Im kür­zlich in der Welt­woche veröf­fentlicht­en Inter­view mit dem Ex-Rat­spräsi­den­ten der Evan­ge­lis­chen Kirche, Got­tfried Locher, wen­det sich dieser klar gegen das Engage­ment viel­er Kirchge­mein­den für die Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive. Abge­se­hen davon, dass er der Kirche Wirtschafts­feindlichkeit vor­wirft, krei­det er ihr eine Hal­tung der ver­lo­ge­nen Moral an:
“Kirchen ste­hen nicht über der Parteipoli­tik, aber sie tun so, als dürften sie eine höhere Moral beanspruchen”.
WW: Let­ztes Jahr sprach der Schrift­steller Thomas Hür­li­mann in der Welt­woche von “Moralschleim, der heutzu­tage von den Kanzeln tropft”. Ist an diesem Bild etwas dran?
“Ver­mut­lich schon. Das ständi­ge Moral­isieren treibt noch die let­zten Leute aus der Kirche. … Das Leben zeigen, wie es tat­säch­lich ist, auch das frag­würdi­ge, wider­sprüch­liche, auch das hässliche! Nichts schönre­den, nichts übertünchen, bis alles lieblich und harm­los daherkommt. “Meh Dräck”, wie Chris von Rohr sagt, täte unseren Kanzeln gut.
und weit­er: “Ich bin gegen den “Moralschleim”. Die Kirche soll aufhören, den Men­schen zu sagen, wie sie leben müssen.”

Ich habe in den let­zten 50 Jahren vielle­icht drei Predigten gehört und bin deshalb nicht befugt, ein Urteil abzugeben. Was deut­lich wird, ist, dass Got­tfried Locher den Begriff “Moral” neg­a­tiv inter­pretiert im Sinne von “über­he­blich­er Schein­moral”. Schein­moral war in der 2000-jähri­gen Kirchengeschichte ohne Zweifel immer gegen­wär­tig. Doch wenn man im Lexikon mal nach­schaut, was dort zu “Moral” ste­ht, heisst es z.B.:
“Gesamtheit von ethisch-sit­tlichen Nor­men, Grund­sätzen, Werten, die das zwis­chen­men­schliche Ver­hal­ten ein­er Gesellschaft reg­ulieren, die von ihr als verbindlich akzep­tiert wer­den.”

Dass ethisch-sit­tliche Nor­men sich wan­deln kön­nen und manch­mal müssen, ist gar keine Frage. Aber es ist auch keine Frage, dass wir ohne  grundle­gende ethisch-sit­tliche Nor­men — zum Beispiel” Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu” — gesellschaftlich ins Chaos abglit­ten. Die im 18. Jhdt. gegen die Kirche hart erkämpften Men­schen­rechte im Zuge der Aufk­lärung gehören dazu.

Die entschei­dende Frage ist jet­zt: Han­deln die 600 Kirchge­mein­den, die sich für die KVI engagieren, aus ein­er über­he­blichen Schein­moral her­aus? Haben sie sich für das Engage­ment entsch­ieden, weil den “Schäfchen” von der Kanzel “Moralschleim” vorge­set­zt wurde, den sie dann auch brav aus­löf­fel­ten? Oder haben sie ein­fach ohne jede Moral­predigt ver­standen, dass Men­schen­rechte unteil­bar sind — wo auch immer auf dieser Welt?

Vielle­icht haben sie ja dank dem “Konzernreport”-Film der KVI das frag­würdi­ge und hässliche Gebaren von bes­timmten Grosskonz­er­nen zur Ken­nt­nis genom­men und  dann ganz ohne Kanzel-“Moralschleim” beschlossen, dage­gen etwas tun zu wollen?

Ich frage mich, wie mündig Got­tfried Locher die ein­fachen Kirchen­mit­glieder ein­schätzt.

Und noch mehr frage ich mich, was für ein antiquiertes Bild der Ex-Rat­spräsi­dent der Evan­ge­lis­chen Kirchen von Gott hat, wenn er schreibt: “Die Bewahrung der Schöp­fung ist Sache des Schöpfers, nicht unsere.”

Stellt sich der gute Mann tat­säch­lich immer noch vor, dass “irgend­je­mand da oben” am grossen Schalt­pult der Schöp­fung ste­ht und gegebe­nen­falls all die Klötzchen wieder richtig auf­baut, wenn wir mit unserem zer­störerischen Raub­bau an der Natur etwas Mist gebaut haben?

Da lobe ich mir all die indi­ge­nen Gemein­schaften auf dieser Erde, die unter der christlichen Mis­sion zum Teil unsäglich gelit­ten haben und die nicht aufhören zu mah­nen, dass wir für die Erhal­tung dieses wun­der­baren blauen Plan­eten ver­ant­wortlich sind, und son­st nie­mand.

 

 

 

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