Dank der regen Diskussionsbeteilung in der vorletzten Folge gewinnt die Auseinandersetzung um das Salina Raurica-Projekt immer mehr an Fahrt. Leider ist es allerdings noch so, dass Christoph Meury allen, die sich mit der Aktionsgruppe “aapacke” solidarisieren, sowohl moralisch als inhaltlich das Recht dafür abspricht:
Die Krux der vorliegenden Blog-Bubble ist, dass abweichende Meinungen abgewertet und disqualifiziert werden müssen. Meinungsvielfalt hat in der moralischen Grundsatzposition keinen Platz. Abweichler sind Neoliberale, Kapitalisten, Lobbyisten der Baubranche, etc. Die Guten bleiben gerne unter sich. Homogenität ist das Ziel der Interventionen.
Anachronistisch ist in diesem Diskurs, wenn Leute den Konsumverzicht zur umfassenden Maxime erklären, welche mit gesicherter Rente im eigenen Einfamilienhaus/Eigentumswohnung wohnen, die Welt bereist und umfangreich konsumiert, ihre Auto- und Biketräume ausgelebt haben. Ihr Entscheid hier einen persönlichen Stop einzulegen ist okay. Aber jetzt Allgemeingültigkeit für diese Maxime einzufordern, ist tollkühn.
Es war und ist nicht die Absicht in dieser Serie, die Meinungen der Befürworter des Salina Raurica-Projekts abzuwerten und zu disqualifizieren. Sie haben ihr gutes Recht, ihre Positionen zu Gehör zu bringen. Aber wenn diese Befürworter auf Gemeinde- und Kantonsebene gleichzeitig einen echten Dialog verhindern, indem sie unter dem Vorwand der Planungssicherheit ein demokratisches Volksrecht abwürgen, das einen intensiven Diskurs unterschiedlicher Meinungen ermöglicht hätte, muss klar festgehalten werden: Das war und ist undemokratisch!
Deshalb geht Christoph Meury’s Lamento, Meinungsvielfalt habe in der moralischen Grundsatzposition keinen Platz, völlig fehl: Es war der Pratteler Einwohnerrat und jetzt die Baselbieter Regierung, die mit der Annullierung der rechtens zustandsgekommenen Gemeindeinitiative diesen Dialog verhindern.
Genauso daneben ist sein Argument, man könne nur dann moralisch eine Gegenposition zum Salina Raurica-Projekt einnehmen, wenn man nicht mit gesicherter Rente im eigenen Einfamilienhaus wohnt und einen Blick in die weite Welt getan hat. Soll das heissen, man hat erst dann das Recht, eine gegenteilige Meinung als die der Promotoren des Salina-Raurica Projekts zu äussern, wenn man Miete in einem Wohnsilo bezahlt !?
Und dann die abschätzige Bemerkung: “Die Guten bleiben gerne unter sich”… Sie erinnert mich fatal an die Gegenpropaganda während der Konzerninitiative, wo SVP-nahe Kreise gegen das “Gutmenschentum” all der Kirchgemeinde-Mitglieder wetterten, die sich erdreisteten, ihre eigene Meinung zum wirtschaftlichen Gebaren gewisser Konzerne zu haben.
Es geht bei der Salina Raurica-Frage auch nicht um eine umfassende Maxime des Konsumverzichts. Es geht um das Recht der einheimischen Bevölkerung, darüber zu diskutieren und anschliessend zu entscheiden, ob ein Denkpause sinnvoll sei oder nicht. Beides wurde ihr behördlich verwehrt. Das war und ist undemokratisch!
Dass sich Christoph Meury Sorgen darüber macht, ob bei einer Sistierung des Salina Raurica-Projekts all die Neueinwanderer in den Kantons in zwei, drei Jahrzehnten ein Dach über dem Kopf haben werden und ob die Basellandschaftliche Pensionskasse ohne das Projekt noch genügend Rendite erwirtschaften kann, ist ehrenwert. Auch dass er all die Stadtplaner und Landschaftsarchitekten in Schutz nimmt, ist absolut berechtigt. Das sind mit Sicherheit alles keine Zauberlehrlinge, wie er zu Recht feststellt.
Aber vielleicht müsste er zur Kenntnis nehmen, dass es eine ganze Reihe von Leuten gibt, die der Ansicht sind, es wäre vielleicht an der Zeit, ein paar grundsätzliche Parameter in der heutigen Gesellschaft zu hinterfragen, — z.B. das Dogma vom ungebremsten Wirtschaftswachstum.
Die Tramverlängerung der Linie 14 nach Augst macht nur Sinn, wenn man das Dogma des ungebremsten Wirtschaftswachstums — und damit die weitere Einwanderung von Arbeitskräften in den Kanton — unhinterfragt übernimmt.
Der Einwohnerrat Pratteln und die Kantonsregierung haben mit ihrem Entscheid, die rechtlich zustande gekommene Gemeindeinitiative als ungültig zu erklären, einen entsprechenden Diskurs verhindert. Das war und ist undemokratisch!
Meury macht mehrfach deutlich, dass das Salina Raurica-Gebiet als Naturzone ziemlich wertlos sei und weit entfernt von einer heilen Bauernwelt, weshalb man es doch problemlos überbauen könne. Auch hier gilt: Diese Argumentation ist nur so lange stringent, solange man nicht bereit ist, über das Dogma eines unbegrenzten Wirtschaftswachstums hinauszuschauen. Und was die “Wertlosigkeit” anbetrifft, hat Heiner Lenzin vielleicht die eine oder andere Bemerkung dazu.
Aktuell sind die Hauptverkehrsadern in vielen Baselbieter Gemeinde vollgepflastert mit Ja-Plakaten zur Verlängerung. Ein lieb lächelndes Tram lädt uns dazu ein, im Juni ein Ja in die Wahlurne zu legen. Die Handelskammer beider Basel streut ihren Prospekt in alle Haushalte, in dem sie die Entwicklung des “hochwertigen Wohn- und Wirtschaftsgebiets” schon als Tatsache hinstellt.
Die Aktionsgruppe “anpacke” verfügt im Gegensatz dazu nur über ein minimales Budget, der Bevölkerung ihr Anliegen einer Denkpause nahezubringen. Der birsfälder.li-Schreiberling erlaubt sich deshalb ganz einfach, angesichts der erdrückenden finanziellen Übermacht der Befürworter die Argumentation der Gegner wenigstens auf diesem Medium zu Gehör zu bringen.
Hat deshalb, wie Christoph Meury lamentiert, in dieser “Blog-Bubble” Meinungsvielfalt keinen Platz? Die Tatsache, dass er seine Meinung hier in aller Deutlichkeit und Ausführlichkeit äussern kann, führt die Aussage ab absurdum.
Deshalb: Der birsfälder.li-Schreiberling freut sich auf weitere Diskussionsbeiträge, — von welcher Seite auch immer 🙂
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Hans-Jörg Beutter
Mai 27, 2021
BREMSEN sei angesagt (cool down – niemand spricht von vollstopp)
wie wärs mit einigen zusätzlichen erwägungen: brauchen wir in 30 jahren immer noch ähnlich viel raum pro person?!
denk.mal
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wie wär’s mit verschlankten (wohn)modellen (tiny house, moving house, walking house etc)
wie wärs mit ressourcenschonenderen ansätzen (residiale bausubstanz … lehm etc)
wie wär’s mit sharing-modellen (prinzipiell mobile wohneinheiten, containermässig beliebig stapelbar – mit nur EINER gemeinsamen infrastruktur … statt jedem seinen privaten laubbläser …)
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statt urbanes feeling zuhause – naturnähe auf den malediven:
integrale wohn-arbeits-erholungs-einheiten
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man muss an derlei rumhirnen dürfen – und beim denken brauch ich keine obrigkeit!
(und jenseits der verbindlichen einheitsmeinung – der eignen versteht sich – herrscht nicht NUR kaschperlitheater – diese wahrnehmungseintrübung erscheint echt besorgniserregend!)
ibis
Mai 27, 2021
Schöne Ideen!
Man kann auch gross denken, wenn es um’s Ressourcen schonen geht — oder dort erst recht!
Die Pandemie hat uns klar gezeigt, wie rasch es geht, dass sich sehr vieles ändert. Gerade auch auf der Bedarfsseite. Deshalb wäre es so klug, mit flexiblen Strukturen zu planen.
Veränderungen können auch Chancen bedeuten. Aber nur, so lange man selbst beweglich bleibt.
Ueli Keller
Mai 29, 2021
Die bestehende Gesellschaft erlebe ich gespalten und wohlstandsverwahrlost. Sie hat ihren Boden und ihre Orientierung verloren. Es fehlen ihr der Glaube, die Kraft, die Kreativität und der Mut, um gemeinsam die Gelingensbedingungen für ein gutes Leben für alles und für alle — Steine und Pflanzen, Menschen und Tiere — zu schaffen. Auch wenn es Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft mehrheitlich nicht wissen wollen: die Immer-noch-mehr-Welt ist am Zusammenbrechen. Auch wenn daran ein Nein zur Tram14Verlängerung nichts wirklich etwas ändern kann, so bin ich trotzdem dagegen. Denn was uns sicher nicht weiter hilft, ist Gigantismus und Grössenwahn.
Hans-Peter Moser
Mai 30, 2021
Salina Raurica ist die grösste aber nicht die einzige Entwicklungsplanung in unserer Umgebung. In den meisten Vorortsgemeinden von Basel wird aktuell diskutiert und über Quartierplanungen abgestimmt.
Ausgelöst durch die Kapitalflut grassiert eine Planungs- und Bauwut, als ob es um den ersten Preis in einem Wettkampf der politisch Verantwortlichen geht. Gegenseitig wird übertrumpft. Jeder noch vorhandene grüne Fleck in unserem bereits verdichtet überbautem urbanen Siedlungsraum ist Kandidat für Investitionen der Immobilienzunft. Nur hoch und möglichst dicht ist das Ziel. Scheinbar zum Wohl der Bevölkerung. Lebensqualität wird neuerdings mit anderen Ellen gemessen.
Die Oekonomen am Ruder der Politik mit der Finanzwirtschaft im Hintergrund führen das Szepter. Oekologische und soziale Interessen machen oft Zweite im Planungsprozess. Übergangen werden oft die mahnenden Worte jener die das Resultat dieses Tuns abmahnen. Dem Streben nach Rendite wird Lebensqualität geopfert. Mit computerdesignten Projektionen werden die Planungsprodukte der Bevölkerung schmackhaft gemacht und eine kritische Betrachtung verhindert. Jedoch nicht jede Planung liegt falsch. Es gibt auch oekonomisch und oekologisch ausgewogene Projekte.
Unsere Demokratie bietet ein gutes Werkzeug an, dieser zum Teil unguten Entwicklung halt zu gebieten. Haben wir doch die Möglichkeit über alle Quartierpläne an der Urne abzustimmen. Mit unserer Stimme können wir Gutes bestätigen und Übertriebenes verhindern.
Es liegt in unserer Hand, ob das letzte Grün in unserer Gemeinde verschwindet und die Rheinebene Salina Raurica einer Überbauung geopfert wird oder ob unsere nächste Generation auch noch etwas Freiraum zur Verfügung hat.
Die Erkenntnis einer Fehlentwicklung und einem Verlustgeschäft darf uns nicht erst nach der Einweihungsfeier des neuen «Stadtquartiers» die Augen öffnen.
Das wäre zu spät.
30. Mai 2021
Hans-Peter Moser
Otto Schwarzenbach
Mai 30, 2021
Über Salina Raurica und sein Tram bzw. das Wirtschaftswachstum im Allgemeinen darf und muss man sich sehr wohl Gedanken machen: Steigt das Weltwirtschaftswachstum mit 1% pro Jahr, verdoppelt sich die Wirtschaftsleistung in 70 Jahren. Bei einem jährlichen Wachstum von 2% bzw. 3% beträgt die Verdoppelungszeit noch 35 bzw. rund 23 Jahre. Dieses permanente, bzw. exponentielle Wachstum führt zur Zerstörung der Erde und ist langfristig unmöglich, weil die Ressourcen der Erde beschränkt sind. Die Kunst bei der Sache ist es, den Lebensstandard zu halten OHNE immer mehr der Natur zu vernichten. Und wenn Bauen unbedingt nötig ist, sollte — statt die besten Landwirtschaftsflächen zu verschandeln — mehr in die Höhe gebaut werden.
Sich in einer Demokratie für den Erhalt der Natur und andere Interessen einzusetzen ist das gute Recht der Bevölkerung und durch die Bundesverfassung garantiert. Hat jemand ein Problem damit?