Und hier eine Buchgeschichte, nicht die Geschichte, die im Buch erzählt wird, nicht die Geschichte des Buches, nein eine minimale Geschichte, die mich mit dem Buch verbindet. Diesen Titel werde ich nicht aus meiner belletristischen Käfighaltung, sprich, aus meiner privaten Bibliothek, befreien.
Das Buch: Raimond Queneau, Autobus S
Es muss zwischen 1964 und 1970 gewesen sein, als kürzlich Konfirmierter war ich Mitglied der jungen Kirche meiner Kirchgemeinde. Das nannte man damals so. Da rutschte ich einfach so rein, wie überhaupt in die Kirche, ungefragt und ungebildet. Egal: Zur jährlichen Adventsfeier der Kirchgemeinde, wurde von den Mitgliedern der jungen Gemeinde eine Produktion erwartet.
Kein Krippenspiel, nein, das war uns und auch den Kirchenpflegern ziemlich klar.
Warum auch immer, mir oder einem anderen Mitglied der Jungen Gemeinde fielen die Stilübungen von Queneau in die Hände (erschienen in Paris 1947, auf Deutsch 1961).
Der Autor beschreibt in dem Buch eine völlig banale Situation an einer Bushaltestelle in Paris. 1/4 von einer A4 Seite. Die viertel Seite wird vom Queneau 150 mal verschieden erzählt. Wir ergänzten die Banale Geschichte um eine weitere Variante in den Worten von Lukas und Luther. Also statt des ersten Satzes im Originaltext, „Im Autobus der Linie S zur Hauptverkehrszeit“ wurde: „Es begab sich aber zur Zeit des Hauptverkehrs, als Imperator de Gaule Landpfleger von Gallien war …“
Wenige Tage vor der geplanten Aufführung wurde uns von der Kirchgemeindepflege untersagt, die weihnachtliche Variante zu zeigen.
Die Folge war, wir ärgerten uns und führten halt nur die anderen vorbereiteten Szenen auf. Nicht ohne Diskussion zuvor, ob überhaupt, und wenn ja, warum. Kein Mensch wusste nun, was das mit Advent oder Weihnacht zu tun hatte. Wir führten auf.
Zur Information: In der damaligen Kirchenpflege sassen der Redaktor der Zeitschrift „Beobachter“ und ein Theologieprofessor der Uni Basel. Wie das Schicksal so spielt, deren Töchter waren Mitglied der jungen Gemeinde.
Für mich war es die erste Begegnung mit Zensur.
Und das muss fairerweise auch noch gesagt sein: Die heiligen drei Könige verschliefen die Endstation des Autobus S und kehrten unverrichteter Dinge wieder heim mit all ihrem Tand.
Hier finden Interessierte alle in dieser Rubrik bereits erschienenen Beiträge.