Der birsfaelder.li-Schreiberling muss hier eine klei­ne Beich­te able­gen: Er ist in Sachen Wirt­schaft und Finan­zen, um es etwas scho­nend aus­zu­drü­cken, ziem­lich unbe­wan­dert. Er bezieht sei­ne wohl­ver­dien­te Pen­si­on nach 34 Jah­ren Leh­rer­da­sein, freut sich an jedem Monats­en­de auf die AHV, — und bezahlt auch noch für den letz­ten Rap­pen brav Steu­ern. Aber wenn er einen Kom­men­tar wie den fol­gen­den aus dem 2017 erschie­ne­nen Buch “Cha­os. Das neue Zeit­al­ter der Revo­lu­tio­nen” von Fabi­an Scheid­ler liest, beschleicht ihn das Gefühl, dass der Autor mit sei­ner Ana­ly­se wahr­schein­lich recht haben dürfte:
Unter Öko­no­men macht seit eini­ger Zeit das Wort von der »säku­la­ren Sta­gna­ti­on« die Run­de. Mit dem sper­ri­gen Begriff ist die Tat­sa­che gemeint, dass die Welt­wirt­schaft ein­fach nicht mehr rund lau­fen will. Eini­ge Zen­tral­ban­ker haben inzwi­schen sogar laut dar­über nach­ge­dacht, »Heli­ko­pter­geld« auf die Bevöl­ke­rung nie­der­reg­nen zu las­sen, um die stot­tern­de Maschi­ne wie­der in Gang zu brin­gen. Anstel­le von Inves­ti­tio­nen in die soge­nann­te Real­wirt­schaft fließt das Geld vor allem in spe­ku­la­ti­ve Geschäf­te. Die Fol­ge: Das Finanz­sys­tem ist auf­ge­bläh­ter und insta­bi­ler denn je – was selbst der IWF zugibt – und der nächs­te Crash nur eine Fra­ge der Zeit.

Eine der Ursa­chen für die Mise­re der Welt­wirt­schaft ist die zuneh­men­de Spal­tung zwi­schen Arm und Reich in den meis­ten Län­dern der Erde, ob in Japan, Indi­en, den USA oder Deutsch­land. Wäh­rend die acht reichs­ten Men­schen der Erde so viel besit­zen wie die gesam­te ärme­re Hälf­te der Welt­be­völ­ke­rung, ver­liert ein immer grö­ße­rer Teil der Men­schen jede öko­no­mi­sche Per­spek­ti­ve. Mit einer Jugend­ar­beits­lo­sig­keit von 40 oder gar über 50 Pro­zent ist die­ser Pro­zess längst in Süd­eu­ro­pa angekommen.
Je erfolg­rei­cher neo­li­be­ra­le Poli­tik Löh­ne drückt, pre­kä­re Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se schafft und den öffent­li­chen Sek­tor zer­stört, je effek­ti­ver Groß­un­ter­neh­men in Bil­lig­lohn­län­der aus­wei­chen und Gewin­ne in Steu­er­oa­sen ver­la­gern, des­to mehr ver­schärft sich die­se Kri­se, die letzt­lich die Fun­da­men­te des Sys­tems selbst untergräbt.

Der Schrei­ber­ling hat sich gefragt, wel­chen Anteil an die­ser Ent­wick­lung die Schweiz ange­sichts der knall­har­ten Bank­ge­heim­nis-Poli­tik der letz­ten hun­dert Jah­re wohl hat­te … Und es ist ja nicht nur das Bank­ge­heim­nis, son­dern auch die Steu­er­po­li­tik, wie Vik­tor Par­ma und Wer­ner Von­to­bel ausführen:
Früh über­nahm sie (die Schweiz) von Eng­land und Ame­ri­ka die Rezep­te und recht­li­chen Instru­men­te, um gros­se Fir­men und rei­che Bür­ger steu­er­lich zu begüns­ti­gen: Schlupf­lö­cher, Son­der­ta­ri­fe, Brief­kas­ten­fir­men, fik­ti­ve Wohn­sit­ze. Von den USA kopier­te die Schweiz den Steu­er­wett­be­werb zwi­schen Glied­staa­ten.(…) Von Eng­land kopier­ten sie (die Kan­to­ne) um 1900 auch die Idee, soge­nann­te Hol­ding­fir­men zuzu­las­sen und steu­er­lich zu pri­vi­le­gie­ren. (…) Hol­ding­fir­men hal­ten Toch­ter­fir­men. Sie üben kei­ne Geschäfts­tä­tig­keit aus. Sie sam­meln Erträ­ge ein, die — so die Begrün­dung — für lächer­li­che Steu­er­sät­ze im Pro­mil­le­be­reich von den Töch­tern schon als Gewinn ver­steu­ert wor­den sind. (…)

Gehorch­ten aber Eng­län­der und Ame­ri­ka­ner räum­li­chen Erfor­der­nis­sen oder einem Gebot der Stun­de, so füg­ten Schwei­zer Kopis­ten alles zur abge­feim­ten natio­na­len Gesamt­stra­te­gie einer Steu­er­oa­se für Welt­kon­zer­ne und Welt­bür­ger zusam­men. Und sie setz­ten es auch durch, dies über Genera­tio­nen, rigo­ros, hart­nä­ckig, Zug um Zug, Schritt für Schritt, fast plan­mäs­sig. (…) Heu­te (2008) sind rund 13’000 Hol­dings in der Schweiz ansäs­sig, davon 6000 in Zug. (…)

Die neu­tra­le Steu­er­oa­se wur­de zum Pro­to­typ mit welt­wei­ter Aus­strah­lung, in einer Ket­ten­re­ak­ti­on fort­wäh­rend neue Oasen gebä­rend. Zu ihren ers­ten Kon­kur­ren­ten auf dem Welt­markt gehör­ten die Baha­mas und ande­re Kolo­nien des zer­fal­len­den Bri­ti­schen Welt­reichs (…) Die Schweiz aber blieb das glo­ba­le Refe­renz­mo­dell. Ihrem Bei­spiel folg­ten bis zu sieb­zig Zwerg‑, Klein‑, Insel- und Stadt­staa­ten sowie Städ­te rund um den Erd­ball, (…) Jeder neue Anbie­ter expe­ri­men­tier­te mit einer ande­ren Mischung erprob­ter Rezep­te und eige­ner Spe­zia­li­tä­ten: mit oder ohne Dop­pel­be­steue­rung, mit oder ohne Rechts­hil­fe, mit oder ohne Geld­wä­sche, mit oder ohne Kor­rup­ti­on, die meis­ten aber mit Bankgeheimnis.

Alle aber ori­en­tier­ten sich — direkt oder indi­rekt — am Modell der Schweiz.

Im Schluss­wort ihres Buches “Schweiz — Schur­ken­staat?” hiel­ten Par­ma und Von­to­bel ange­sichts der gros­sen Ban­ken­kri­se 2008 fest:
Das Ban­ken­ge­heim­nis und der glo­ba­le Steu­er­wett­be­werb, die wir in unse­rem Buch anpran­gern, sind an der glo­ba­len Sys­tem­kri­se gewiss nicht allein schuld. Aber sie sind wich­ti­ge Tei­le eines Puz­zles. Sie sind Aus­lö­ser und Antrei­ber in einem sich selbst ver­stär­ken­den Rück­kop­pe­lungs­me­cha­nis­mus, der die Arbeits­ein­kom­men schwächt und die Kapi­tal­ein­kom­men ver­grös­sert und damit auch die Kapi­tal­märk­te auf­ge­bläht hat. Bis zum Platzen. 

Man darf gespannt sein, wann die nächs­te Bla­se platzt.

P.S. Der Info­sper­ber illus­trier­te ges­tern die Aktua­li­tät der The­ma­tik auf Schöns­te mit dem Arti­kel “Mär­chen­tram mich Glen­core”. Hier ein klei­ner Ausschnitt:
Der Kon­zern hat in Afri­ka und Latein­ame­ri­ka jah­re­lang Mil­li­ar­den­er­trä­ge aus dem Roh­stoff­ab­bau weit­ge­hend an ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­run­gen vor­bei aus­ser Land und in der Schweiz in den Tief­steu­er­kan­ton Zug abge­führt. Das geht aus Berich­ten von Fach­or­ga­ni­sa­tio­nen und aus Recher­chen inter­na­tio­na­ler Medi­en­ver­bün­de hervor.
Sie beschrei­ben, wie Glen­core und ande­re Roh­stoff­kon­zer­ne Erträ­ge maxi­mie­ren und Steu­er­ab­ga­ben mini­mie­ren, indem sie die Arbeit vor Ort durch illus­tre Toch­ter­ge­sell­schaf­ten erle­di­gen las­sen. Die­se wür­den, oft in kor­rup­ter Zusam­men­ar­beit mit besto­che­nen Regie­rungs­ver­tre­tern, Schürf­rech­te zu tie­fen Kon­zes­si­ons­prei­sen erwer­ben, beim Abbau kar­ge Löh­ne zah­len und Arbei­te­rIn­nen pre­kä­re Sicher­heit anbie­ten. Um die loka­le Bevöl­ke­rung zu dis­zi­pli­nie­ren, kom­me es zu Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. Am Schluss des Pro­zes­ses wür­den die Toch­ter­fir­men die Roh­stof­fe bil­lig an ihre Besit­zer­kon­zer­ne ver­kau­fen, die sie mit hohen Gewin­nen wei­ter­ver­ar­bei­ten oder wei­ter­ver­kau­fen. Das ist ein alt­be­kann­ter Pro­zess: So wird die Bevöl­ke­rung von Roh­stoff­län­dern um Gebüh­ren- und Steu­er­ein­nah­men geprellt, die sie für ihre Ent­wick­lung drin­gend brau­chen würden.

Nächs­te Fol­ge: Frei­tag 8. April

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