Wer das neu­es­te Buch des deut­schen His­to­ri­kers Phil­ipp Blom mit dem Titel „Was auf dem Spiel steht“ gele­sen hat, kommt nicht umhin fest­zu­stel­len, dass in den kom­men­den Jahr­zehn­ten gewal­ti­ge Her­aus­for­de­run­gen auf uns zukom­men: auf die Schweiz, auf Euro­pa, auf die gan­ze Welt. Alt­her­ge­brach­te Gewiss­hei­ten in Poli­tik, Wirt­schaft und Gesell­schaft kom­men ins Wan­ken. Wer hät­te z.B. noch vor weni­gen Jah­ren dar­an gedacht, dass die Demo­kra­tie als Staats­form viel­leicht bald zu einem poli­ti­schen Aus­lauf­mo­dell wer­den könn­te? Kli­ma­kri­se und öko­lo­gi­sche Dis­as­ter dräu­en am Horizont.

Auto­ri­tä­re und popu­lis­ti­sche Regimes ste­hen zur­zeit welt­weit im Auf­wind. Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten — jahr­zehn­te­lang trotz ihrer Janus­kopf-Poli­tik als Vor­bild poli­ti­scher Frei­heit emp­fun­den — drif­ten in ein gefähr­li­ches popu­lis­ti­sches Fahr­was­ser ab, — und plötz­lich sieht sich Euro­pa vor neue über­le­bens­wich­ti­ge Fra­gen gestellt: Was ist zu tun, damit der „alte Kon­ti­nent“ sich inmit­ten neu­er auto­ri­tä­rer Macht­blö­cke in Ost und West behaup­ten kann? Wohin soll die poli­ti­sche Rei­se gehen: Lang­sa­me Ent­wick­lung hin zu einem neu­en wirk­lich ver­ein­ten Euro­pa, so wie das die Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Ulri­ke Gué­rot in „War­um Euro­pa eine Repu­blik wer­den muss“ for­dert, oder Rück­kehr zur abso­lu­ten Sou­ve­rä­ni­tät von Natio­nal­staa­ten, wie das Rechts­aus­sen-Par­tei­en ver­lan­gen? Ist eine sol­che Rück­kehr aber ange­sichts der enor­men Macht­fül­le inter­na­tio­nal ope­rie­ren­der Kon­zer­ne über­haupt noch sinn­voll und mach­bar? Wie soll also ein solch neu­es Euro­pa kon­kret aussehen?

Und für uns stellt sich natür­lich die zen­tra­le Fra­ge, wie und auf wel­che Wei­se die Schweiz in die­sem sich anbah­nen­den Ent­wick­lungs­pro­zess ihren Platz im euro­päi­schen Gan­zen fin­den soll. Soll sie sich auf ihr Insel­da­sein beschrän­ken, wie das die SVP for­dert? Oder kann und soll sie sich an einem Neu­bau Euro­pas kon­struk­tiv beteiligen?

Hin­ter all die­sen Über­le­gun­gen steht aller­dings noch eine ganz ande­re, sehr viel tie­fer gehen­de Fra­ge, deren Beant­wor­tung sich direkt auf künf­ti­ge poli­ti­sche Sze­na­ri­en aus­wirkt:
Was ist denn eigent­lich die Essenz, die Euro­pa zu Euro­pa macht? Ist es die christ­lich-abend­län­di­sche Tra­di­ti­on, die heu­te zwar kaum mehr zu spü­ren ist, aber von Leu­ten wie z.B. Ste­ve Ban­non beschwo­ren wird? Ist es die Tra­di­ti­on der Auf­klä­rung, die uns unter ande­rem die demo­kra­ti­sche Staats­form geschenkt hat und die moder­ne säku­la­re Gesell­schaft her­vor­brach­te? Ist es die Hei­mat­ver­bun­den­heit, wie sie Rechts­par­tei­en als Garant für das Über­le­ben Euro­pas fordern?

Die glei­che Fra­ge­stel­lung gilt natür­lich auch für die Schweiz. Was macht die Schweiz zur Schweiz? Bun­des­prä­si­dent Ueli Mau­rer ver­kün­de­te in sei­ner 1. August-Rede an die Aus­land­schwei­zer, die gemein­sa­men Wer­te, wel­che die Schweiz aus­mach­ten, sei­en — wahr­schein­lich im Gegen­satz zu ande­ren Natio­na­li­tä­ten 😉 — Tugen­den wie Beschei­den­heit, Fleiss, Pünkt­lich­keit und Zuver­läs­sig­keit. Ganz abge­se­hen davon, dass Pau­schal­ur­tei­le in der Regel nicht zutref­fen: Ist damit das Wesen der Schweiz schon erfasst?

Ich bezweif­le dies. Es liegt mir fern und es wäre anmas­send, in den fol­gen­den Kom­men­ta­ren zu die­sem The­ma die Schlüs­sel-Erklä­rung lie­fern zu wol­len. Aber ich wer­de ver­su­chen, mich einer mög­li­chen Teil­ant­wort mit­tels drei­er Bio­gra­phien her­aus­ra­gen­der Schwei­zer zu nähern:
I.P.V.T, dem wir zu einem ent­schei­den­den Teil die Ent­ste­hung unse­rer moder­nen Schwei­ze­ri­schen Eid­ge­nos­sen­schaft ver­dan­ken und der — mit weni­gen Aus­nah­men — zu Unrecht aus dem Geschichts­be­wusst­sein des Schwei­zer Vol­kes  ver­schwun­den ist (Sein Name wird schon mor­gen verraten :-)!)
Niklaus von Flüe, der eben­falls in einem dra­ma­ti­schen Kon­flikt im 15. Jhdt. zum Über­le­ben eines fra­gi­len Staa­ten­bun­des höchst ver­schie­de­ner Län­der (heu­te die Kan­to­ne) bei­getra­gen hat und zur­zeit wegen sei­ner Aus­sa­ge „Machet den zun nit zuo wit“ von der SVP in Beschlag genom­men wird.
Wil­helm Tell. Klar, es han­delt sich hier „nur“ um einen Mythos, aber die­ser Mythos war über die Jahr­hun­der­te hin­weg sehr geschichts­mäch­tig und hat immer noch einen gros­sen Ein­fluss auf das schwei­ze­ri­sche Selbst­ver­ständ­nis. Es lohnt sich also, Wil­helm Tell etwas stär­ker auf den Zahn zu fühlen!

(Es ist mir klar, dass ich mit die­ser Aus­wahl in Sachen Gen­der völ­lig ein­sei­tig lie­ge, möch­te aber ein­fach zu beden­ken geben, dass in der patri­ar­cha­len Gesell­schaft, wel­che die Schweiz über Jahr­hun­der­te hin­weg war, Frau­en in der poli­ti­schen Öffent­lich­keit prak­tisch kei­ne Rol­le spielten)

Der Fra­ge, was Euro­pa zu Euro­pa macht, wer­de ich zwi­schen­durch mit­tels eini­ger Buch­be­spre­chun­gen nachgehen.

Ich freue mich auf eine inter­es­sier­te und dis­kus­si­ons­be­rei­te birsfälder.li Leser/innenschaft!

Wer sich für das oben erwähn­te Buch von Phil­ipp Blom inter­es­sie­ren soll­te, fin­det hier eine aus­ge­zeich­ne­te Besprechung:
http://www.kulturbuchtipps.de/archives/1917

Was auf dem Spiel steht von Phil­ipp Blom
Taschen­buch Fr. 16.90
eBook (ePUB) Fr. 18.90
 
GGG Biblio­thek Schmie­den­hof unter
Roma­ne: Essay BLOM
Das waren noch Zeiten!
Meine Frage 22

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