Der englische Schriftsteller H.G. Wells ist berühmt geworden durch Science-Fiction-Geschichten wie “Die Zeitmaschine” oder “Krieg der Welten”, dessen Hörspielfassung von Orson Wells 1938 in den USA eine Massenpanik auslöste. 1914 beschrieb er in “Befreite Welt” Atomenergie und eine neuartige Waffe namens “Atombombe”, — lange bevor die Kernspaltung entdeckt wurde. Einer der Väter der ersten Atombombe, der ungarische Physiker Leo Szilard, erklärte später, das Buch habe ihn zur Entwicklung der ersten Idee zur nuklearen Kettenreaktion angeregt.
Christian Stöcker, auf dessen Buch “Das Experiment sind wir” diese kleine Serie aufbaut, zieht deshalb den Schluss, dass wir SciFi-Literatur definitiv aus der “Dornröschen-Ecke” herausholen und ernster nehmen sollten, als es bis heute der Fall ist. Beweis: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Tesla-Gründer Elon Musk lassen sich von SciFi-Szenarien inspirieren. Beide sind z.B. Fans der Werke von Iain M. Banks und dessen grossangelegter “Kultur-Saga”:
“In deren Welt leben Menschen so lange, wie sie wollen. Sie können sich Kunstgenüssen, dem Streben nach Erleuchtung oder aber Drogen- und Sexexzessen hingeben. Wer will, ändert in seiner Lebensspanne mehrmals sein Geschlecht, etwa, um die Freuden des Gebärens einmal selbst miterleben zu können. In wunderschönen, künstlich geschaffenen Landschaften existieren die Menschen frei und unbeschwert, dürfen aber, wenn sie unbedingt wollen, auch intergalaktische Abenteuer und Begegnungen mit fremden Spezies erleben, sich gewissermassen als Fortschrittskolonialisten betätigen. In ihrer Eigenschaft als menschliche Agenten einer Organisation namens Special Circumstances treten sie mit noch nicht so weit entwickelten Zivilisationen in Kontakt und dürfen, bestimmten Regeln folgend, entscheiden, wie weit man den Barbaren auf ihrem Weg zur Erleuchtung helfen darf und wie viel sie allein schaffen müssen.”
Unsterbliche Menschen, die in einer Art “Paradies” leben und für andere bewusste Lebewesen im Universum ein bisschen “Gott” spielen dürfen. Tönt doch ziemlich cool, oder? -
Das Ganze hat allerdings leider einen kleinen Haken — nix da mit “Gott”:
“Möglich wird diese Existenz dank mächtiger, wohlwollender, superintelligenter KIs, die all die fantastischen Menschenspielplätze bauen und betreuen, beseelt von einem nie so recht erklärten Beschützerinstinkt für die schwachen, fehlbaren Menschlein. Diese KIs sind in Wahrheit die Computergehirne von Raumschiffen oder ‑stationen, sie tragen originelle, selbst ausgedachte Namen und haben einzigartige Persönlichkeiten …”
Nun, zugegeben, diese mögliche Zukunftsvision erscheint zurzeit doch noch recht weit hergeholt. Aber nicht so weit hergeholt ist die Tatsache, dass Elon Musk nicht nur Autos und Raketen baut, sondern auch an einer Firma namens “Neuralink” beteiligt ist, die daran ist, ein Mensch-Maschine-Interface zu entwickeln, eine Art direkt ins Gehirn eingenähte Ansammlung von Elektroden. Dieses Interface soll laut Musk für uns Menschen eine Symbiose mit künstlicher Intelligenz erlauben, “damit wir im Zeitalter der exponentiell klüger werdenden Maschinen nicht “zurückgelassen” werden.”
Interessant: Bei Iain M. Banks taucht genau dieses Interface unter dem Namen “Neural Lace” auf.
Sind Zuckerberg und Musk halt einfach zwei etwas überdrehte SciFi-Fans? Mitnichten, wenn man Christian Stöcker glauben darf: “Mittlerweile gibt es sehr ernst zu nehmende Menschen, die die Idee einer gottgleichen Künstlichen Intelligenz, die den Menschen endlich wirklich aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit herausführt — oder ihn zornig vernichtet -, nicht nur als Unterhaltung, sondern als plausibles Zukunftsszenario betrachten. Dazu gehören einige der reichsten Menschen der Welt, Google-Gründer Larry Page und Bill Gates zum Beispiel. Nicht nur im Silicon Valley ist die Vorstellung, dass wir dank der rasanten Entwicklung des maschinellen Lernens irgendwann in den nächsten Dekaden Götter bauen könnten, zu einem neuen mächtigen Mem geworden, wie der Evolutionsbiologe Richard Dawkins das nennt: eine Idee mit eingebautem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb.”
Schöne, neue Welt — um mit Aldous Huxley zu sprechen … Aber wollen wir denn eine solche Welt überhaupt? Und wo haben wir in dieser ganzen Entwicklung eigentlich den nicht von uns selbst gebastelten nicht-maschinellen Gott gelassen!?
Die Diskussion ist eröffnet 🙂
Fortsetzung am übernächsten Sonntag, den 15. November
Franz Büchler
Nov. 1, 2020
So wie ich die Menschheit einschätze, wird sie sich nicht auf einen »Maschinengott« einigen können, sondern jeweils eigene, nationale, kontinentale, mariarchat- oder pariarchatische, etc.
Denn wovon sollten denn sonst die Waffenproduzenten leben?
max feurer
Nov. 1, 2020
Das Problem könnte sein, dass sich der Maschinengott völlig darum foutiert, ob sich die Menschheit auf ihn einigt oder nicht 🙁
Waffenproduzenten profitieren heute ganz klar von“Gottesbildern”, die sich gegenseitig ausschliessen und bekämpfen. Spannend bleibt die Frage, ob es einen “Gott” hinter den Gottesbildern gibt.
Franz Büchler
Nov. 2, 2020
Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.
FvS
max feurer
Nov. 2, 2020
Wer sich einen Eindruck verschaffen will, woran Entwickler für Parallelwelten so arbeiten:
https://1e9.community/t/das-metaversum-kommt-wie-entwickler-digitale-parallelwelten-erschaffen/5580
Meine Meinung: Vielleicht dürfte es mehr Sinn machen, unsere handfeste, reale Welt in Ordnung zu bringen, bevor wir uns in irgendwelche “Meta-Universen” flüchten …