Eigentlich müsste man sich langsam fragen, wieviel Sinn es macht, für jedes Gesetz, das via Initiative geändert, ergänzt oder neu geschaffen werden soll, ein Verfassungsartikel geschaffen werden muss.
Die Befürworter des Ständemehrs haben verschiedene Schwerpunkte, z.B.:
• »Das Ständemehr schützt den sozialen Frieden und ist extrem wichtig.«
• »Das Ständemehr schützt die Kantone vor einem gewaltigen, bürokratischen Zentralstaat und schützt so insbesondere die Minderheiten in den kleinen Landkantonen. Föderalismus und Ständemehr sichern Wohlstand, Demokratie und Minderheitenschutz.«
• »Zum Glück gibt es den Föderalismus. Sonst würden die Randregionen nur noch durch die Städter regiert werden. Das nennt man Demokratie!«
Man könnte sich aber auch fragen, ob es wirklich den sozialen Frieden schützt, wenn das Volksmehr durch das Ständemehr gebodigt wird — oder ob so nur der soziale Friede der Gegner geschützt wird? Wenn Zug und Schwyz (mit insgesamt 4 Standesstimmen) ein Anliegen des Kantons Basel-Stadt (mit nur einer Standesstimme) überstimmen?
Klar will man als Bauernstaat (oder Zwergenstaat wie Lukas Bärfuss meint) nicht durch die Städter regiert werden, es reicht ja, wenn diese die Finanzen im Schuss halten und damit den Bauernstaat subventionieren. Eine alte Animosität, die sich durch die ganze Schweizer Geschichte zieht.
Und doch wurden immer wieder Schritte unternommen das Ständemehr zu verändern, wohl immer auch mit dem Hintergrund, dass eine Abschaffung am Ständemehr gescheitert wäre:
• 70er-Jahre. Nationalrat Franz Jaeger schlug für Verfassungsänderungen vor: Volksmehr und Zustimmung von 8 Kantonen.
• 90er-Jahre. Nationalrätin Leni Robert schlug für Verfassungsänderungen vor: Volksmehr und Zustimmung von zwei Dritteln der Kanton.
• Die Wissenschaftler Fritz Sager und Adrian Vatter schlugen vor, dass das Volksmehr bei mindestens fünf Prozentpunkten Differenz zwischen Ja- und Nein-Stimmen nicht durch die Stände überstimmt werden darf, also ab 52.5 Prozent.
• Der Politologe Wolf Linder hatte folgende Idee:
Stimmen das Volk und die Stände unterschiedlich ab, zählt jenes Resultat, das prozentual höher ausfällt.
• Ausgewählte Minderheiten sollen eine Zusatzstimme erhälten: Der Forscher Christian J. Jäggi hatte die Idee, dass die fünf grössten Städte je eine Standesstimme erhalten sollen.
• Der Politikwissenschaftler Silvano Möckli wollte den lateinischen Kantonen eine zusätzliche Stimme geben.
• Und im Januar 2021 meinte Claudio Kuster in der NZZ:
»Warum soll eigentlich den Kantonen eine binäre Standesstimme zugeschrieben werden, also der Wert 1 den zustimmenden Ständen und der Wert 0 den ablehnenden? Es wäre zweckdienlicher, die Standesstimme jedes Kantons proportional zu seinen Ja- und Nein-Stimmen aufzuteilen: Nimmt also zum Beispiel der Kanton Jura eine Verfassungsnovelle mit 70 Prozent Ja-Stimmen an, so wird ihm eine Standesstimme von 0,7 zugeschrieben. Der Kanton Schwyz hingegen, der mit 80 Prozent Nein-Anteil ablehnt, erhält den Wert 0,2. Die 26 proportionalen Standesstimmen werden schliesslich wie gehabt aufsummiert, die Summe muss die absolute Mehrheit erreichen, also weiterhin den Wert 11,5 übersteigen (die Hälfte von 23; sechs Kantone haben eine halbe Standesstimme).«
Diese letzte Variante könnte vielleicht gar eine Chance haben. Doch wer lanciert sie?
Und à propos Standesstimmen: Warum wurde bei der Teilung Bern / Jura jeder Teil mit zwei Standesstimmen bedacht?
Aber leider wird daran kaum je etwas zu ändern sein, solange für eine Verfassungsänderung ein Ständemehr notwenig ist. Doch es sollte eigentlich irgend eine Lösung geben … insbesondere in einer Demokratie!
Schauen wir das nächste Mal weiter …
max feurer
März 11, 2021
Warum lancieren wir nicht eine Initiative auf
https://wecollect.ch/? Selbst wenn sie bachab geht, wird so wenigstens die Diskussion schweizweit am Laufen gehalten.