Bauern­führer Chris­t­ian Schy­bi auf der Folter (Dis­teli-Kalen­der 1839)
Erin­nern wir uns. In Hut­twil geschah für die dama­lige Zeit abso­lut Rev­o­lu­tionäres: Im Bun­des­brief woll­ten die Bauern die Unter­ta­nen der ganzen Eidgenossen­schaft als geeinte Kraft zusam­men­fassen. “Mit dem neu gegrün­de­ten Bauern­bund soll das Gewalt­monopol der Obrigkeit­en und ihr uneingeschränk­tes Recht der Geset­zge­bung gebrochen wer­den. Das bedeutet: Die Unter­ta­nen sollen mit­beteiligt wer­den am poli­tis­chen Entschei­den und Han­deln. Noch wer­den nicht gle­iche Rechte für alle ver­langt. Das bringt 1789 erst die Franzö­sis­che Rev­o­lu­tion. Die Bauern fordern für ihren Bund aber von Seit­en der Obrigkeit den gle­ichen Respekt, den sie sel­ber der Tagsatzung ent­ge­gen­brin­gen” (Kurt Mess­mer). Kein Zufall, dass der Begriff “Rev­o­lu­tion” zum ersten Mal über­haupt in einem Schreiben aus Zürich auf­taucht!

Und genau­so rev­o­lu­tionär:  Während die Städte kon­fes­sionell ges­pal­ten waren und sich z.B. Bern und Luzern gegen­seit­ig mis­straut­en und Hil­fe nur bei ihren Glaubens­brüdern anforderten, hiel­ten die Bauern über die kon­fes­sionellen Gegen­sätze hin­weg bewusst zusam­men.

Niklaus Leuen­berg­er

Nun ging es Schlag auf Schlag: Nach einem Ulti­ma­tum der Bauern an die Obrigkeit, auf ihre Forderun­gen einzutreten, und nach deren Ablehnung standen vier Tage später unter der Führung von Niklaus Leuen­berg­er schon 16’000 Bauern vor Bern, ein zweites Heer mit Lan­despan­ner­meis­ter Hans Emmeneg­ger vor Luzern. Die Sache wurde für die Her­ren bren­zlig! Was tun?

Ein alt­be­währtes Rezept in solchen Sit­u­a­tio­nen ist:
a) auf Zeit spie­len, b) den Geg­n­er spal­ten, divide et impera!
Und genau nach diesem Drehbuch han­delte nun die Bern­er Regierung, indem sie Leuen­berg­er einen Sep­a­rat­frieden anbot: Steuersenkun­gen, 50’000 Pfund Beteili­gung an die Kriegskosten und eine all­ge­meine Amnestie — als Gegen­leis­tung für das Nieder­legen der Waf­fen. Obwohl von poli­tis­chem Ent­ge­genkom­men keine Rede war, liess sich Leuen­berg­er vom “Wurm an der Angel” ver­führen, schloss mit Bern auf dem Murifeld einen Sep­a­rat­frieden und set­zte damit den Hut­twiler Bauern­bund de fac­to auss­er Kraft. Nun kam es auch in Luzern zu ein­er ähn­lichen Eini­gung. Also Ende halb­wegs gut — alles halb­wegs gut?

Kon­rad Werd­müller

Lei­der nicht, denn inzwis­chen näherte sich von Osten her ein Heer mit Zürcher und Thur­gauer Unter­ta­nen — von Bern auf­grund des Stanser Abkom­mens zur Unter­stützung ange­fordert und geleit­et von erfahre­nen Söld­ner­führern, Gen­er­al Kon­rad Werd­müller und Gen­eral­ma­jor Hans Rudolf Werd­müller. Von West­en her hat­te sich schon ein zweites Heer in Bewe­gung geset­zt, mit Berns Waadtlän­der Unter­ta­nen …

Das hiess natür­lich: kein Friede! Eine Del­e­ga­tion der Bauern ver­suchte zwar mit Werd­müller zu ver­han­deln, indem sie auf den Friedensver­trag vom Murifeld hin­wiesen, aber Werd­müller trat nicht darauf ein und ver­langte die bedin­gungslose Kapit­u­la­tion. Der Kampf war unver­mei­dlich gewor­den, und er endete für die Bauern angesichts der über­lege­nen Bewaffnung von Werd­müllers Heer (Kanonen!) bei Wohlen­schwil mit ein­er Nieder­lage. Tri­umph für die “gnädi­gen Her­ren” in Bern, die sich nun beeil­ten, den Friedensver­trag sofort zu wider­rufen und die Bauern ihrer­seits mit ihrem Heer in die Zange zu nehmen!

Das war der Anfang vom Ende, und das Ende war bru­tal: In einem uner­bit­tlichen Rachefeldzug lehrten die Her­ren die aufmüp­fi­gen Bauern Mores. Hun­derte wur­den eingek­erk­ert, gefoltert, zum Tode oder zu ein­er Galeeren­strafe verurteilt sowie ins Exil ver­ban­nt. Leuen­berg­er wurde in Bern enthauptet, gevierteilt, und seinen Kopf nagelte man mit ein­er Kopie des Hut­twiler Bun­des­briefes an einen Gal­gen …

Im Entle­buch hat­te der Bauer­nauf­s­tand begonnen, im Entle­buch sollte er auch enden: Unter der Leitung von Chris­t­ian Schy­bi leis­teten die Entle­buch­er weit­er­hin Wider­stand, kon­nten sich aber gegen die Luzern­er und Inner­schweiz­er (!) Trup­pen nicht durch­set­zen. Schy­bi wurde gefan­gengenom­men, in Sursee eingek­erk­ert, gefoltert und enthauptet. Mar­tin Dis­teli, der lib­erale Polit-Karika­tur­ist und His­to­rien­maler, set­zte ihm mit ein­er Zeich­nung (siehe Titel­bild) ein Denkmal, und Kurt Mess­mer ver­fasste dazu eine ein­drück­liche Inter­pre­ta­tion.

Aber auch Basel liess sich nicht lumpen: Auf Betreiben von Johann Rudolf Wettstein wur­den sieben Anführer aus dem Basel­bi­et vor den Toren der Stadt in einem öffentlichen Spek­takel enthauptet.

Doch wo sind eigentlich unsere drei Tellen geblieben?

Nach der Nieder­schla­gung des Auf­s­tands, als die Luzern­er Obrigkeit die Entle­buch­er wieder den Huldigung­seid schwören liess und zu diesem Zweck eine Rats­del­e­ga­tion ins Tal entsandte, wurde sie auf ihrer Heim­reise Opfer eines Atten­tats, bei dem ein Rat­sherr sein Leben ver­lor. Täter: die drei Tellen! Er habe “den dellen schuss geth­an”, zitieren Quellen den ver­ant­wortlichen Schützen.
Am Tag darauf wur­den sie in Schüpfheim wie Helden emp­fan­gen,  auf dem Haupt­platz mit Wein bewirtet, ins Rathaus geladen und nah­men am fol­gen­den Tag an der Messe teil, wobei sie demon­stra­tiv ihre Tat­waf­fen zur Schau stell­ten.
Daraufhin schickt die Obrigkeit ein Greifkom­man­do von 40 Sol­dat­en ins Entle­buch. …  Ein Denun­ziant kann den 200 Gulden Kopfgeld nicht wider­ste­hen. Er ver­rät das Ver­steck der Tellen. Zwei von ihnen wer­den «wie Vögel» vom Dach geschossen, der Dritte kann fliehen, wird eben­falls ver­rat­en, gefan­gengenom­men und hin­gerichtet. Sein abgeschla­gen­er Kopf wird ans Basler Tor genagelt, Rich­tung Entle­buch, sein Kör­p­er aufs Rad geflocht­en. Die Hin­rich­tungsstätte ste­ht vor der Stadt, beim Zusam­men­fluss von Emme und Reuss, Unter­ta­nenge­bi­et, im «Gaugewäudli». Die Obrigkeit lässt die Häuser der Tellen dem Erd­bo­den gle­ich­machen. Ver­bran­nte Erde, ver­bran­nter Auf­s­tand.” (Kurt Mess­mer)

Faz­it: Dem geneigten Leser und der geneigten Leserin dürfte klar gewor­den sein, dass es damals in der Schweiz­erischen Eidgenossen­schaft in Sachen Gerechtigkeit nicht weit her war. So ist der Ausspruch des Willisauer Wirts Hein­rich Pey­er nachvol­lziehbar, als er meinte, nicht die Obrigkeit, son­dern “der auf der blauwen dillen” — Gott im Him­mel — werde “entlich gross und klein richt­en”, — also eines Tages für Gerechtigkeit sor­gen.

Obelisk-Bauernkriegs­denkmal von 1904, vor der Kaserne in Liestal, Schweiz.

1904 erhiel­ten die Basel­bi­eter Hin­gerichteten übri­gens auf Anre­gung des Schweiz­erischen Bauern­ver­bands in Liestal ein Denkmal mit der Inschrift: Unter­drückt, aber nicht über­wun­den.

Das gilt auch für unseren Wil­helm Tell! Hun­dert Jahre später bere­it­ete er den Gnädi­gen Her­ren zu Bern näm­lich erneut ziem­lich Ungemach. Doch das ist eine andere Geschichte, und sie wird hier
in der näch­sten Folge erzählt!

P.S. Urs Hostet­tler — Math­e­matik­er, Spieleerfind­er, Lie­der­ma­ch­er und Inter­pret des Tel­len­lieds — hat viele Jahre zum Bauernkrieg recher­chiert und die Emmen­taler Beteili­gung in seinem 784 Seit­en starken Buch “Der Rebell vom Eggi­wil” erzählt. 2003 wurde in Eggi­wil sein Sta­tio­nenthe­ater aufge­führt, das auch online zur Ver­fü­gung ste­ht. Und diesen Som­mer ist mit “Burechrieg 2020″ in Hut­twil schon das näch­ste Spek­takel geplant. Die Erin­nerung an die wohl drama­tis­chste Episode der Schweiz­er Geschichte bleibt wach …

Und hier geht’s zur näch­sten Folge.

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Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
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