Ende Mai 1779 traf Cagli­os­tro mit dem war­men Emp­feh­lungs­schrei­ben eines pol­ni­schen Gra­fen am Peters­bur­ger Hof ein. Dort resi­dier­te Katha­ri­na II. “die Gros­se”, die 1762 nach dem Tod der Zarin Eli­sa­beth Petrow­na mit­tels eines Put­sches gegen ihren eige­nen Ehe­mann, Peter III., an die Macht gekom­men war. Eigent­lich hiess sie Sophie von Anhalt-Zerbst, nahm aber nach ihrer Kon­ver­tie­rung zum ortho­do­xen Glau­ben den Namen Jeka­te­ri­na Ale­xe­jew­na an.

Katha­ri­na II. war eine intel­li­gen­te und lebens­lus­ti­ge Frau — es sind über 20 Lieb­ha­ber nament­lich bekannt — , die Russ­land im Sin­ne des auf­ge­klär­ten Abso­lu­tis­mus regier­te. Sie stand in Kon­takt mit den fran­zö­si­schen Auf­klä­rern Vol­taire und Dide­rot.

Eigent­lich wäre zu erwar­ten gewe­sen, dass sie der Frei­mau­re­rei, die sich auch in Russ­land vor allem in den Adels­krei­sen aus­ge­brei­tet hat­te, wohl­wol­lend gegen­über­stand, doch das Gegen­teil war der Fall:
Von den fran­zö­si­schen Logen, pflegt sie zu sagen, geht ein revo­lu­tio­nä­res Lüft­chen aus. Und die deut­schen Logen hat sie im Ver­dacht, poli­ti­sche Intri­gen ein­zu­fä­deln, die sie um den Thron brin­gen sol­len. Bestärkt von den Kir­chen­leu­ten bei Hof kehrt sie sich also von der Frei­mau­re­rei ab, die unter dem Deck­man­tel ihres Weis­heits- und Mensch­lich­keits­ide­als  ja doch nur eine emsi­ge und gefähr­li­che gehei­me Akti­vi­tät entfaltet.

So kam es, dass Cagli­os­tro von den Frei­mau­rern zwar will­kom­men geheis­sen wur­de, der Emp­fang am Peters­bur­ger Hof aber eher fros­tig war. Mit einem der Lieb­ha­ber der Zarin, Fürst Potem­kin, — ja, der mit den potem­kin­schen Dör­fern — und ande­ren Hof­leu­ten führ­te er alche­mis­ti­sche Expe­ri­men­te durch, und hier begann auch sei­ne Tätig­keit als Heiler:
Sei­ne Metho­de ist ein­zig­ar­tig. Er ver­sucht zu erken­nen, was den Pati­en­ten beschäf­tigt oder bedrückt, und durch sei­ne Hal­tung, durch ein Gebet oder einen Befehl auf das Gemüt des Kran­ken ein­zu­wir­ken. Er “durch­schaut” sei­ne Pfleg­lin­ge. Mit inspi­rier­ter Mie­ne ruft er die himm­li­schen Mäch­te, die Mild­tä­tig­keit der Engel, die uner­schöpf­li­che Güte des Herrn an. In Peters­burg heisst es spä­ter von ihm: “Er hat­te mehr Die­ner in der Geis­ter­welt als die Zarin Unter­ta­nen im gan­zen rus­si­schen Reich”. …

Durch sein ärzt­li­ches Wir­ken aber erlangt er eine selt­sa­me Macht. Arm und reich drängt sich zu ihm, und er heilt alle, wie der Che­va­lier de Cor­bé­ron (der fran­zö­si­sche Geschäfts­trä­ger am Hof) bestä­tigt, ohne Unter­schied und ohne das gerings­te Ent­gelt. Es sind wah­re Wun­der­hei­lun­gen, die durch ein­deu­ti­ge Berich­te und uner­schüt­ter­li­che Zeug­nis­se bestä­tigt wer­den. … Zur sel­ben Zeit gelingt es ihm, den Sohn eines ein­fluss­rei­chen Hof­manns zu hei­len, der ihm aus Dank­bar­keit eine gros­se Sum­me Gol­des anträgt, die Cagli­os­tro jedoch zurück­weist. Der Vor­fall wird zum Hof­ge­spräch. Von über­all her kom­men die Kran­ken. Der Che­va­lier de Cor­bé­ron berich­tet: “Er heilt zwar nicht alle, aber vie­le”.

Doch dann geschah etwas, das sich spä­ter auch in Strass­burg, Bor­deaux und Paris in schö­ner Regel­mäs­sig­keit wie­der­hol­te: der Angriff von offi­zi­el­ler medi­zi­ni­scher Sei­te, die sich von sei­ner Tätig­keit bedroht sah.

In Peters­burg war es der schot­ti­sche Leib­arzt der Zarin und der Prin­zen, Dr. John Roger­son, der Cagli­os­tro vor­warf, er sei nicht befugt, sich ärzt­lich zu betä­ti­gen, und ihn belei­dig­te. Es gibt eine gan­ze Rei­he von mehr oder weni­ger glaub­wür­di­gen Geschich­ten, die sich um den Auf­ent­halt Cagli­ostros in Russ­land dre­hen. Dazu gehört auch die Erzäh­lung, Roger­son habe Cagli­os­tro zum Duell her­aus­ge­for­dert. Cagli­os­tro habe ihm dar­auf­hin, da sie bei­de Ärz­te sei­en, vor­ge­schla­gen, ein töd­li­ches Gift aus­zu­wäh­len, das sie bei­de gleich­zei­tig ein­neh­men wür­den. Wer dann über­le­be, sei der Gewin­ner. Roger­son habe dan­kend abgelehnt.

So kam es, dass Cagli­os­tro schon im Som­mer wie­der abreis­te, zuerst zurück nach War­schau, wo er mit ade­li­gen Frei­mau­rern alche­mis­tisch arbei­te­te und dem pol­ni­schen König Sta­nis­laus August Ponia­tow­ski vor­ge­stellt wur­de, — und schliess­lich nach Strass­burg, wo ihn der Kar­di­nal Rohan bewun­der­te und protegierte.

Doch für Katha­ri­na II. war die Epi­so­de um Cagli­os­tro noch nicht zu Ende:
Cagli­os­tro ist kaum abge­reist, da nimmt das Miss­trau­en der Zarin gegen die Frei­mau­rer hand­greif­li­che For­men an. … In ihren Augen wer­den die Frei­mau­rer mehr und mehr zu poli­ti­schen Ver­schwö­rern. Um die Bewe­gung end­gül­tig zu hin­ter­trei­ben, ver­fasst sie — denn sie ver­steht den Gän­se­kiel geschickt zu füh­ren — ein lite­ra­risch geschlif­fe­nes, klei­nes Pam­phlet im Sti­le Vol­taires über die Pseu­do­ge­heim­nis­se der Sek­ten und nimmt im beson­de­ren — was ihren Leib­arzt natür­lich freut — den berühm­ten Cagli­os­tro aufs Korn, den angeb­li­chen Wun­der­mann, von dem man ihr so viel erzählt und der ihr eine höchst beun­ru­hi­gen­de poli­ti­sche Figur zu sein scheint.

Drei Lust­spie­le schrieb sie über Cagli­os­tro: Der Betrü­ger, Der Ver­blen­de­te und Der sibi­ri­sche Scha­ma­ne, alle drei im Jah­re 1788 mit einem Vor­wort von Fried­rich Nico­lai in Deutsch her­aus­ge­ge­ben, — dem glei­chen Nico­lai, der auch das Beken­ner­schrei­ben Eli­sa­beths von der Recke an die Öffent­lich­keit brachte.

Tröst­lich für Cagli­os­tro: Auch mit den Auf­klä­rern hat­te sie das Heu bald nicht mehr auf der glei­chen Bühne:
So betet sie die fran­zö­si­schen Phi­lo­so­phen zuerst an, dann ver­höhnt sie sie. Sie wei­gert sich, Vol­taire in Peters­burg zu emp­fan­gen, der ihr doch den schmei­chel­haf­ten Namen “Semi­ra­mis” gege­ben hat (sie aller­dings auch “die Stall­dir­ne” nennt). Sie über­wirft sich mit d’A­lem­bert, der sei­ner­seits ihre Ein­la­dung ablehnt. Und Jean-Jac­ques Rous­se­au ver­ab­scheut sie voll­ends: sie hält ihn für einen unge­ho­bel­ten Fle­gel und ver­bie­tet sei­ne Bücher als zu fortschrittlich.
(alle Zita­te aus: Fran­cois Riba­deau Dumas, Cagliostro)

Wir tref­fen Cagli­os­tro in der nächs­ten Fol­ge wie­der in Strass­burg, und dies wie immer am Sams­tag, den 21. August.

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