Frankre­ich war in der Wende vom 18. zum 19. Jahrhun­dert ohne Zweifel der Katalysator, der den Weg von einem verknöcherten, sozial ungerecht­en Staaten­bund zu einem neuen Staats­ge­bilde frei machte. Entschei­dend dazu beige­tra­gen hat die von Napoleon ini­ti­ierte Medi­a­tion­sak­te, die er nach wochen­lan­gen Ver­fas­sungs­diskus­sio­nen mit der Schweiz­er Del­e­ga­tion in Paris verkün­dete. Mit ihr kon­nte der Stre­it zwis­chen Uni­tari­ern und Föder­al­is­ten endlich beigelegt wer­den. Es war die Geburtsstunde der neuen Kan­tone Aar­gau, Waadt, Thur­gau, St. Gallen und Tessin, die ihren Unter­ta­nen­sta­tus defin­i­tiv hin­ter sich lassen konnten.

Berühmt geblieben ist sein beglei­t­en­der Kommentar:
“Plus j’ai étudié la géo­gra­phie, l’histoire et les habi­tudes de votre pays, et plus je me suis con­va­in­cu qu’il ne devait pas être assu­jet­ti à un gou­verne­ment et à des lois uni­formes. […] Il faut diver­sité de gou­verne­ments à des pays si divers. … Elle (la nature) vous a séparés des autres peu­ples par des mon­tagnes; vous avez vos lois, vos moeurs, votre langue, votre indus­trie, votre gloire, qui vous sont pro­pres. Votre neu­tral­ité est plus assurée que jamais. La France a le Sim­plon; l’Autriche le Tyrol. Vous êtes en sûreté entre ces puis­sances, qui sont en équili­bre; vous êtes tran­quilles, même dans les moments d’oscillation, parce que vous tenez le milieu des bras de la bal­ance. Main­tenez votre tran­quil­ité, vos lois, vos moeurs, votre indus­trie, et votre partage sera encore assez beau.”

Doch auch dieser poli­tis­che Burgfrieden war — etwas salopp gesprochen — nicht “auf dem eige­nen Mist gewach­sen”. Die Folge war, dass nach dem Sturz Napoleons 1813 die kon­ser­v­a­tiv­en Kräfte wieder Mor­gen­luft witterten:
Auf der einen Seite liessen sich in den patrizis­chen Städten Bern, Luzern, Freiburg und Solothurn unüber­hör­bar die Stim­men der Reak­tion vernehmen. Das Bern­er Patriziat proklamierte im Dezem­ber 1813 die erneute Unter­w­er­fung der Waadt und des ehe­ma­li­gen bernischen Aar­gaus unter seine Herrschaft. Auch die Län­derorte der Inner­schweiz macht­en die in der Hel­vetis­chen Rev­o­lu­tion erzwun­gene poli­tis­che und rechtliche Gle­ich­stel­lung der alten Landleute mit den soge­nan­nten Beisässen rück­gängig. Sie gin­gen bei der Restau­ra­tion der vor­rev­o­lu­tionären Ver­hält­nisse so weit, auch die Wiedere­in­rich­tung der Unter­ta­nen­ver­hält­nisse in den Gemeinen Herrschaften zu fordern. Nahe­liegen­der­weise wehrten sich die seit 1803 sou­verä­nen Kan­ton­al­staat­en Aar­gau, Waadt, Thur­gau, St. Gallen und Tessin kat­e­gorisch gegen den Ver­lust ihrer Sou­veränität und das Ansin­nen der früheren Her­ren, sie wieder zu eid­genös­sis­chen Unter­ta­nen machen zu wollen. (Holen­stein, Mit­ten in Europa)

Im März 1814 tagten zwei sich spin­nefeind gesin­nten Tagsatzun­gen und man rüstete zum Krieg. Erst die Inter­ven­tion der Gross­mächte, die deut­lich macht­en, dass sie eine Wieder­au­flö­sung der neuen Kan­tone strik­te ablehn­ten, und die sog­ar mit ein­er mil­itärischen Inter­ven­tion dro­hen mussten, brachte die Stre­i­thähne wieder an einen Tisch. Aber damit war noch nicht viel gewon­nen: Die darauf fol­gende “lange Tagsatzung” (April 1814 bis zum 31. August 1815) erre­ichte nur dank der uner­müdlichen Bemühun­gen divers­er Gesandter der Gross­mächte Schritt um Schritt von fast allen Beteiligten akzep­tierte Beschlüsse.
Zuerst wur­den in den einzel­nen Kan­to­nen die Ver­fas­sun­gen im Sinne der Restau­ra­tion rev­i­diert, teil­weise unter stark­er Ein­mis­chung alli­iert­er Diplo­mat­en. In den ehe­ma­li­gen Lands­ge­mein­dekan­to­nen wur­den die alte Ord­nung und die Recht­sun­gle­ich­heit­en wieder­hergestellt. In den Stadtkan­to­nen wur­den die Vor­rechte der Aris­tokratie wieder einge­führt und das Übergewicht der Städte über die Land­schaft ver­stärkt. … Die Ver­hand­lun­gen über die Bun­des­or­gan­i­sa­tion kamen erst auf neuer­lichen Druck der alli­ierten Mächte im Sep­tem­ber zu einem Abschluss, indem die endgültige Regelung der Stre­it­fra­gen, über die sich die Kan­tone nicht einig wer­den kon­nten, dem Wiener Kongress über­tra­gen wur­den. Der Entwurf des Bun­desver­trags wurde am 9. Sep­tem­ber 1814 nach ein­er erneuten Ermah­nung des bevollmächtigten britis­chen Min­is­ters Strat­ford Can­ning durch die Tagsatzung für angenom­men erk­lärt, obwohl Schwyz, Nid­walden und Appen­zell Innerrho­den bis zulet­zt ihre Zus­tim­mung ver­weigerten. (Wikipedia)

Ein deplorables Bild gaben die Eidgenossen am Wiener Kongress ab, denn neben der offiziellen kon­ser­v­a­tiv­en Del­e­ga­tion reis­ten noch eine ganze Menge von inof­fiziellen Vertretern, Pri­vat­per­so­n­en und Lob­by­is­ten nach Wien, um die ter­ri­to­ri­ale Neugestal­tung der Schweiz irgend­wie zu bee­in­flussen. Die offizielle Gesandtschaft hat­te den Auf­trag, die Anerken­nung der Neu­tral­ität durch die Gross­mächte zu erre­ichen und nach Möglichkeit Gebi­etsabrun­dun­gen zu erre­ichen. Die zahlre­ichen Par­tiku­lar­in­ter­essen der Kan­tone und die Intri­gen der inof­fiziellen und offiziellen Gesandten beein­trächtigten aber den Erfolg der Gesandtschaft stark. 

Die meis­ten ein­flussre­ichen Diplo­mat­en Gross­bri­tan­niens, Rus­s­lands und Öster­re­ichs wur­den durch die Zer­strit­ten­heit und die Kom­plex­ität der Gemen­ge­lage bei den ter­ri­to­ri­alen Fra­gen, welche die Schweiz betrafen, eher abgeschreckt. Der sink­ende Ein­fluss Rus­s­lands bewirk­te ausser­dem eine Abnahme der Sym­pa­thie für die Schweiz. Das The­ma Schweiz wurde in einem beson­deren Auss­chuss des Kon­gress­es berat­en, der auf Anrat­en der «Schweiz-Experten» Strat­ford Can­ning und Kapodis­trias gebildet wurde, um die divergieren­den Inter­essen der zahlre­ichen schweiz­erischen Parteien von den anson­sten schon kom­plizierten Ver­hand­lun­gen des Kon­gress­es abzu­son­dern. (Wikipedia)

Der nach höchst müh­seli­gen Ver­hand­lun­gen erar­beit­ete Bun­desver­trag von 1815 , der auch die Auf­nahme Neuen­burgs, Gen­fs und des Wal­lis in die Eidgenossen­schaft brachte, wurde schliesslich von allen Kan­to­nen auss­er Nid­walden angenom­men: Der kleine Kan­ton sträubte sich bis zulet­zt und willigte erst nach seinem vor­läu­fi­gen Auss­chluss aus der Eidgenossen­schaft und der mil­itärischen Beset­zung durch eid­genös­sis­che Trup­pen zäh­neknirschend ein .… Heil dir, Helvetia :-).

Der birsfaelder.li-Schreiberling wün­schte sich, dass all die Hur­ra-Patri­oten, die heute lau­thals das kämpferische Lied der urdemokratis­chen Schweiz gegen die dik­ta­torische EU sin­gen, etwas Erin­nerungsar­beit leis­ten würden …

In der näch­sten Fol­gen wer­den zwei Per­sön­lichkeit­en, die teils erfol­g­los, teils erfol­gre­ich am Wiener Kongress teil­nah­men, vorgestellt, und dies wie immer

am kom­menden Don­ner­stag, den 23. Dezem­ber.

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