Vernissage ohne Ansprache oder Ansprache ohne Vernissage?
Urteilen Sie selber. Uns blieb keine Wahl.
Eine ungewöhnliche Ansprache an eine Vernissage-Besucherschar, einer Vernissage, die nicht stattfinden wird und an die Besucher nicht kommen, — oder sie werden abgewiesen.
Der Installationskünstler und Holzschnitzer Thomas Huber hat für alle, die nicht dabei sein dürfen, eine Begrüssungsrede vorbereitet, die das „Pünggt.li“ exklusiv veröffentlichen darf.
Zu deren Leseerlebnis, vier Möglichkeiten:
1. Zu Beginn werden möglichst viele Besucher rhetorisch umarmt und begrüsst. Lesen sie, bis sie sich selbst angesprochen fühlen, dann scrollen sie bis zur ersten gross und fett gedruckten Titelzeile und lesen weiter.
2. Sollten sie nicht erwähnt werden, beschweren sie sich bei der Pünggt.li-Redaktion, wir werden die Beschwerde an den Künstler und die Kulturkommission weiterleiten.
3. Falls sie mehrfach erwähnt werden, freuen sie sich, Falls sie der Meinung sind, sie seien am häufigsten erwähnt, schreiben sie uns mit der Summe der Erwähnungen in unserer Kommentarspalte. Wer weiss, vielleicht gibt es etwas zu gewinnen.
4. Sollte das alles zu mühsam sein, lesen sie die Begrüssung erst ab der gross und fett gedruckten Titelzeile, noch besser, sie kommen vorbei und schauen sich die Arbeit mit eigenen Augen an, sofern sie keine Grenzen überschreiten.
Liebe Gäste diesseits und jenseits des Zauns,
liebe Menschen auf beiden Seiten der Birs,
liebe Nachbarsleute, liebe Vorbarsherumhängende, liebe Jugendliche, liebe Boomer,
liebe Generation X, Y und Zentralkomitee,
liebe dicke, dünne und mi-gros-Kinder, liebe Ehemalige,
liebe Bürgerinnen und Bürger, Gelbwesten und Volkstribune,
liebe Gemeinderatspersonen und Gemeindepräsidiale,
liebe Landrätinnen und Landräte,
liebe Landratten und Seebären,
liebe Paparazzi, Steuerfahnderinnen und Sozialdetektive,
liebe Immune, Imame, Immaterielle und Transzendente,
liebe Viren, Laren und Löffelstiele,
liebe Im‑, Am‑, OM‑, Um- und Em-(m)igrierte,
liebe Fahrende, Gehende und Stehende,
liebe Bettelstäbe, liebe Spendierhosen, liebe Geizhälse,
liebe Ergraute, Blasse, Farbige, Bunte,
liebe Linkshändige, Rechtshändige, Mittel- und Langfinger,
liebe Leichtfüssige, Schwergängige und Kurzatmige,
liebe Einatmende, liebe Ausatmende,
liebe Gutmenschen und Böswillige,
liebe Marsmenschen und Erdlinge,
liebe Freunde, selige Freunde, Feindselige und Lieblingsfeinde,
liebe Hier-und-Jetzige, Ewiggestrige, Zukünftige und Allgegenwärtige, liebe Ich-könnt-noch-lang-weiter-lesende (-zuhörende),
liebe Du-hast-mich-längst-verlorene,
liebe Kurzatmige, Langatmige, Langschläferinnen und Frühaufsteher, liebe Genervte, liebe Sanftmütige, liebe Entschlafene,
…
fühlen Sie sich noch gar nicht angesprochen? Wie möchten Sie angesprochen werden?
…
liebe Veganerinnen, Vegetarier und Wegelagernde,
liebe Carnivore, Räuberinnen und Vaganten,
liebe Tigerenten, Zebras und Quergestreifte,
liebe Zukurzgekommene, Zulanggeratene oder Zubreitgewesene,
liebe Einzelfälle und Sonderfälle,
liebe Immernochpelztragende und Sichdiehaaredarüberausraufende,
liebe Hyperventilierende, Normalventilierende, Implo- und Explodierende,
liebe Stümper, Heugümper und Basejumperinnen,
liebe Blaublütige, Gelbsüchtige, Rotbäckige und Grünspanige,
liebe Schwarzfahrende und Weisswaschende, liebe Grauslige,
liebe Kavaliere, Alfatiere und Tschentelmen,
liebe Golferinnen, Stromer und Spazierende,
liebe Tschillende, Tschättende und Tschuttende,
liebe Digitalnaive, Diemtigtalgrantige und Eigentalbrötler,
liebe Künstlichintelligente und Heiratsschwindler,
liebe Pantoffel‑, Finken‑, Adiletten‑, Slipper- und Latschenhelden,
liebe Besserwissende, Schlechtredende und Grottenolme,
liebe Abschleichende, Erbschleichende und Blindschleichen,
liebe Schwachgläubige und Starkträumende,
liebe Langlebige, Kurzweilige, Langweilige und Kurzlebige,
liebe Glatzköpfige, Hippies, Stutzbärtige und Schnauzer,
liebe Monetäre, Zastrige, Stutzige und Knausrige,
liebe Selige, Heilige, Scheinheilige und Kirchenmäuse,
liebe Weichteilparadiese und Waschbrettbauchige,
liebe Streunende, Sesshafte und Sitzgarnituren,
liebe Stadt- und Landbewohnende,
liebe Säende, Jätende, Giessende und Erntende,
liebe Anfangende,
liebe Kampfrichtende, Mampfbewertende und Dampferhitzte,
liebe Eintrichternde, Indoktrinierende und Schwurbelnde,
liebe Gedankenlesende, Astrologinnen und Glückspostende,
liebe Hamsternde, Absahnende, Raffgierige und Raffinierte,
liebe Schwangere, Schwungholende und Schwingende,
liebe Klatschmäuler, Schandmäuler und Mundfaule,
liebe Verschwiegene, Schweigende, Schwiegereltern und Schwippschwager,
liebe Infizierte, Observierte, Abservierte, Uniformierte und Epilierte,
liebe Ungeschminkte, Abgeschminkte und Angeschmierte,
liebe Fassadenkletterer, Profikletterinnen und Klettverschlussfans,
liebe Stalkende, Talkende, Talglichter und Unterbelichtete,
liebe In- und Outseider, liebe In- und Outleiner,
liebe Wollstrumpfige,
liebe Vulnerable, Wallwurzige, Wellnesser und Willfährtige,
liebe Senioren, Semischlaue und Samichläuse,
liebe Ledernacken und Bettlakendümpler,
liebe Klönschnaken und Kackerlackenjagende,
liebe Muntermacher und Nacktschnecken,
liebe Tölpel, Tolpatschige und Übertölpelte,
liebe Servale, Sehrwohle, Servile,
liebe Pottwale, Potthässliche und Potschamber,
liebe Wunderschöne, Wachholdene, Wachhunde und Wucherer,
liebe Unholde, Unselige, Unentwegte und Unglückliche,
liebe Glückliche, (Glückselige),
liebe Überlegte, Übervorsichtige, Überforderte und Überschwemmte,
liebe Pauschalreisende, Ausgenommene und Rausgeschmissene,
liebe Angeleinte, Losgelassene und Ungebundene,
liebe Oster‑, Feld‑, Schnee- und Angsthasen,
liebe Kaninchenzüchter, Zuchthengste, Hornochsen und Hornlose,
liebe Heilende, Heilsame und Heilsarmeeoffizielle,
liebe Armeefreaks, Militärwracks und Friedenstaube,
liebe Friedenstiftende, Pazifistinnen und Pazifikreisende,
liebe Verhütende, Verhaltene, Gummiadler und Soloswinger,
liebe Puristen, Puritaner und Burlimuntere,
liebe Zwangsverheiratete, Zweckeheleute und Zwickmühlenpaare,
liebe Liebespaare, Frischverliebte und Verfallene,
liebe Paradoxe, Parodontose und Paradebeispiele,
liebe Gesunde, liebe Kranke, Gekränkte und Geheilte,
liebe Gestörte und Ungestörte,
liebe Zockende, Abzockende und Pokerfaces,
liebe Schnäppchenjagende und Übergeschnappte,
liebe Traubenlesende, Rosinenpickende und Kernlose,
liebe Gewinner, Siegerinnen und Nieten,
liebe Ellenbögelnde, Knieschlotternde und Handgreifliche,
liebe Pökelnde, Pöbelnde, Popelnde und Poppende,
liebe Ossis, Wessis, Nordis und Südis,
liebe Fundis und Cloudis,
liebe Clowns und Cinderellas,
liebe Märchentanten und Briefkastenonkel,
liebe Unken, Propheten und Wahrsagerinnen,
liebe Müffelnde, Stinkende und Parfümierte,
liebe Sowohlalsauch‑, Entwederoder- und Jetztodernie-Fans,
liebe Monogame, Monochrome und Monoskifahrende,
liebe Neunmalkluge, Achtsame und Siebengscheite,
liebe Sechsbesessene, Fünfliberale und Vierschrötige,
liebe Dreikäsehohe, Zwielichtige und Einfachgestrickte,
liebe Nullnummern, Nichtsnutze und Tausendsassas,
liebe Häscher, Schlepper und Bauernfängerinnen,
liebe Feuerwehr- und Zuvielschutzleute,
liebe Rheinschipperinnen und Fährimänner,
liebe Schleusen‑, Bahn- und Abwartende,
liebe Fluglotsinnen und Sternenfeldwebel,
liebe Dampflok‑, Dampfschiff- und Dampfkochtopffans,
liebe Fahnenschwingende, Fahnentragende und Fahnenatmende,
liebe Liegeradfahrende, Stehgeigende und Sitzplatzbesetzende,
liebe Strandtuchlegende und Badenixen,
liebe Seemannschorsängerknaben,
liebe Jagdhornistinnen und Tierschutzleute,
liebe Hochhaus- und Tiefgaragenbauende,
liebe Hochstapelnde und Tiefgefallene,
liebe Schlafwandelnde, Traumtänzelnde und Scharwänzelnde,
liebe Jungwachteln und Blauringeltäubchen,
liebe Pfadis, Cevis, Zivis, Rübis und Stübis,
liebe Ministrierende, Menstruierende und Demonstrierende,
liebe Bigame, Bigotte, Binäre und Biozertifizierte,
liebe Alimentierte, Dokumentierte und Introvertierte,
liebe Extravertierte, Extrahierte und Extrawurstheutige,
liebe ImSUV‑, Imsuff- und Nezrouge-Fahrende,
liebe Giletjaune, Skilehrer und Erstnochblauäugige,
liebe Grenzwertige, Hagestolze, Zaunkönige,
liebe Dammbauende, Schrankensetzende, Grubengrabende,
liebe Mauerblümchen, Wallfahrende und Barrierefreie,
Wir machen hier einen Schnitt:
Liebe Zaungäste, endlich!
können wir Sie in unserer neusten Ausstellung herzlich willkommen heissen — unsere topaktuelle, mehrteilige Schau aufs Leben lohnt Ihren Besuch!
Kommen Sie aber besser zahlarm und sicher Fieber- und Hustenfrei.
Wir hoffen auf Ihr Verständnis und Ihre Geduld, wenn wir Ihnen im Falle zu zahlreichen Erscheinens statt einer rotweissen eine grüne Eintrittskarte überreichen. Für die bei schönem Wetter angenehme Wartezone im Garten. Gemäss Schutzkonzept zum Schutz der vulnerablen Personen unter uns. Also zum Schutz von uns allen.
(Ja auch Sie, kerngesunder Jungspund, sind vulnerabel — ob Sie das glauben oder nicht. Später oder früher und vielleicht ohne Vorwarnzeit ist auch für Sie „Sense“ – ob mit oder ohne Virus.)
Ein zentraler Teil unserer Ausstellung ist das Figurentheater. Das Theater ist klein, deshalb wird das 5 Minuten dauernde Stück jeweils nur für eine einzige Person gespielt. Stellen Sie sich das so ähnlich vor wie in alten Fotokabinen.
So gehts: Identifizieren, fiebermessen, desinfizieren, maskieren, eintreten.
5 Minuten Theater. Austreten.
So schaffen wir höchstens zehn Aufführungen pro Stunde. Falls Sie unsere Anweisungen zügig befolgen.
Damit Sie Ihre ganz eigene, persönliche Vorstellung erleben können, kaufen Sie besser das Programm erst hinterher. Als Souvenir, für 5 Franken. Die Fotos am Automaten erhalten Sie ja auch erst hinterher.
Jede Vorstellung wird stark vom Publikum, also von Ihnen, mitgeprägt. Geistige Höhenflüge liegen ebenso wie tiefe Enttäuschungen in Ihrer eigenen Verantwortung. Wir lehnen ausdrücklich jede Haftung ab. Aber ob inspiriert oder frustriert: Sie dürfen es uns gerne an den Tafeln ankreiden. Bei Nichtgefallen würden wir Ihnen auch Ihr Eintrittsgeld zurückerstatten. Wie im Museum Birsfelden üblich verlangen wir allerdings gar kein Eintrittsgeld.
Abgesehen vom Figurentheater können Sie sich im Museum frei bewegen.
Mit dem vom Schutzkonzept vorgegebenen Abstand.
Durch den Saal der Kindheit, den Saal der Macht und den Saal des Gedenkens.
Wir wünschen Ihnen einen mit allen Einschränkungen anregenden Museumsbesuch!
An dieser Stelle geht mein herzlicher Dank
an Alexander Kämpfen, Margrit Geiger und ihren Teams am Universitätsspital dafür, dass ich weiterhin schnitzen kann, an alle vom Team des Museums Birsfelden für ihre trotz widrigen Umständen anhaltend grosse Unterstützung, allen Kindern für ihre Selbstporträts, an Ueli Kaufmann für seine Land- und Altregierungs-Räte, den mir nicht bekannten Malerinnen und Malern für ihre Porträts, an Gian Luca Hofmann für seine Gestaltung von Plakat und Flyer, an Mattias Huber fürs Transportieren und Aufbauen, den schon Genannten so wie Beat Jenny, Pia und Nick Moser, Corinne und Beat Sigrist, Birgit und Suzanne Huber für ihre Anregungen, ihr mutiges Probesitzen und kritisches Mitdenken, und allen Unterstützenden, die ich hier nicht namentlich nennen kann: Merci villmol!
Thomas Huber-Winter
Nachtrag
Wir Natürlich (nicht immer) Intelligenten (NI) können uns nun zur Verbesserung unseres kollektiven Gedächtnisses (wer wann mit wem…) zeitnah und ganz freiwillig
A) Künstliche Intelligenz (KI) als App von der Cloud aufs Smartphone herunterladen (sicher, mit Ablaufdatum),
oder
B) mit der Kosmischen Intelligenz (KOI) im Himmel verbinden (ganz sicher, bis zum Jüngsten Gericht),
oder
C) mit Name, Telefonnummer, Schuhgrösse und Bauchumfang ins Zaungästebuch eintragen — gerne auch mit einem kritischen Vermerk zur Ausstellung (Schuhgrösse und Bauchumfang dienen der Berechnung des nötigen Sicherheitsabstandes. Ihre Daten werden vertraulich behandelt und ganz sicher nicht weitergegeben. Jedenfalls nicht freiwillig. Oder nur an ganz Ausgewählte. Die damit was anfangen können…),
oder
D) als sehr Sicherheitsbedürftige alle 3 Möglichkeiten wählen.
Was aber bedeutet hier freiwillig?
Wenn ich weder bei A noch B oder C mitmache, bin ich dann schuld, wenn sich das Virus wieder stärker verbreitet und deshalb mehr Menschen sterben?“
NEIN!
Für einen Schuldspruch muss zuerst bewiesen werden, dass unter diesen Empfehlungen solche sind, die eine Weiterverbreitung des Virus mit Sicherheit verhindern können.
Halten Sie einen solchen Beweis hier im Ernst für möglich?
Und falls so ein Beweis tatsächlich erbracht werden könnte: Müsste dann die entsprechende Empfehlung nicht stattdessen Pflicht für alle werden?
Freiwillig bedeutet also:
„Wir empfehlen diese Massnahme, weil wir glauben und hoffen, dass sie wirkt.
Es steht allen frei mitzumachen oder nicht.“
Wer nicht mitmacht (anderes glaubt oder hofft), muss sich dafür nicht rechtfertigen, macht sich nicht schuldig und darf nicht benachteiligt oder ausgegrenzt werden!
Trotz versprochener Freiwilligkeit von allen Konformität zu verlangen, ist zutiefst undemokratisch. Bevor Sie also andere zu deren App-Nutzung befragen, fragen Sie besser sich selber:
A) Habe ich meinen Führerschein abgegeben und mein Auto verschrotten lassen?
oder
B) Verzichte ich auf Ferien mit Flugzeug, Camper, Kreuzfahrtschiff und anderen Dreckschleudern?
oder
C) Heize ich mit erneuerbaren Energien oder habe ich das in Auftrag gegeben?
oder
D) Habe ich all das bereits unternommen?
Mit solchem Verhalten können Sie mit Sicherheit mehr zum Schutz des Lebens auf dieser Erde beitragen als mit irgendeiner Veräppelung auf Ihrem Händi.