Links: Evan­ge­li­ka­le Pre­di­ger beim Seg­nen Donald Trumps. Mit­te: Donald Trump prä­sen­tiert die Bibel wäh­rend des “Black Lives Matter”-Aufruhrs. Rechts: Beten­der Trump-Anhän­ger wäh­rend des Kapi­tol-Dra­mas in Washington

Die Fra­ge, war­um die Welt­wo­che vier Jah­re lang eisern zu Donald Trump hielt — und noch hält, ist rela­tiv rasch geklärt, wenn man weiss, dass sie auch ande­re Poli­ti­ker mit auto­kra­ti­schen Ten­den­zen wie Orban, Sal­vi­ni oder Höcke jour­na­lis­tisch mit gröss­tem Wohl­wol­len begleitete.

Die Fra­ge ande­rer­seits, wie es mög­lich war, dass Aber­mil­lio­nen von ame­ri­ka­ni­schen Evan­ge­li­ka­len in Trump, dem mit Sicher­heit unkom­pe­t­ents­ten und amo­ra­lischs­ten Prä­si­den­ten in der Geschich­te der USA, ein “Werk­zeug Got­tes” sehen und ihm als Glücks­fall für die Welt­ge­schich­te hul­di­gen konn­ten, hat mich immer wie­der neu beschäftigt.
Offen­sicht­lich war ihnen sein Lebens­wan­del, sein patho­lo­gi­scher Nar­ziss­mus und sei­ne Vul­ga­ri­tät egal, solan­ge er sich gegen böse Sozia­lis­ten, Kom­mu­nis­ten, Mos­lems, Abtrei­bung und Homo-Ehe stark machte.

Auch dass er die Bibel zwar nicht gera­de ver­kehrt hielt, aber auf Anfra­ge kei­nen ein­zi­gen Bibel­vers zitie­ren konn­te, weil er wahr­schein­lich noch nie einen Blick hin­ein gewor­fen hat­te, schien nicht wei­ter zu stö­ren. Es genüg­te, dass er im Febru­ar 2016 ein­mal behaup­te­te: “Nie­mand liest die Bibel mehr als ich”. Aber da er sich gleich­zei­tig als gröss­tes Genie und weit­sich­tigs­ten Staats­mann, der je auf Got­tes Erden wan­del­te, bezeich­ne­te, dürf­ten Zwei­fel durch­aus ange­bracht sein … 😉

Einen sinn­vol­len Erklä­rungs­an­satz fand ich schliess­lich, als ich mir das Welt­bild Evan­ge­li­ka­ler etwas genau­er anschau­te. Es ist geprägt von einer immer noch mit­tel­al­ter­lich gepräg­ten kirch­li­chen Sicht: Es gibt einen über der Schöp­fung thro­nen­den Gott, der vor 2000 Jah­ren sei­nen Sohn in die Welt sand­te, um durch des­sen Opfer­tod am Kreuz alle Sün­den der Mensch­heit auf sich zu neh­men und so sei­nen berech­tig­ten Zorn über unse­re Sün­den von uns allen abzu­wen­den. — Das heisst, nur von jenen, die dar­an glau­ben. Wer das nicht tut, ist unrett­bar ver­lo­ren und wird in der Höl­le lan­den. Über den Dau­men gepeilt also ein paar Milliarden.

Welch unfass­ba­res Elend die­se reli­giö­se Sicht ver­ur­sacht hat, kann man zum Bei­spiel nach­le­sen, wenn man das Buch des Psy­cho­ana­ly­ti­kers und Pfar­rers Oskar Pfis­ter,Das Chris­ten­tum und die Angst”, das Buch von Eugen Dre­wer­mann, “Kle­ri­ker” oder von Karl Heinz Desch­nerDas Kreuz mit der Kir­che” zur Hand nimmt.

Evan­ge­li­ka­le pfle­gen aber — im Gegen­satz zu ande­ren Kir­chen — eine wei­te­re tie­fe Über­zeu­gung: Wir leben in der End­zeit und die Rück­kehr von Jesus Chris­tus ist nicht mehr fern. Wich­tigs­tes Indiz dafür ist die Grün­dung von Isra­el, des­sen radi­ka­le Sied­ler­be­we­gung des­halb auch jedes Jahr mit vie­len Mil­lio­nen Dol­lar unter­stützt wird. Als Trump dafür sorg­te, dass die Bot­schaft der USA nach Jeru­sa­lem ver­legt wur­de, fei­er­ten ihn Evan­ge­li­ka­le als neu­en König Kyros.

Der Reli­gi­ons­so­zio­lo­ge Phil­ip Gor­ski: “Die Mehr­heit der weis­sen Evan­ge­li­ka­len erwar­tet die Rück­kehr Chris­ti inner­halb der nächs­ten 30 oder 40 Jah­re. Sie wür­den in der Zeit­ge­schich­te nach Zei­chen für bevor­ste­hen­de Ereig­nis­se deu­ten und die bevor­ste­hen­de “End­zeit” wort­wört­lich als Kampf zwi­schen Engeln und Dämo­nen und auf Erden zwi­schen Gut und Böse ver­ste­hen. In der Covid-19-Pan­de­mie sehen vie­le die Rache für die Sün­den der USA, aller­dings nicht für Sün­den gläu­bi­ger Chris­ten, son­dern jene der Fort­schritt­li­chen, der Huma­nis­ten, Athe­is­ten, Säku­la­ris­ten. (Deutsch­land­funk Kultur)

Die­se “christ­li­chen Kul­tur­krie­ger” (Neil Young) haben inzwi­schen ein gebro­che­nes Ver­hält­nis zur Demo­kra­tie, weil all die Huma­nis­ten, Athe­is­ten, Säku­la­ris­ten, Kom­mu­nis­ten, Abtrei­bungs­geg­ner, Homo­se­xu­el­le und Femi­nis­tin­nen, die sich mehr­heit­lich nicht auf repu­bli­ka­ni­scher, son­dern auf demo­kra­ti­scher Sei­te ver­or­ten, dem Bösen anheim­ge­fal­len sind. Und damit begin­nen die Probleme:
Die Demo­kra­tie setzt vor­aus, dass man sich die Gegen­par­tei als Leu­te guten Wil­lens vor­stellt: als ver­hand­lungs­fä­hig, kom­pro­miss­be­reit“, sagt Gor­ski. Außer­dem set­ze sie vor­aus, dass man dem Fort­be­stand der demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen einen höhe­ren Wert ein­räu­me als dem Errei­chen der eige­nen poli­ti­schen Zie­le. „Wenn man sich die Welt wirk­lich als die Sze­ne eines Kamp­fes zwi­schen Gut und Böse vor­stellt, und sich selbst als die Guten und die Gegen­par­tei als die Bösen, dann sind die­se Vor­aus­set­zun­gen ein­fach nicht gege­ben. (Deutsch­land­funk Kultur)

Eine beson­ders toxi­sche Mischung ergab sich schliess­lich, als sich bei vie­len Evan­ge­li­ka­len Ele­men­te aus der QAnon-Ver­schwö­rungs­theo­rie ein­schli­chen. Der Sturm auf das Kapi­tol hat die Fol­gen deut­lich gemacht. Ein evan­ge­li­ka­ler Pre­di­ger, der, geschockt von den Ereig­nis­sen, Bus­se für sei­ne Blind­heit tat, wur­de von vie­len Glau­bens­brü­dern und ‑schwes­tern aufs Übels­te beschimpft und bedroht:
“In den letz­ten 72 Stun­den habe ich meh­re­re Mord­dro­hun­gen und Tau­sen­de von E‑Mails von Chris­ten erhal­ten, die die gemeins­ten und vul­gärs­ten Din­ge sag­ten, die ich je über mei­ne Fami­lie und mei­nen Dienst gehört habe. Ich wur­de als Feig­ling, Ver­rä­ter und Ver­rä­ter des Hei­li­gen Geis­tes bezeich­net und min­des­tens 500 Mal beschimpft.”
Und er stell­te erschüt­tert fest: “Ich bin ver­blüfft über die Flut von fort­ge­setz­ten Ver­schwö­rungs­theo­rien, die jede Minu­te in unse­re Rich­tung geschickt wer­den, und den rei­nen Hass, der ent­fes­selt wird. Zu mei­nem gro­ßen Kum­mer bin ich über­zeugt, dass Tei­le der prophetischen/charismatischen (d.h. evan­ge­li­ka­len) Bewe­gung weit krän­ker sind, als ich es mir je hät­te träu­men lassen.”

Jes­hua ben Joseph sag­te eines Tages zu sei­nen Jün­gern: Was siehst du den Split­ter in dei­nes Bru­ders Auge, aber den Bal­ken im eige­nen Auge nimmst du nicht wahr? Oder wie kannst du sagen zu dei­nem Bru­der: Halt, ich will dir den Split­ter aus dei­nem Auge zie­hen! — und sie­he, ein Bal­ken ist in dei­nem Auge? Du Heuch­ler, zieh zuerst den Bal­ken aus dei­nem Auge; danach kannst du sehen und den Split­ter aus dei­nes Bru­ders Auge zie­hen.” (Mt 7.3–5)

Das haben die Evan­ge­li­ka­len nicht begrif­fen. Und nicht nur die Evan­ge­li­ka­len, denn sei­en wir ehr­lich: Die­sem Gebot zu fol­gen gehört zuge­ge­be­ner­mas­sen zum schwie­rigs­ten Unter­fan­gen über­haupt, dem wir uns alle stel­len müs­sen, wenn wir in die­sem Leben ein paar Schrit­te hin zu mehr Rei­fe und Ver­ste­hen machen wol­len, — und es braucht mehr als eine Inkar­na­ti­on dazu …

 

 

 

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