge­rin­nen tun, fügt Davel bei. Da er der­glei­chen Aber­glau­ben, wie er aus­drück­lich her­vor­hebt, ver­ab­scheu­te, zog er die Hand jäh zurück. Da lüpf­te sie sei­nen Hut, um sei­ne Stir­ne zu betrach­ten; er aber zog ihn tief ins Gesicht, wor­auf sie sag­te: „Mach nur zu, ich habe alles gese­hen!“ Und sie erzähl­te unver­mit­telt Ein­zel­hei­ten aus sei­nem bis­he­ri­gen Leben, die nie­mand sonst wis­sen konnte.

Aber sie sag­te ihm auch die Zukunft vor­aus. Sie nahm ein Ei und zer­schlug es an Davels Stirn, … warf es in ein Glas Was­ser und weis­sag­te ihm aus den Figu­ren, die sich als­bald dar­in bil­de­ten, die Bege­ben­hei­ten sei­nes künf­ti­gen Lebens vor­aus, sei­nen Ein­tritt in frem­de Diens­te, sei­ne Erleb­nis­se und Taten in Krieg und Frie­den, lau­ter Din­ge, die im Ver­lau­fe tat­säch­lich — oft bis in Ein­zel­hei­ten genau — ein­ge­trof­fen sind.Sie gab mir sozu­sa­gen eine Geschich­te mei­nes Lebens, ohne das Unter­neh­men zu ver­ges­sen, um des­sent­wil­len ich jetzt in Ket­ten bin — Davel war im Ker­ker an die Mau­er geschlos­sen —, ein Unter­neh­men, das sie mir an Hand meh­re­rer Merk­ma­le beschrieb, die mir die­nen soll­ten, die Frucht, die Zeit, die Art und Wei­se zu erken­nen. Da die Ein­zel­hei­ten sehr weit­läu­fig und viel­fäl­tig (char­gé) sei­en, füg­te sie hin­zu, daß ich wahr­schein­lich eini­ge die­ser Din­ge für eine Zeit ver­ges­sen wer­de, aber wenn es nötig wer­de, so wür­den sie sich mei­nem Gedächt­nis wie­der aufs neue leben­dig ein­prä­gen. … Es ist mir ange­zeigt wor­den, daß ich eine gro­ße Prü­fung wür­de aus­zu­hal­ten haben, aber daß Gott mich durch sei­ne mäch­ti­ge Hil­fe stär­ken wür­de.“

Drei Tage spä­ter salb­te die Unbe­kann­te Davels Kopf, … und trug ihm auf, sei­nen Hut, der auch eini­ge Trop­fen der hei­li­gen Flüs­sig­keit davon­ge­tra­gen hat­te, spä­ter einem Armen zu geben, was er auch tat — Name und Per­son die­ses Man­nes sind bekannt. Noch gerau­me Zeit nach die­ser Zere­mo­nie ström­te ein sel­te­ner Duft von sei­nem Haar aus. Seit­her wohn­te Davel die Fähig­keit inne, die Zukunft vor­aus­se­hen und Kran­ke durch Gebet und blo­ße Anwe­sen­heit hei­len zu kön­nen. Danach ver­schwand die selt­sa­me Magd ohne wei­te­res spur­los, eben­so geheim­nis­voll, wie sie auf­ge­taucht war. (alle Aus­zü­ge aus dem Buch von C. Englert-Faye)

Was ist von die­ser selt­sa­men Geschich­te zu halten?

Schon vie­le sei­ner Zeit­ge­nos­sen zogen den Wahr­heits­ge­halt sei­nes Geständ­nis­ses in Fra­ge und betrach­te­ten Davel als “Spin­ner”. Die Geist­li­chen, die ihn im Gefäng­nis besuch­ten, lies­sen durch­bli­cken, er sei wahr­schein­lich einer durch­trie­be­nen Schwind­le­rin zum Opfer gefal­len. Das ist aller­dings ange­sichts der Tat­sa­che, in wel­chem Mas­se die­se Erfah­rung sein gan­zes Leben präg­te, sei­ner­seits höchst unwahrscheinlich.

Aber es gab auch pro­mi­nen­te Ver­tei­di­ger, allen vor­an Fré­de­ric César de la Har­pe, der Erzie­her Zar Alex­an­ders I. und pro­mi­nen­ter Poli­ti­ker der Hel­ve­tik. Noch 1922 wid­me­te der Pas­tor Hen­ri Vuil­leu­mier die­sen Vor­komm­nis­sen in der “Revue de Theo­lo­gie et de Phi­lo­so­phie” einen län­ge­ren Artikel.

Con­rad Eng­lert-Faye meint dazu: Sol­che „phan­tas­ti­schen“ Ein­grif­fe in den beson­ders ver­an­lag­ten Lebens­gang von Men­schen außer­or­dent­li­cher Artung und Bestim­mung durch geheim­nis­vol­le Send­bo­ten ver­bor­ge­ner Krei­se, die im „guten“ und „bösen“ Sin­ne, för­dernd oder feind­lich mit oder gegen die Ent­wick­lung der Mensch­heit tätig sind, kom­men eben vor, was immer unse­re so auf­ge­klär­te und gleich­zei­tig eben­so aber­gläu­bi­sche Zeit­den­kung über der­glei­chen Tat­sa­chen mei­nen und über die ver­schie­de­nen Mei­nun­gen wie­der mei­nen mag.

Tat­säch­lich gibt es Par­al­le­len zu solch bedeu­ten­den Gestal­ten wie Jean­ne d’Arc, die fran­zö­si­sche Natio­nal­hel­din, die von Erz­engel Micha­el und Hei­li­gen den Auf­trag erhielt, Frank­reich vor der eng­li­schen Inva­si­on zu ret­ten, — oder unser Natio­nal­hei­li­ger Niklaus von Flüe, des­sen Ein­sied­ler­le­ben nach einer Begeg­nung mit einem Engel in der Nähe von Lies­tal begann.

Viel­leicht müss­te man ange­sichts die­ser Bei­spie­le von einer “ver­ti­ka­len” Geschich­te spre­chen, wo eine numi­no­se Ebe­ne urplötz­lich in das Gesche­hen der “hori­zon­ta­len” Geschich­te eingreift?

Major Davel ist auch heu­te in der Waadt noch prä­sent: Am 24. August 1980 liess sich ein Unbe­kann­ter in den Palais de Rumi­ne ein­schlies­sen, wo das berühm­te Bild des Malers Charles Gley­re über die Hin­rich­tung Davels hing. Nachts zer­trüm­mer­te er die schüt­zen­de Glas­schei­be und leg­te Feu­er an das Bild, das fast kom­plett zer­stört wur­de. Der Fall konn­te nie auf­ge­klärt werden.

Zum 350. Geburts­tag Davels erschien 2020 von Anto­nin Scher­rer ein opu­lent gestal­te­tes Werk über. Eine für das glei­che Jahr geplan­te Oper muss­te wegen Covid ver­scho­ben wer­den. Die Urauf­füh­rung ist jetzt für 2023 geplant.

Man darf gespannt sein!

Damit keh­ren wir zum The­ma “Schweiz in Euro­pa” zurück.

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