Die Einwohnerschaft Lausannes staunte nicht schlecht, als am Nachmittag des 31. März 1723 600 Infanteristen, 50 Grenadiere und 12 Dragoner unter der Leitung von Major Davel in die Stadt einrückten. Nicht minder überrascht war der Stadtrat, der sofort zwei Mitglieder zu Davel schickte, um sich über Sinn und Zweck dieses Aufmarsches kundig zu machen. Davel verlangte, zum Stadtrat geführt zu werden und eröffnete im Rathaus sogleich, was er mit der Besetzung Lausannes bezweckte:
Il leur déclara qu’il avoit entrepris de délivrer le Pays de Vaud de la domination bernoise, qu’il venoit inviter la ville de Lausanne à se joindre à lui, et que le succès de son projet était infaillible. Il produisit là-dessus un Manifeste qu’il avait dressé, et dans lequel il exposoit les raisons qui l’avoient déterminé à prendre les armes.
Der heutige Kanton Waadt war, wie wir alle wissen, bis zu den revolutionären Ereignissen 1798 bernisches Untertanengebiet. Und Jean Daniel Abraham Davel hatte beschlossen, dies zu ändern. Im Manifest, das er anschliessend dem Stadtrat vorlas, zählte er die Gründe für sein Vorhaben auf: Die Waadt stehe unter einer korrupten und ausbeuterischen Herrschaft unter dem Schutz und der Kontrolle der Gnädigen Herren zu Bern. Er rufe die Magistraten der Stadt und die Bevölkerung auf, sich ihm und seinem Kampfe für ein freies Waadtland anzuschliessen.
Der Stadtrat bekam allerdings gewaltig kalte Füsse. Man beschloss auf Zeit zu spielen, um die Gnädigen Herren zu Bern über diesen “Militärputsch” informieren zu können, und in der Zwischenzeit so zu tun, als ob man auf die Forderungen von Major Davel eingehen würde. Den Soldaten wurde eine Logis zugeteilt und Davel und seinen Offizieren ein Nachtessen mit dem Rat offeriert. Gleichzeitig wurden aus den umliegenden Dörfern die Milizen ausgehoben. Um vier Uhr nachts standen schon 1500 vor den Stadttoren und fragten sich, was da vor sich gehe.
Als im Morgengrauen schließlich die Stadttore geöffnet wurden, standen sich die Truppen Davels und die Milizen gegenüber, — und beide Seiten fragten sich immer noch, was da eigentlich gespielt werde. Denn auch die Soldaten, die mit Davel nach Lausanne gezogen waren, hatten nicht die geringste Ahnung, was sie in der Stadt tun sollten. Und noch seltsamer: Es war ihnen von Davel ausdrücklich verboten worden, bei diesem Auszug Pulver und Blei mitzunehmen!
Als Major Davel sich zu seinen Truppen begeben wollte, wurde er vom militärischen Befehlshaber der Stadt, Mr. Descombes, verhaftet. Davel glaubte zuerst an einen Irrtum, doch als ihm der Ernst der Lage bewusst wurde, übergab er seinen Degen ruhig mit den Worten:
Je vois bien que je serai la victime de cette affaire, mais n’importe; il en reviendra quelque avantage à ma patrie.
Der Seltsamkeiten nicht genug: Um herauszufinden, wer alles hinter der Verschwörung gegen die legitimen, von Gott eingesetzten bernischen Herrscher stand, griff man sofort zur Folter. Davel hatte gleich nach seiner Verhaftung bekannt, er ganz allein trage die Verantwortung für das Unternehmen. Niemand sonst sei in diesen Plan eingeweiht gewesen. Unter der mehrfachen höchst schmerzhaften Folterung blieb er ruhig und gelassen. Sein unerschütterlicher Gleichmut angesichts grösster Schmerzen und die Unbeirrtheit seiner Aussage beeindruckte die Richter schliesslich derart, dass sie die Folterung abbrachen.
Doch, wie Englert-Faye beschreibt, machte Bern nun kurzen Prozess:
Die gnädigen Herren von Bern, Leurs gracieuses Excellences, Les Nobles, Illustres, Haut-Puissants et Souverains Seigneurs du Pays de Vaud und ihre gefügigen diensteifrigen Untertanen „les Messieurs de Lausanne“, die Nobles et Généreux, Provides et Honorables Mrs. Les Nobles, les Citoyens et Bourgeois de Bourg hatten den verworfenen Aufrührer des „verderblichen Unternehmens gegen die legitimen, von Gott eingesetzten Herrscher“ des „Verbrechens der Majestätsverletzung“ angeklagt, „des Aktes der Revolte und des Aufstandes, der die härtesten Strafen erheischt“, da er, „die schwarze Sünde der Undankbarkeit gegen seine Wohltäter“ begehend, „durch sein abscheuliches Attentat die heiligsten Pflichten des Menschen und des Christen verletzt habe“. Diese „Pestbeule am Volke verdiente aus dem Körper der Gesellschaft ausgeschnitten zu werden“.
Das unabänderliche Urteil lautete denn auch einstimmig, dem Malefikanten solle auf der Richtstätte von Lausanne die rechte Hand abgehauen, und der Kopf vor die Füße gelegt werden. Das großmütige Bern hatte sich jedoch gnädig mit der simplen Enthauptung begnügt in Anbetracht der früheren Verdienste des Angeklagten im Bernischen Dienste.
Die öffentliche Hinrichtung Davels am 24. April auf dem Richtplatz zu Vidy bei Lausanne hat offensichtlich einen gewaltigen Eindruck hinterlassen. Schon bei der Eröffnung des Urteils durch zwei Geistliche hatte Davel die Botschaft zu ihrem Erstaunen mit grösstem Gleichmut entgegengenommen. Auf dem Weg zum Richtplatz grüsste er freundlich Bekannte in der gaffenden Menge und verbat sich die tröstenden Belehrungen der ihn begleitenden Geistlichen, weil er sich auf seine letzte Rede vorbereiten müsse.
Und diese Rede auf dem Schafott hatte es in sich. Es war ein flammendes Plädoyer für eine gerechte, freie Gesellschaft und ein Aufruf, die bürgerlichen Pflichten und die Pflichten Gott gegenüber ernsthaft zu erfüllen. Er schloss seine Rede vor der atemlos lauschenden Menge mit den Worten:
Dies ist also der schönste und ruhmreichste Tag meines Lebens. Es ist für mich ein Tag des Triumphes, der an Glanz alles übertrifft und krönt, was mir bis jetzt Rühmliches widerfahren ist. Und was gebe ich dran, um eines solchen Glückes teilhaftig zu werden? Die wenigen Jahre, die ich vielleicht noch hätte leben können, sind nichts im Vergleich zu der Glückseligkeit, die ich jetzt genießen soll. Ich fühle in meinem Inneren die Liebe Gottes und seine Hilfe, die mich in diesem letzten Augenblick aufrecht erhält, wie sie mich auf meinem ganzen Lebensgange geleitet und behütet hat. Ich bitte Gott, daß mein Tod auch Euch zum Frommen und zum Heile gereichen möge bei Eurer Wiederherstellung.
Dann zog er ruhig seinen Rock aus, legte seine Halsbinde langsam weg und nahm auf dem Blutstuhl Platz, nachdem er einige Worte mit dem Henker gewechselt hatte. Man verband ihm die Augen, und dann tat das Schwert des Henkers seinen Dienst. Der Leichnam Davels wurde unter dem Galgen verscharrt und sein Kopf an einen Pfosten genagelt. Aber noch in der gleichen Nacht verschwand er, und an dessen Stelle fand sich ein Spottvers .…
Heute steht die Statue Davels vor der Fassade des Schlosses Saint-Maire mit der Inschrift:
Au Majeur Davel
Le Peuple Vaudois
Ce que je fais, n’est pas l’oeuvre d’un jour.
Ma mort sera utile pour mon pays.
Und eine Stele am Hinrichtungsort (heute im Parc Louis Bourget am See) hält fest:
Ici Davel donna sa vie pour son pays.
Wer war dieser Jean Daniel Abraham Davel?
Ignaz Troxler hielt in einem seiner Aphorismen fest:
“Wie es eine verborgene Menschennatur gibt, So gibt es auch eine geheime Geschichte”
Die Wahrheit dieser Aussage zeigt sich in aller Deutlichkeit in Davels’ Lebensgeschichte.
Ihr wenden wir uns am kommenden Freitag, den 30. Juli zu.
An anderen Serien interessiert?
Wilhelm Tell / Ignaz Troxler / Heiner Koechlin / Simone Weil / Gustav Meyrink / Narrengeschichten / Bede Griffiths / Graf Cagliostro /Salina Raurica / Die Weltwoche und Donald Trump / Die Weltwoche und der Klimawandel / Die Weltwoche und der liebe Gott /Lebendige Birs / Aus meiner Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reichsidee /Vogesen / Aus meiner Bücherkiste / Ralph Waldo Emerson