1789 brach die Alte Eid­ge­nos­sen­schaft der 13 Orte wie ein mor­sches Kar­ten­haus zusam­men, als revo­lu­tio­nä­re fran­zö­si­sche Trup­pen ein­mar­schier­ten. Von einem gemein­sa­mem Wider­stand war kei­ne Rede mehr. Zwar ver­such­ten sich die Ber­ner zu ver­tei­di­gen, wur­den aber bei Frau­brun­nen und Grau­holz geschla­gen. Auch die Inner­schweiz wehr­te sich erfolglos.

Der Grund für die­ses Deba­kel liegt auf der Hand: Die Eid­ge­nos­sen­schaft war zu einem ver­al­te­ten und kor­rup­ten poli­ti­schen Gebil­de gewor­den, in dem die gros­se Mehr­heit der Bevöl­ke­rung kei­ner­lei poli­ti­sche Rech­te hat­te. Sogar die Lands­ge­mein­den — Sym­bol für direk­te Demo­kra­tie — waren zu for­mel­len Insti­tu­tio­nen unter der Kon­trol­le weni­ger Fami­li­en gewor­den. Es gab weder Gewerbe‑, noch Niederlassungs‑, noch Pressefreiheit.
Was lohn­te es sich da noch zu verteidigen?

Am 12. April 1798 wur­de in Aar­au die Hel­ve­ti­sche Repu­blik aus­ge­ru­fen, gemäss dem fran­zö­si­schen Vor­bild als zen­tral regier­ter Ein­heits­staat. Das war ein radi­ka­ler Bruch mit dem locke­ren föde­ra­lis­ti­schen Sys­tem. Die Leib­ei­gen­schaft und die Unter­ta­nen­ge­bie­te wur­den abge­schafft, ein ein­heit­li­ches Straf­ge­setz­buch, die Nie­der­las­sungs­frei­heit und zum ers­ten Mal der Fran­ken als Ein­heits­wäh­rung wur­den eingeführt.

Ignaz Trox­ler hat­te inzwi­schen eine soli­de Aus­bil­dung am Gym­na­si­um in Solo­thurn und am Jesui­ten­kol­leg in Luzern absol­viert, die ihm von sei­ner tat­kräf­ti­gen Mut­ter trotz des frü­hen Todes sei­nes Vaters ermög­licht wor­den war. Nun woll­te er als 19-Jäh­ri­ger am Bau einer neu­en Schweiz mit­hel­fen, und tat­säch­lich erhielt er die Stel­le eines Kriegs­kom­mis­särs für den Distrikt Müns­ter, und er wur­de Sekre­tär des Unter­statt­hal­ters eines Luzer­ner Bezirks.

Trox­ler stürz­te sich mit Feu­er­ei­fer in die Arbeit, doch sein Enthu­si­as­mus mach­te schon sehr bald einer tie­fen Ent­täu­schung Platz. Einer­seits muss­te er erken­nen, dass die fran­zö­si­schen Besat­zer trotz ihrer dekla­rier­ten hohen Frei­heits­zie­le durch­aus hand­fes­te Inter­es­sen hat­ten: das Land wur­de regel­recht aus­ge­plün­dert (mit dem Ber­ner Staats­schatz finan­zier­te Napo­le­on spä­ter sei­nen Ägyp­ten-Feld­zug). Es kam zu Zwangs­aus­he­bun­gen für Frank­reich, und der Eid auf die neue Ver­fas­sung ohne die Anru­fung Got­tes führ­te vie­ler­orts zu Auf­stän­den. In der öffent­li­chen Erin­ne­rung geblie­ben ist bis heu­te die blu­ti­ge Nie­der­wer­fung des Auf­stands der Nid­wald­ner und das nach­fol­gen­de Enga­ge­ment von Johann Hein­rich Pes­ta­loz­zi für die Kriegs­wai­sen von Stans.

Viel mehr noch belas­te­ten aber Trox­ler die inter­nen Zwis­tig­kei­ten zwi­schen den Unita­ri­ern (den Ver­tei­di­gern der neu­en Ord­nung) und den Föde­ra­lis­ten (den Anhän­gern der alten Ord­nung) und die unver­hoh­le­ne Macht­gier eini­ger Poli­ti­ker. Geben wir auch hier Trox­ler sel­ber das Wort: „Allein bei aller Wirk­sam­keit nach aus­sen fühl­te ich eine inne­re Lee­re und Scham, dass ich noch so jung und unreif mit­re­gie­ren und das Schick­sal eines Vol­kes mit­be­stim­men soll­te. Heiss erwach­te in mir wie­der die Sehn­sucht nach Stu­di­um und Aus­bil­dung, und das Will­kür­li­che und Heuch­le­ri­sche, sowie das Schwan­ken­de in Diplo­ma­tik und Poli­tik fing an, mir Grau­sen und Ekel zu erre­gen.“

Er beschloss, sei­ne Stu­di­en in Phi­lo­so­phie und Medi­zin an einer der berühm­tes­ten Aus­bil­dungs­stät­ten des dama­li­gen Euro­pa auf­zu­neh­men: in Jena, dem “thü­rin­gi­sche Athen”, wo in Ver­bin­dung mit Wei­mar sol­che Geis­tes­grös­sen wie Hegel, Fich­te, Schel­ling, Goe­the, Schil­ler und Bren­ta­no wirk­ten, — ein Ort, wo Trox­ler auf­blü­hen konn­te, — und wo wir ihm in der nächs­ten Fol­ge wie­der begeg­nen werden.

An ande­ren Seri­en interessiert?
Wil­helm Tell / Ignaz Trox­ler / Hei­ner Koech­lin / Simo­ne Weil / Gus­tav Mey­rink / Nar­ren­ge­schich­ten / Bede Grif­fiths / Graf Cagli­os­tro /Sali­na Rau­ri­ca / Die Welt­wo­che und Donald Trump / Die Welt­wo­che und der Kli­ma­wan­del / Die Welt­wo­che und der lie­be Gott /Leben­di­ge Birs / Aus mei­ner Foto­kü­che / Die Schweiz in Euro­pa /Die Reichs­idee /Voge­sen / Aus mei­ner Bücher­kis­te / Ralph Wal­do Emerson

 

Meine Frage (23)
Boris Johnson, Donald Trump, Roger Köppel und die Schweiz

1 Kommentar

Kommentiere

Deine Meinung

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.