Jetzt jubilieren sie wieder. 50 Jahre Mai 1968!
Kaum eine Tageszeitung, kaum ein Magazin wird uns mit Beiträgen zum Mai 68 verschonen. Je konservativer das Blatt, umso grösser die Aufmachung. 50 Jahre, aber:
Was ist geblieben?
Da sitze ich hier und staune und amüsiere und ärgere mich profilaktisch.
Ich weiss, das interessiert eigentlich keinen.
Ich: 1948 in Basel geboren,
Ich: 1968 mit 20 Jahren im “besten“ Alter,
Ich: mit 70 ein paar Fragen und Blick ohne Zorn zurück.
Was ist geblieben?
1.
Verfasser Unbekannt:
„Macht aus dem Staat Gurkensalat.“
Irgendein Neodadaist hatte das 1968 an eine Wand gesprayt. Nein, nicht gesprayt, breitpinslig geschrieben. Sprayen ist jünger.
Vermutlich dachte der Schreiber an Schlagstöcke, Tränengas und Wasserwerfer, und/oder hatte dieses selbst erlebt.
Niemand nahm damals diese Polizeieinsätze gegen Ho-Ho-Ho Chi Min-Sprechchöre ernst, unabhängig vom Standpunkt. Das gehörte für rechts und links zur erwarteten Folklore, wie Alphörner, Kuhglocken und Fahnenschwinger am Schwingfest erwartet werden.
Alle freuten sich, am Gurken-Vergleich. Nur: die kalten Krieger und Betonköpfe der staatstragenden FDP nahmen es ernst, machten aus dem Gurkensalat „mehr Freiheit, weniger Staat“.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Was geblieben ist:
Mehr Freiheit, weniger Staat. Schließlich war es die auflagenstärkste Zeitung (neben dem Blatt mit den grossen Buchstabenbildern auf den ersten Blick). Das liess sich auch in der NZZ in gehob-besseren Kreisen besser verkaufen und darum ging es ja. Es bedeutet auf den ersten Blick das Gleiche und auf den zweiten Blick ist es nun so: Weniger Staat, mehr Gurkensalat. Nur, die Freisinnigen und deren SVP Mit‑, Nach‑, Fuss‑, und Bei-läufer haben es so gemacht. Salat.
Was rentierte wurde dem Staat genommen und privatisiert. Was kostenneutral oder verlustbringend, wurde dem Staat überlassen und von diesem (uns allen) subventioniert und Land auf Land ab wird vor den Wahlen wieder von Steuersenkungen brammasiert.
Merke: von Steuersenkungen profitiert die obere Mittelschicht und alle auf der nach oben offenen Reichtums-Skala, erst ab dann nämlich, wird es kontowirksam und interessant. Wer weniger verdient, legt bei Steuersenkungen drauf. Das muss auch wieder einmal gesagt sein.
Der FDP-Nationalrat Ernst Cincera fichierte damals privat alle, die Turnschuhe trugen, den Coiffeur mieden oder nicht am eidg. Feldschiessen teilnahmen.
Was hoffentlich noch verhindert wird; dass ab 2019 private Detekteien die Ärmsten der Gesellschaft demnächst mit Wanzen und Drohnen verfolgen dürfen, um ihnen einen “Mundraub” nachweisen zu können.
Derweil freuen sich die Steuerhinterzieher und ‑Vermeider. Immer noch gelingt es der bürgerlichen Parlamentsmehrheit griffige Gesetze dagegen zu verhindern.
Schon wird von einschlägiger Seite der Name einer neuen Bundesrätin portiert, deren eigener (geerbter) Laden nur noch über sein Luxemburger Inkasso-Büro Rechnungen stellt. Natürlich in der beschimpften Euro-Währung. Es ist zu hoffen, dass die “seven thinking steps” nicht in Vergessenheit geraten.
Foto: Blick/Ringier
2.
Rudi Dutschke:
“Der lange Marsch durch die Institutionen”.
Was ist geblieben?
Die Jungpolitiker, die sich damals auf die Ochsentour innerhalb der bestehenden Parteien machten?
Die Jungen, die impulsiv und hoffnungsfroh neue Parteien gründeten?
Die Dienstverweigerer, die keine Offizierskarriere anstrebten und im System hängen blieben und untergingen.
Die AKW-Gegner und Ostermarschierer, die noch immer auf den Beton der Kühlkopftürme stossen.
Die Schriftsteller, die mit der Gruppe Olten eine eigene gemeinsame Stimme suchten und sang und klanglos wieder im alten SSV (Schweizer Schriftsteller Verein) unter gingen, bzw. integriert wurden.
Und die wenigen, die den langen Marsch durch die Institutionen geschafft haben?
Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit sind gerade am Gegenlesen ihrer Interviews, die sie zu gegebenem Anlass den Reklamefinanzierten Blättern gegeben haben, während die Vorzeige-Clowns, wie Fritz Teufel, bereits wieder durch die Talk-Shows tingeln.
3.
Ian Dury / The Blockheads:
„SEX and DRUGS and ROCK & ROLL“
Was ist geblieben?
Sex? : Internet Pornografie und Sex-Koffer im Kindergarten.
Drugs? : Ritalin und Laktose Intoleranz
R & R? : Justin Biber & Helene Fischer
und die Weisheit:
“Der grosse Unterschied ist:
Damals (1968), da war man politisch frech.
Heute haben wir es mit politischem Frömmlertum zu tun.”
Rüdiger Safranski
Franz Büchler
Apr 27, 2018
Zum Gurkensalat, den die basellandschaftlichen Parlamentarier unter der Führung einer sogenannt bürgerlichen Mehrheit aus ihrem Staat machen, gehört auch, dass sie noch nie die Bundesverfassung gelesen haben, geschweige denn sich verpflichtet fühlen sich daran zu halten:
.
»…im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken,
im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben,
im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen,
gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen,…«
.
Und der oberbürgerliche Regierungsrat wird natürlich höchstgerne auf den Riebli-Erguss eingehen, muss er doch genügend Mittel bereitstellen um die USR IV, getarnt als Steuervorlage 17, finanzieren zu können …