In Paris trafen sich dieses Wochenende rund 500 „Tatoo-Künstler“. Wozu eigentlich?
• zu einem Zeichnungskurs?
• zu dem Vortrag eines Kunsthistorikers, Thema: „Kunst mit Verfallsdatum“ ?
• zur Vernissage der Ausstellung: „Jagdtrophäen & Arschgeweihe im Dialog“ ?
• oder gar zur Gründung einer Tätowierer-Gewerkschaft, mit dem Ziel, weltweit das Gewerbe als anerkannten Ausbildungsberuf zu etablieren?
Ich weiss es nicht. Aus den zwei Berichten, die mich über dieses Treffen erst orientiert haben, ging das nicht hervor. Ist mir eigentlich auch egal. Ich mag Tatoos nicht. Okay, Birsfelden ist eine Hafenstadt, das muss auch wieder einmal gesagt sein. In Hafenstädten gehört das Metier zur Kultur. Das mag sich der Tätowierer an der Hauptstrasse auch gedacht haben.
Vier mal sind mir in Birsfelden Tatoos begegnet. Darum schreibe ich hier über die vergänglichen „Kunstwerke“.
Eine Schülerin, damals 12 Jahre alt, suchte bei mir, dem Lehrer Hilfe, bei einem Konflikt mit den Eltern. Diese waren offenbar Ganzkörper mit Tatoos überzogen, zumindest das, was man am Elternabend oder in der Sprechstunde sah. Das Kind wünschte sich das auch, aber die Eltern wehrten sich, „warte bis du 18 bist“.
Eine andere ehem. Schülerin wünschte sich in der Lehre unbedingt eine Louis Vuitton-Tasche (Heisst die Gugge tatsächlich so?), da für sie unbezahlbar, liess sie sich das Logo tätowieren.
Meine hübsche, zierliche, freundliche und geschätzte Coiffeuse fuchtelt mir berufsbedingt immer mit ihren Armen vor meinem Gesicht herum. Könnte ich beim Haareschneiden die Brille tragen, sähe ich die „Kunstwerke“ näher, ohne Brille sehe ich verschwommene Arme.
Kürzlich, um den Kreis wieder zu schliessen, traf ich einen ehemaligen Schüler mit der Standard-Frage: „Wie gehts, was machst du?“
Antwort: „Ich bin selbstständig und habe ein gut gehendes Tatoo-Studio“:
In meiner Erinnerung war er mir nie als besonders kreativ, zeichnerisch-begabt oder dermatologisch interessiert aufgefallen, eher sportlich und mathematisch.
In einer Zeit ohne Post, ohne Fotografie, ohne Internet, ohne Easy-Jet, war für einen Matrosen, der manchmal jahrelang nicht in seinen Heimathafen zurück fand, das Tatoo aus der Südsee das einzige Erinnerungsstück an die weite und lange Reise, an die Umrundung von Kap Horn. Nicht zuletzt auch der Beleg für die heimische Gesellschaft dafür, dort gewesen zu sein.
Die Zeit ist wirklich vorbei. Heute kann mit GPS die Umrundung des Kap Horn oder die Anlandung in Samoa problemlos belegt werden.
Dabei gewesen zu sein war wohl auch bei den Mitgliedern der Nazi-SS das Motiv. Alle Mitglieder liessen sich, oder wurden, unter der Achsel mit den SS-Runen tätowiert, wichtiges Zeichen, und bei den späteren Entnazifizierungs-Prozessen ein hilfreiches Stigma. Scheisse, dass man dabei war.
Dabei gewesen auch alle von den Nazis Verfolgten, denen die Häftlingsnummer auf den Unterarm tätowiert wurde, falls diese nicht direkt ermordet wurden.
Liebe Leser, Sie haben es gemerkt: Ich mag Tatoos einfach nicht.
Die einzigen sinnvollen Tatoos wären allenfalls Passwörter für den PC auf dem Unterarm oder Oberschenkel. Da hatten wir schon vor 60 Jahren die Spickzettel.
ueli kaufmann
Feb. 19, 2019
Da schreibt mir doch zu diesem Artikel ein treuer und kritischer Leser des „birsfälder.li“, er nehme „den Fehdehandschuh auf, er gehöre nämlich auch dazu…“. Da er mir das privat mitteilt, nehme ich an, dass er Diskretion schätzt, sonst hätte er ja auch einen Kommentar hier vor Ort schreiben können, eine Diskussion anstossen können.
Ansatzpunkte für Diskussionen gäbe es in meinem Beitrag mehrere, u.a.:
z.B.: Ist Birsfelden eine Hafenstadt?
z.B.: Ab welchem Alter dürfen sich Jugendliche tätowieren lassen?
z.B.: Soll Tätowieren ein anerkannter Ausbildungsberuf werden?
z.B.: Warum lassen sich viele Fremdenfeindliche Gruppen eine fernöstliche Kultur auf die Haut brennen (stechen)?
Dass ich persönlich Tatoos nicht sonderlich toll finde, ist mein gutes Recht. Deswegen gleich von einem Fehdehandschuh zu sprechen, sonderbar. Unter meinen Töff-Freunden ist man da tatootoleranter.