Das geheime Pro­tokoll der Bern­er Regierung zur “Hen­zi-Ver­schwörung”

Im Juli 2019 machte ein vergilbtes Doku­ment in der Schweiz­er Presse Schlagzeilen: Nach­dem es fast 200 Jahre lang als ver­schollen gegolten hat­te, ent­deck­te es ein His­torik­er im Inter­net, worauf das Staat­sarchiv des Kan­tons Bern es sich beschaf­fen kon­nte. Aber warum dieser ganze Wirbel?

Es han­delte sich um das geheime Rats­man­u­al, das die soge­nan­nte “Hen­zi-Ver­schwörung” doku­men­tierte, die mit der Enthaup­tung des Bern­er Burg­ers Samuel Hen­zi am 17. Juli 1749 endete und die ein Medi­ene­cho in ganz Europa fand. Sog­ar Got­thold Ephraim Less­ing (Nathan der Weise) wid­mete ihm ein Dra­ma, das allerd­ings Frag­ment blieb.

Der Grosse Rat in Bern 1735

Wir sahen, dass die Patrizier in den Städten im 17. Jahrhun­dert dank machi­avel­lis­tis­ch­er Macht­poli­tik siegre­ich aus dem Bauernkrieg her­vorge­gan­gen waren. Aber schon damals gab es auch inner­halb der Städte Span­nun­gen zwis­chen den patrizis­chen “reg­i­ments­fähi­gen” Fam­i­lien und den “gewöhn­lichen” Stadt­bürg­ern (die sich ihrer­seits über die Unter­ta­nen auf dem Land erhaben fühlten). Im 18. Jahrhun­dert waren in Bern von den 350 Burg­er­fam­i­lien, zu denen auch Hen­zi gehörte,  nur etwa 80 Fam­i­lien im Stad­trat vertreten. Protest­noten der Über­gan­genen fan­den kein Gehör, und 1744 wur­den die Aufmüp­fi­gen, darunter Hen­zi, sog­ar mit Geld­bussen oder Ver­ban­nung bestraft.

Im Exil in Neuchâ­tel war Hen­zi als Jour­nal­ist und Schrift­steller tätig, bis er 1748 beg­nadigt wurde und in Bern eine Stelle als Unter­bib­lio­thekar fand. Ein Auf­stieg zum Ober­bib­lio­thekar wurde ihm durch die Wahl eines uner­fahre­nen Jun­gen aus ein­er Patrizier­fam­i­lie ver­wehrt. Vielle­icht deshalb fand er sich schon ein Jahr später  erneut in ein­er Gruppe von Kau­fleuten, Handw­erk­ern, Stad­tangestell­ten und Stu­den­ten wieder, die dies­mal keine neue Bittschrift auf­set­zen, son­dern “Nägel mit Köpfen” machen woll­ten: der Umsturz der bernischen Regierung und die Errich­tung ein­er gerechteren Regierung­sor­d­nung  war geplant.

Samuel Hen­zi im Bern­er Rathaus

Dazu ver­fasste Hen­zi ein Memo­r­i­al mit dem Titel “Project, der Regierung eine andere Form zu geben”. Darin wurde unter anderem verlangt
- die Volk­swahl der Beamten und eine beschränk­te Amtsdauer
— die Erstel­lung ein­er Gemein­de­v­er­samm­lung als ober­stes Organ
- die Offen­le­gung der Staatsrechnung
- die Öff­nung der Archive
- der freie Zugang für Ämter in Poli­tik, Ver­wal­tung und Mil­itär für alle Bürger
- die Beach­tung der gel­tenden Geset­ze durch das Patriziat
kurz — aus heutiger Sicht selb­stver­ständliche Forderun­gen für eine demokratis­che Gesellschaft, im 18. Jhdt in Bern hinge­gen sub­ver­siv und revolutionär.

Von Demokratie kon­nte damals in der Eidgenossen­schaft keine Rede mehr sein. Erst durch eine aus­ländis­che Inter­ven­tion — die Beset­zung durch franzö­sis­che Trup­pen 1798 — wur­den die star­ren und undemokratis­chen Machtver­hält­nisse aufge­brochen und der (beschw­er­liche) Weg zu ein­er wahrhaft demokratis­chen Schweiz freigemacht.

Hen­zi nimmt Abschied

Der geplante Umsturzver­such gedieh allerd­ings nicht sehr weit. Schon die zweite geheime Sitzung in ein­er Fär­berei wurde von einem The­olo­gi­es­tu­den­ten an einen Rat­sher­rn ver­rat­en, der umge­hend den geheimen Rat informierte. Milizen wur­den zusam­menge­zo­gen, und die Mit­glieder der Räte wur­den aufge­fordert, sich zu  bewaffnen. Zwei Ver­schwör­ern gelang die Flucht, die andern wur­den ver­haftet. Den “Gnädi­gen Her­ren zu Bern” kon­nte es nun offen­sichtlich nicht schnell genug gehen, die dräuende Gefahr zu beseit­i­gen. Nur wenige Tage später waren Hen­zi und zwei Mitver­schwör­er schon um einen Kopf kürzer …

Ein Blick in die Urteilsverkün­dung in der offiziellen Anklageschrift lohnt sich durchaus:
Als haben Wir auf den heuti­gen Tag Uns bey Eyden ver­sam­meln lassen, diese schwäre Mis­sethat­en, nach dem von GOTT Uns anver­traut­en Hoch-Obrigkeitlichen Gewalt, Richter-Ampt und dar­mit verknüpfften Pflicht­en, zu bestraf­fen, damit Jed­er­mann von der­gle­ichen Greuel abgeschreckt, und gemeine Ruhe und Sicher­heit unter dem Segen des Aller­höch­sten erhal­ten werde. Und obwohlen wir … dies schwäre Ver­brechen mit gerechter Strengigkeit hät­ten bestraf­fen kön­nen, haben wir den­noch, nach ange­bohren­er Unser­er Miltigkeit, zur Recht erken­nt und gesprochen:
Dass obgedachte drey Mis­sethäter … (nach zuvor geth­aner Empfehlung ihrer armen See­len in die erbar­mende Hände ihres theuren Erlösers) zu wohl-ver­di­en­ter Straffe, anderen zum Abscheu und Schreck­en, dem Scharff-Richter übergeben, von ihme gebun­den, oben aus auf den gewohn­ten Richt-Platz geführt, und daselb­st ihnen … mit dem Schw­ert das Haupt abgeschla­gen, dem Fueter dann annoch vor sein­er Enthaup­tung die rechte Hand abge­hauen; ihre entseelte Cör­p­er aber nach­wärts and das ver­schmächte Orth ver­schar­ret wer­den sollen.”

Und nach­dem dann alles wieder seine Richtigkeit hat­te, durfte der Dank an den lieben Gott natür­lich nicht fehlen! Die Frage, ob “der Aller­höch­ste” der Gnädi­gen Her­ren und “der auf der blauwen dillen” (Tell 7) das Heu auf der gle­ichen Bühne haben, dürfte dur­chaus ein­er Über­legung wert sein 😉

Aber — so wer­den sich die geneigten Leserin­nen und Leser inzwis­chen wohl fra­gen: Wo steckt denn eigentlich der Wil­helm Tell in dieser ganzen Geschichte!?

Nun, er steck­te in der Schublade des armen Hen­zi in Form eines Manuskripts mit dem Titel “Grisler ou l’am­bi­tion punie”**. Grisler? — ist natür­lich Gessler, der im 17. und 18. Jahrhun­dert als “Grisler” auf­tauchte — übri­gens auch bei Max Frisch in seinem “Wil­helm Tell für die Schule”.

Was es mit dem Guil­laume Tell in Hen­zis Werk auf sich hat und wie er im 18. Jhdt den Sprung nicht von der Tellplat­te, son­dern über die Gren­ze wagt, wird das The­ma unser­er näch­sten Folge sein.

(** für all jene, die im Franzö­sis­chunter­richt geschlafen haben: Grisler oder der bestrafte Ehrgeiz.)

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