Die Frage, ob eines Tages eine “Welt­föder­a­tion” möglich wer­den kön­nte, — und ob sie über­haupt sin­nvoll ist, wird uns noch beschäfti­gen müssen. Dass der Föder­a­tions­gedanke im kleineren Rah­men sehr wohl funk­tion­iert, dafür ste­ht der 1848 aus der Taufe gehobene schweiz­erische Bun­desstaat. Ihm zur Pate stand das von Ignaz Trox­ler propagierte Vor­bild der amerikanis­chen Bun­desver­fas­sung.

Maja Brauer schreibt dazu in ihrer Dis­ser­ta­tion “Welt­föder­a­tion. Mod­ell glob­aler Gesellschaft­sor­d­nung”:
Im Jahre 1787 vol­l­zog sich außer­halb Europas ein poli­tis­ches Ereig­nis, das ein gän­zlich neues Licht auf das alte Ziel der Völk­ervere­ini­gung warf — die Entste­hung der Vere­inigten Staat­en von Ameri­ka aus den dreizehn nach dem Unab­hängigkeit­skrieg her­vor­ge­trete­nen sou­verä­nen Staat­en. In leuch­t­en­der Klarheit wurde das epochale Beispiel eines Gesellschaftsver­trags gegeben (…) , eines Gesellschaftsver­trags frei entschei­den­der Bürg­er, die nach öffentlich­er Diskus­sion und Abstim­mung ein Sys­tem sou­verän­er Staat­en zu ein­er gemein­samen Gesellschaft­sor­d­nung reformierten. (…) Und mit der friedlichen Entste­hung dieses neuar­ti­gen Regierungssys­tems trat auch bere­its die Vision her­vor, daß es eines Tages möglich wer­den kön­nte, über einen schließlich glob­alen Gesellschaftsver­trag die Staaten­welt zugun­sten ein­er dauer­haften, föder­a­tiv­en Welt­frieden­sor­d­nung zu über­winden.

Es lohnt sich, einen kurzen Blick auf die Entste­hungs­geschichte dieser föder­a­tiv­en Ver­fas­sung zu wer­fen. Denn da wird deut­lich, dass die Frage, ob eine Föder­a­tion (Bun­desstaat) ein­er Kon­föder­a­tion (Staaten­bund) vorzuziehen sei, lange heiss umstrit­ten war.

1777 war es nach dem Sieg über Eng­land zu ein­er Kon­föder­a­tion der 13 Staat­en gekom­men. Zwar soll­ten dem über­ge­ord­neten Bund einige Rechte — z.B. der Entscheid über Krieg und Frieden — abge­treten wer­den, aber der Kongress, die amerikanis­che Vari­ante unser­er Tagsatzung, hat­te kein­er­lei Macht­befug­nisse, um die Ein­hal­tung von gefassten Beschlüssen zu erzwin­gen. So blieben beschlossene Zahlun­gen an den Bund oft ein­fach aus, und manch­mal war der Kongress schlicht beschlus­sun­fähig, weil zu wenig Del­e­ga­tio­nen erschienen.

Ein noch gewichtigeres Prob­lem war allerd­ings, dass die Wirtschaftsin­ter­essen der einzel­nen Staat­en zum Teil diame­tral auseinan­dergin­gen. Jed­er Staat kochte sein eigenes “wirtschaftlich­es Süp­pchen”:
Eine Vielzahl zwis­chen­staatlich­er Kon­flik­t­muster ent­stand, teil­weise über­lagert von par­tieller Koop­er­a­tion, um regionale Inter­essen durchzuset­zen. Deut­lich gren­zten sich der Süden, die Mitte und der Nor­den voneinan­der ab, und es ent­standen bald Pläne für mehrere Staaten­bünde auf dem Kon­ti­nent. Eine Rei­he ern­sthafter Schwierigkeit­en ergab sich dadurch, daß es auf­grund der unter­schiedlichen Inter­essens­de­f­i­n­i­tio­nen und wirtschaft­spoli­tis­chen Maß­nah­men nicht gelang, eine gemein­same Zollpoli­tik gegenüber dem Aus­land zu betreiben und einen amerikanis­chen Bin­nen­markt zu schaf­fen. (…) Einige Staat­en set­zten zudem Zoll­tar­ife in Kraft, durch die die eigene Indus­trie gefördert und eine Auf­besserung des Staat­shaushaltes erre­icht wer­den sollte, die aber Nachteile für andere Staat­en mit sich bracht­en, so daß mehr und mehr poli­tis­che Span­nun­gen auf dem Kon­ti­nent auf­trat­en. (Brauer)

Ver­suche, die Kon­föder­a­tion zu reformieren, waren allein schon deshalb zum Scheit­ern verurteilt, weil dafür Ein­stim­migkeit notwendig war. Gle­ichzeit­ig leuchtete immer mehr ein, dass sich aus wirtschaftlichen Grün­den eine stärkere Zen­tral­ge­walt auf­drängte.

Was tun? — Die Lösung bestand darin, sich für einen grundle­gen­den Wech­sel von der Kon­föder­a­tion zur Föder­a­tion über die Staats­führun­gen hin­weg direkt an die Bevölkerung zu wen­den. Ein­er der Architek­ten der neuen Ver­fas­sung, James Madi­son, schrieb in einem Brief an Thomas Jef­fer­son:
Es herrschte generelles Ein­vernehmen darüber, daß die Ziele der Union durch ein Sys­tem, das auf dem Prinzip der Kon­föder­a­tion sou­verän­er Staat­en basierte, nicht erre­icht wer­den kön­nten. Auf eine frei­willige Ein­hal­tung des Bun­desrechts durch alle Staat­en kon­nte man unter keinen Umstän­den hof­fen. Eine zwangsweise Ein­hal­tung aber kon­nte man offen­sichtlich nie in die Prax­is umset­zen, oder es hätte bedeutet, Unschuldige und Schuldige in gle­ich­er Weise zu Opfern zu machen, gefährliche Mil­itär­ma­cht einzuset­zen und ganz all­ge­mein eine Sit­u­a­tion zu schaf­fen, die einem Bürg­erkrieg ähn­lich­er wäre als der Durch­führung reg­ulär­er Regierungsauf­gaben. Aus diesem Grund griff man nach der Alter­na­tive eines Regierungssys­tems, das nicht auf der Ebene der Einzel­staat­en operiert, son­dern ohne deren Zwis­chen­schal­tung auf der Ebene der Indi­viduen, aus denen diese sich zusam­menset­zen.

Konkret bedeutete dies, dass eine 1787 von George Wash­ing­ton ein­berufene Ver­samm­lung von Vertretern der amerikanis­chen Staat­en unter Auss­chluss der Öffentlichkeit die bis heute gültige Ver­fas­sung ausar­beit­ete, um sie dann unter Umge­hung des Kon­föder­a­tionskon­gress­es direkt dem Volk zur Abstim­mung zu unter­bre­it­en:
Gemäß dem wei­thin akzep­tierten Gedanken der Volkssou­veränität sollte die Bevölkerung selb­st entschei­den, ob sie die bish­erige Organ­i­sa­tions­form in dreizehn sou­verä­nen Staat­en noch als ihren Inter­essen dien­lich erachtete oder ob sie Macht­befug­nisse von den bish­eri­gen Regierun­gen auf eine über­ge­ord­nete Autorität über­tra­gen wollte. Damit wurde das Pos­tu­lat der Pri­or­ität der ursprünglichen Volk­sou­veränität vor der abgeleit­eten Staaten­sou­veränität zum Aus­druck gebracht. (Brauer). Wichtig war, dass kein Staat zu einem Beitritt gezwun­gen würde, und dass die Ver­fas­sung in Kraft träte, sobald ihr min­destens neun Staat­en die Zus­tim­mung gäben.

Die Abstim­mung ver­lief über vom Volk gewählte Rat­i­fizierungskon­vente. Dort wurde nun heftig zwis­chen den etwa gle­ich­starken “Fed­er­al­ists” (Befür­worter der neuen Bun­desver­fas­sung) und den “Antifed­er­al­ists” (Befür­wortern des beste­hen­den Staaten­bun­des) debat­tiert, und der Aus­gang war lange Zeit unsich­er. Schliesslich nahm New Hamp­shire als neunter Staat die Ver­fas­sung an, und am 30. April 1789, fünf Tage vor Eröff­nung der franzö­sis­chen Nation­alver­samm­lung, leis­tete George Wash­ing­ton, der zum ersten Präsi­den­ten gewählt wor­den war, seinen Treueeid auf die Ver­fas­sung. (…) Das bahn­brechende Exper­i­ment eines die Staaten­sou­veränität über­winden­den, eini­gen­den Gesellschaftsver­trags zur Ver­wirk­lichung ein­er frei­heitlichen Ord­nung, die poli­tis­che Ein­heit mit lokaler Autonomie verbinden kon­nte, war damit zu einem erfol­gre­ichen Abschluß gekom­men.

Wir bleiben auch in der näch­sten Folge bei diesem entschei­dend wichti­gen poli­tis­chen Durch­bruch, und dies wie immer

am kom­menden Fre­itag, den 7. Jan­u­ar.

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