Nachdem wir den Aussagen Roger Köppels zum Thema „freie Schweizer“ etwas auf den Zahl gefühlt haben, wollen wir heute einen Blick auf sein neuestes Editorial werfen.
Es beginnt mit einem grossen Hoch auf den neugebackenen englischen Premier, Boris Johnson. Es kommt zwar nicht gerade zu einem Freudentanz im Büro wie bei der Wahl von Donald Trump, aber Roger Köppel tut sein absolutes Unverständnis angesichts der Tatsache kund, dass „die Mainstream-Medien“ „den hochgebildeten Ex-Journalisten“ Johnson durchaus kritisch unter die Lupe nehmen.
Der Weltwoche-Chefredaktor, der Johnson laut eigenen Angaben persönlich kennt und mit ihm zusammengearbeitet hat, hält fest: „Seine Kolumnen im Daily Telegraph waren brillant. Als in Europa die meisten noch blind der EU hinterherliefen, klärte Johnson seine Leser über die Irrwege und Fehlkonstruktionen Brüssels auf.“
Schauen wir uns mal ein paar seiner „hellsichtigen, auch lustigen Diagnosen“ etwas genauer an:
So klärte Johnson die britische Öffentlichkeit z.B. darüber auf,
— dass die Brüsseler Bürokraten ihre legendäre Liebe zum Detail bewiesen, indem sie neue Spezifikationen für Kondomabmessungen ablehnten.
— dass die Brüsseler Bürokraten Fischer neu zum Tragen von Haarnetzen verpflichteten.
— dass für die EU-Behörden ein drei Kilometer hoher „Turm zu Babel“ geplant sei.
Alle drei Beispiele haben etwas gemeinsam: Sie waren erfunden zum Zweck, Brüssel in England möglichst schlecht dastehen zu lassen. Die täglichen Pressekonferenzen mit wahren Mitteilungen schwänzte Johnson gemäss den Aussagen eines Journalistenkollegen. Sonst hätte er vielleicht erfahren, dass z.B. die Kondomgeschichte mit einem dringenden Appell verschiedener medizinischer Institutionen zusammenhing, angesichts der explodierenden AIDS-Krise die Sicherheit von Kondomen zu überprüfen.
Aber mit der ungerechten und an den Haaren herbeigezogener Kritik an Boris Johnson hört es gemäss Roger Köppel nicht auf:
“Noch härter als auf Johnson schiessen die Schweizer Medien auf US-Präsident Donald Trump. Alles, was er macht, ist falsch. Angeblich. Seine Erfolge sind keine Zeile wert.”
Da ist offensichtlich eine grossangelegte Verschwörung der „Fake-News-Mainstream Medien“ im Gange!!
Aber nicht verzagen, Hoffnung naht:
“Was sich zwischen der Schweiz, Grossbritannien und den USA abzeichnet, sind die zarten Knospen einer neuen Allianz freiheitlicher, weltoffener Staaten. Inter-nationale Zusammenarbeit ja, aber keine bürokratischen Zwangsjacken: Das ist von alters her das Freiheitsverständnis der angelsächsischen Staaten, der Schwesterrepubliken der Schweiz.
Geschenkt, dass Trump nicht dem Idealbild eines Schweizer Konsenspolitikers entspricht. Trumps 1.-August-Gruss ist eine Anerkennung der schweizerischen Unabhängigkeit. Gerade weil die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, kann sie auf das Wohlwollen des US-Präsidenten zählen.”
Der Aufruf könnte deutlicher nicht sein: Schliessen wir uns so rasch als möglich einem Politgambler — der die EU-Bürokraten mit Hitler verglich und die Franzosen als “Scheisshaufen” titulierte — und einem notorischen Lügner an, vor dem bei seiner Amtseinführung 27 amerikanische Psychiater warnten (siehe unten**). Und es kommt noch besser:
“Die Schweiz bleibt interessant, solange sie sich nirgends bindet. Unabhängigkeit bedeutet, ermöglicht Weltoffenheit. Die Chancen zeigen sich immer deutlicher. Briten, Amerikaner, Chinesen, auch die Russen ziehen die Schweiz einer arroganten, besserwisserischen EU vor. Gut so.”
Packen wir also die Chance, entsorgen wir die arrogante und besserwisserische EU im Abfalleimer und suchen dafür die Zusammenarbeit mit China, einem Land, in dem bis 2020 600 Millionen Überwachungskameras für Ruhe und Ordnung sorgen werden und das zurzeit in Hongkong brutal gegen eine protestierende Bevölkerung vorgeht, — oder mit Russland, in dem vor wenigen Tagen gerade ein paar tausend Demonstranten, die friedlich für mehr Demokratie demonstrierten, niedergeknüppelt wurden.
Halten wir uns vielleicht doch besser an das Wort Faust’s: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir (uns) fehlt der Glaube!“ 😉
**The Dangerous Case of Donald Trump: 27 Psychiatrists and Mental Health Experts Assess a President
edited by Bandy X. Lee, M.D., M. Div.
St. Martin’s Press, New York, 2017
(auch im Kindle Format erhältlich)