Titelbild: Lithographie von Niklaus Stoecklin
Je älter einer wird, zum Beispiel ich, umso weniger ist er an der Fasnacht aktiv, um so eher kommen Nichten und Neffen, Freundinnen und Freunde, und von denen die, nisten sich nachtsüber ein und wollen alles über die „drey schenschte Dääg“ wissen. Ich versuche jeweils zu erklären, etwa so:
1. Die von irgendeinem Papst
verordnete Fastenzeit, Wochen vor Ostern auf Fleisch, Lust, und Messbuben zu verzichten, beginnt in der Regel ein paar (sechs?) Wochen vor der Auferstehung des jüdischen Religionsgründers. Punkt. Der übrigens, Sohn eines Schreiners, trieb sich gern im Tempel, später am Hafen herum und hatte Fischer zu Freunden, schwimmen konnte er nicht, dafür übers Wasser laufen.
Eigentlich war er in dieser Sache der erste Influencer. der erste Lobbyist. Er predigte, am Freitag nur Fisch zu essen. Ein Freundschaftsdienst, für seine Fischerkollegen.
Das hat sich durchgesetzt vor allem bei reformierten Katholen. Die Fischstäbchen Press-Panierer und die Messbuben ziehen sechs Wochen Ferien ein, Freude herrscht. Petri Heil!
2. Dann kam die Reformation.
Die Initianten nutzten die aktuellen neusten Medien, den Buchdruck mit beweglichen Lettern, In Basel gab es Druckereien und Papierhersteller.
Das heisst, nicht mehr alle glaubten an alles und hinterfragten neben anderem, auch das Fasten. Das Beste an der Fastenzeit waren die Besäufnisse und Sexorgien in den Tagen davor. Die Basler fanden, als intellektuelle Humorotiker die Ideen des Basler Pfaffen Oekolampad interessant, wollten aber auf die Festivitäten nicht verzichten.
Kurz und Gut.: Die Fasnacht wurde um eine Woche verschoben. Offenbar konnten dies damals kommunale Behörden entscheiden und keiner hat’s dem Papst gesagt.
Win-win-Situation: Das Fest konnten die Basler behalten, die Katholen ärgerten sich und bauten den Arlesheimer Dom, die Arlesheimer ärgerten sich, weil der Bischof von Basel dann nach Solothurn wechselte. Dort ist er noch. Die Ambassadoren haben vermutlich mehr bezahlt.
3. Die Zürcher
haben nach der Reformation die rechtzeitige Fasnachtsverschiebung verpasst. Zum späten Trost gibt es aktuell einen Film vom Protagonisten. Der Pfaff Zwingli blieb offenbar stur. So wurde Zürich kompromisslos reformiert. Die Fastnacht wurde abgeschafft. Das ärgert die Zürcher natürlich noch heute. Dafür dürfen sie jetzt jedes Jahr stundenlang um einen Schneemann reiten und wundern sich, dass der nicht richtig brennen will. Übrigens: Die Idee einen Schneemann zu verbrennen, können sich nur Zürcher ausdenken. Chapeau!
4. Abschreckung: Karneval in Venedig.
Eine Veranstaltung für Rokokofetischisten aus Belgien, England, und den Niederlanden. Venezianer flüchten und ziehen ihre Überstunden als Ferientage ein. Im Centro storico wird für Fotographen posiert und englisch gesprochen. Zugegeben, die Kulisse ist phänomenal, aber die gibt es das ganze Jahr. Warum der Kostüm-Kaiser nie eine Filiale in der Lagune eröffnet hat, ist mir heute noch ein Rätsel.
5. Abschreckung: Karneval in Rio.
Dazu musste ich nichts sagen, weil ich keine Gäste aus Brasilien hatte. Das müssten auch befugtere Leute erklären.
6. Abschreckung; Karneval im Rheinland
(Köln Düsseldorf, Mainz). Die heilige Dreifaltigkeit, genannt Dreigestirn, fährt von Besäufnis zu Besäufnis, trifft überall auf ein Funkenmariechen, der Mutter aller Chear-Leaders. Das ganze begleitet von irgendwelchen Garden in Fantasie-Uniformen aus dem 17, Jahrhundert, die Kamelle (Dääfi) um sich werfen und sogar noch durch das Fernsehen den Duft von 4711 versprühen.
Die Indianer, Cowboys, Pipi Langstrümpfe, Einhörner, Schlümpfe usw. im Publikum verwerfen die Arme und rufen gemeinsam Hellau und Alaaf und erinnern damit an schlechtere Zeiten, als Handheben und Heilrufen zum Alltag gehörten.
7. Zurück zur Basler Fasnacht.
Die reformationsbedingte Verschiebung der Fasnacht in Basel um eine Woche, siehe Punkt 2, ergab die Kollision zweier „Veranstaltungen“, die noch heute das Bild des Basler Kulturerbes prägen.
Da ist einmal die verordnete Ausgelassenheit der katholischen Vor-Fastenzeit.
Da ist der Abmarsch der Söldner und Reisläufer zu den verschiedenen Königshäusern.
8. Dazu eine Erklärung.
Die Eidgenossenschaft hatte und hat, nie irgendwelche Rohstoffe. Da konnte nichts ins Ausland verkauft werden. Man war ein Binnenland, ohne Kolonien, die man hätte ausbeuten können. Da gab es keine Flotte, Sklavenhandel war leider nicht möglich. Sie hätten es bestimmt gemacht, so wie sie heute hemmungslos weltweit Waffen verkaufen.
Da hatten die „von Surys“, die „von Wattenwyls“ und die anderen „von/zu/und damits“ die entscheidende Geschäftsidee: Menschenhandel. Nicht unbedingt Handel, eher eine Art von Leasing. Den Spätgeborenen Eidgenossen wurde im kalten Winter ein Handgeld bezahlt, mit dem sie verpflichtet wurden, als Soldat und Söldner für irgend einen Fürsten in Europa bei künftigen Schlägereien im nächsten Sommer den Kopf oder die Extremitäten hin zu halten.
Da Kriege nur im Sommer statt fanden, war das Antrittsverlesen jeweils nach Ostern, die Entlassung jeweils um Martini im November. Um bis Ostern den Marschbefehl befolgen zu können, versammelten sich die gemieteten Söldner jeweils in Basel und Bellinzona. In Bellinzona die, die sich den Gonzagas, Medicis, dem Papst oder anderen verpflichtet hatten, in Basel diejenigen für die nordwestlichen Kapitalisten und adligen Familienbetriebe, genannt Fürstentümer. Nach der Abschaffung des Adels, waren es halt nun die Bürgerlichen, die sich schon nach dem Erdbeben in Basel an bester Wohnlage in Basel Ihre Anwesen bauten. Rittergasse.
Die Besammlung und der Auszug der Reisläufer ist heute noch zu spüren. Der Morgenstraich ist nicht etwa ein Streich im Sinn von Max und Moritz oder Pipi Langstrumpf, einem “Gloggezügli” am frühen Morgen, sondern der Trommelschlag, mit dem die Söldner geweckt wurden.
Der Schleppschritt der marschierendenTambouren nd Pfeifer ist alles andere als ein begeisterter Humpa-humpa-täterä Stechschritt. Diese Männer wurden bezahlt um für den Bezahler zu kämpfen, zu morden und zu sterben, für läppischen Sold, allenfalls Beute, und um ihr eigenes Leben. Wer zog da schon gerne los, nur weil er seinen Körper nach einigen Schnäpsen im kalten Voralpenwinter an Menschen-Leaser verkauft hatte.
Diese Mischung aus katholischer Ausgelassenheit und protestantischer Melancholie. Das ist in Basel Fasnacht.
Und die Weisheit zum Artikel:
“In Köln und Basel Kann ich nicht auftreten.
In Köln versteht mich niemand,
die Basler lachen nicht über alte Witze.”
Peach Weber