Der öster­rei­chi­sche His­to­ri­ker Her­mann Wies­fle­cker hat in sei­nem Arti­kel “Habs­burg und das Reich” eine prä­gnan­te Zusam­men­fas­sung der mit­tel­al­ter­li­chen Reichs­idee in Euro­pa ver­fasst, die ich hier der Ein­fach­heit hal­ber ein­fach zitiere:
Kai­ser­tum und Papst­tum waren nach mit­tel­al­ter­li­cher Welt­an­schau­ung die bei­den gott­ge­setz­ten Häup­ter die­ser Welt, die gro­ßen Leuch­ten, Son­ne und Mond, von denen die christ­li­che Welt Licht, Wär­me und Kraft empfing. 

Der Deut­sche König war seit den Zei­ten der Otto­nen gewohn­heits­recht­lich Römi­scher Kai­ser, und wenn das Kai­ser­tum auch nicht an die­se oder jene Nati­on geknüpft war, son­dern sei­nem Wesen nach über den Natio­nen stand und von Anfang an die ver­schie­dens­ten Völ­ker ein­schloß, so pries die deut­sche Staats­pro­pa­gan­da des spä­te­ren Mit­tel­al­ters doch die gött­li­che Gna­de, die das Reich von den Römern und Grie­chen auf die Deut­schen über­tra­gen habe, die sich im Schutz des Glau­bens und des Paps­tes stets beson­ders aus­ge­zeich­net hät­ten. Gele­gent­lich des Römer­zugs und der Kai­ser­krö­nung voll­zog sich in jedem Kai­ser­le­ben ein­mal die Ver­brü­de­rung der bei­den höchs­ten Gewal­ten, Papst, und Kai­ser, und dies bis in die Zei­ten Fried­richs III.

Fried­rich III. und Maxi­mi­li­an such­ten die­ses Vor­recht auf den Kai­ser­ti­tel fest­zu­hal­ten, indem sie von einem «Römi­schen Reich Deut­scher Nati­on» spra­chen, was vie­les bedeu­te­te, unter ande­rem aber auch hät­te bedeu­ten sol­len, daß Gott das Reich für welt­ewi­ge Zei­ten an die Deut­sche Nati­on gebun­den habe. Die gesam­te Chris­ten­heit, alle Völ­ker der Erde soll­ten Papst und Kai­ser unter­ge­ord­net sein und in der Ver­bin­dung von Papst und Kai­ser zur Füh­rung der eini­gen christ­li­chen Uni­ver­sal­mon­ar­chie bestand der eigent­li­che Kern der mit­tel­al­ter­li­chen Reichsidee.

Der Kai­ser erschien als der ers­te und höchs­te Mon­arch die­ser Welt, als die ver­kör­per­te Idee des Rech­tes und der Auto­ri­tät, als der Brun­nen, aus dem alles Recht fließt. «Nimm weg den Kai­ser, und wer kann sagen, dies oder das gehört noch mir», sag­te ein Publi­zist des 15. Jahr­hun­derts. Dem Kai­ser hat­ten alle christ­li­chen Köni­ge und Fürs­ten zu fol­gen. Er ver­lieh neben dem Papst Königs­kro­nen. Sein Ehren­vor­rang war selbst im 15. Jahr­hun­dert, in Zei­ten völ­li­gen Ver­falls der Kai­ser­ge­walt theo­re­tisch immer noch unbe­strit­ten, zeit­wei­lig sogar von den jun­gen auf­stei­gen­den Natio­nen wie den Fran­zo­sen, Eng­län­dern oder Spa­ni­ern wenigs­tens sym­bo­lisch anerkannt. 

Auch die Eid­ge­nos­sen fühl­ten sich dem «Kai­ser» tief ver­bun­den. (Her­vor­he­bung von mir)

 Tho­mas Mais­sen — seit sei­nen “Schwei­zer Hel­den­ge­schich­ten” SVP-Feind­bild par excel­lence — ist der Fra­ge der Bezie­hung der Eid-Genos­sen im Arti­kel “Die Eid­ge­nos­sen und die deut­sche Nati­on in der Frü­hen Neu­zeit” nach­ge­gan­gen und kommt zu inter­es­san­ten Ergebnissen:

● Die früh­zeit­li­che Eid­ge­nos­sen­schaft der 13 Orte war ein rein deutsch­spra­chi­ges Bünd­nis. “Wel­sche” im Tes­sin und der West­schweiz gehör­ten dem Bund nur als Unter­ta­nen oder Zuge­wand­te an. Bezeich­nen­der­wei­se beginnt der bin­nen­schwei­ze­ri­sche Appell an die gemein­sa­me “teut­sche nati­on” um 1474 fast schlag­ar­tig mit den Bur­gun­der­krie­gen.

● Mais­sen unter­schei­det vier Reichs­vor­stel­lun­gen der dama­li­gen Zeit:
1. das Uni­ver­sal­reich als ver­fass­te Chris­ten­heit, gleich­sam das Hei­li­ge Reich.
2. der Reichs­lehns­ver­band in den mit­tel­al­ter­li­chen Reichs­gren­zen, das Römi­sche Reich.
3. das auf die deut­schen Stän­de und Lan­de kon­zen­trier­te Reich, das Reich Deut­scher Nati­on.
4. das Kern­reich in Schwa­ben, Fran­ken und am Rhein.
— und er hält fest: Die­se Dif­fe­ren­zie­rung hilft für die Eid­ge­nos­sen­schaft inso­fern wei­ter, als die­se um 1500 sicher nicht zur vier­ten Kate­go­rie gehört, jedoch eben­so gewiss zur ers­ten, dem Universalreich.

Doch wie sah ihre Bezie­hung zum Reichs­lehns­ver­band und zum Reich Deut­scher Nati­on aus?
Mais­sen: Unzwei­fel­haft ver­dan­ken sie ihre Pri­vi­le­gi­en dem Kai­ser, nach­dem vor allem Fried­rich II. und dann Sigis­mund im Jah­re 1415 eid­ge­nös­si­sche Orte mit der Reichs­stand­schaft beglückt haben. Die­se haben damit als des „hei­li­gen Röm­schen richs besun­ders gefrye­te sta­end” das höchs­te Maß an Auto­no­mie erreicht, das im Rah­men der Reichs­ver­fas­sung denk­bar ist.

Es gilt, die­se Tat­sa­chen im Auge zu behal­ten, um die kom­ple­xe Bezie­hung der Eid­ge­nos­sen zu “ihrem” Kai­ser Maxi­mi­li­an I. wäh­rend des Schwa­ben­kriegs zu ver­ste­hen. Dazu mehr in der kom­men­den Fol­ge am 20. August.

An ande­ren Seri­en interessiert?
Wil­helm Tell / Ignaz Trox­ler / Hei­ner Koech­lin / Simo­ne Weil / Gus­tav Mey­rink / Nar­ren­ge­schich­ten / Bede Grif­fiths / Graf Cagli­os­tro /Sali­na Rau­ri­ca / Die Welt­wo­che und Donald Trump / Die Welt­wo­che und der Kli­ma­wan­del / Die Welt­wo­che und der lie­be Gott /Leben­di­ge Birs / Aus mei­ner Foto­kü­che / Die Schweiz in Euro­pa /Die Reichs­idee /Voge­sen / Aus mei­ner Bücher­kis­te / Ralph Wal­do Emerson

Die Schweiz in Europa 7
Vom Leben und Sterben des Grafen Cagliostro 9

Deine Meinung

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.